Lieber Fred

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Es wurde immer schlimmer.
Je mehr Zeit verging, desto weniger war es auszuhalten.
Fred ähnelte seinem Vater immer mehr, was mich auf schmerzhafte Weise an ihn erinnerte.

Ich hatte Albträume und wachte schweißgebadet auf.
Immer wieder sah ich ihn tot vor mir.
Immer wieder war es der selbe, schreckliche Traum.

Es wurde einfach nicht besser.
Unterbewusst hoffte ich, bei jeder kleinen Ecke, bei jeder Tür, bei jedem Geräusch, meinen Freund zu erblicken, mit dem meine Zukunft so perfekt gewesen wäre.
Dadurch das es mir schlechter ging, verkroch sich auch George immer weiter in sein Schneckenhaus.
Er verbrachte viel zu viel Zeit allein und ließ niemanden an sich heran.

Ginny kam immer häufiger zu Besuch.
Ich hatte sie gehört, als sie mit Molly über mich sprach.
"Ich habe Angst, wenn ich aus der Tür gehe, ist sie tot, wenn ich sie das nächste Mal öffne."
Ich wollte ihnen sagen, es sei albern zu denken, ich wäre Suizidgefährdet, doch dann erinnerte ich mich an meine lauten Gedanken, die immer häufiger schrien.
Gehört werden wollten.

Der einzige Grund, wieso ich noch lebte, war mein Sohn, der zum Glück wenig von meinen Problemen mitbekam.
Ich wollte ihn nicht verletzten.

Mittlerweile war es schon weit nach Mitternacht.
Jedes Jahr schrieb ich Fred einen Brief zu seinem Geburtstag und brachte ihn zu seinem Grab.
Ich schrieb über das Leben, wie es lief, was er verpasst hatte, wie es mir ging, wie sein Sohn immer größer wurde, wie George und ich den Laden führten.

Ich saß nun schon über eine Stunde auf dem Sofa, in dem großen Quidditch Pullover von Fred.
Ich überlegte hin und her, wie ich den Brief beginnen sollte.
Meine Augen brannten mittlerweile von dem langen Starren auf das Stück Pergament, was mich an meine miserablen Aufsätze in Zaubertränke erinnerte.
Ich atmete einmal geräuschvoll aus und fuhr mir durch die kurzen Haare, dann setzte ich die Feder an.

"Lieber Freddie,
seit fast vier Jahren bist du jetzt schon nicht mehr da.
Man müsste meinen, so langsam hätte ich mich an die Leere gewöhnt, doch ich schaffe es einfach nicht.
Immer wieder muss ich die Schlacht vor meinen Augen durchspielen, deinen toten, leblosen Körper sehen und mich fragen, was tat ich als es passierte?
Hätte ich es verhindern können, wenn wir eine Entscheidung anders gefällt hätten?
Wenn ich besser gekämpft hätte, würdest du dann jetzt bei mir sein?
Eigentlich weiß ich, es ist sinnlos sich darüber Gedanken zu machen, aber manchmal lässt es sich einfach nicht verhindern.
Vermütlich würdest du mir jetzt sagen, "Raff dich endlich auf und lebe dein Leben, denn du hast nur eins.", aber so oft ich es schon versucht habe, es geht einfach nicht. Ich bin nicht mehr die selbe Amber, die ich mit dir zusammen war.
Das schlimme ist, dass ich dich oft einfach für Selbstverständlich genommen habe, ich wünschte ich hätte dir öfter gesagt, wie viel du mir bedeutest und wie sehr ich dich liebe.
Es tut so unendlich weh, dass ich keine Chance hatte, mich von dir zu verabschieden.

Ohne dich ist einfach alles so anders.
George und ich brauchen dich.
Ich hab das Gefühl, wir beide schwimmen gerade so über der Wasseroberfläche, sind eine Atemzug vor dem Ertrinken entfernt.
Es wäre so viel einfacher, wenn du ein Zeichen schicken könntest, eine Antwort auf meine Briefe geben könntest, mir sagen könntest, ob es dir gut geht, da wo du bist."

Ich musste die Feder absetzten um mit meinem Handgelenk zu verhindern, dass meine Tränen die Tinte verwischten.
Ich wartete bis sich meine zittrige Atmung stabilisiert hatte, dann schrieb ich weiter.

"Unser Sohn ist ein richtiger Engel, ich bin sicher eines Tages wirst du ihn treffen.
Du würdest so stolz auf ihn sein.
Dieses Jahr hat er seinen ersten Flug auf dem Spielzeugbesen gemacht, den du zu deinem zweiten Geburtstag bekommen hattest.
Außerdem hat er mir erzählt, dass er später Quidditch spielen möchte, wie wir.
Der Kleine sieht dir immer ähnlicher, auch die roten Haare haben sich durchgesetzt.
Die Größe muss er ebenfalls von dir haben, denn für sein Alter ist er riesig. "

Ich musste lächeln, als ich an die Wand in seinem Zimmer dachte, an welcher wir jedes Jahr an seinem Geburtstag seine Größe markierten. Von letztem auf diesem Jahr ist ein riesiger Sprung zu erkennen.
Schließlich setzte ich die Feder erneut an.

"Ich wünschte du könntest das alles sehen. Ich liebe dich und werde dich nie vergessen.
Deine Amber."

Ich wischte mir über die Wange und legte den Kopf in den Nacken.
Ein paar Mal atmete ich tief ein.
Ich schloss meine Augen, erschöpft und leer.

"Ich weiß nicht, wie lange ich es noch aushalte."
sagte ich dann leise und spürte den Kloß in meinem Hals, der mir verbot weiter zu sprechen.

Langsam faltete ich den Brief zusammen und steckte ihn in einen Umschlag.
Ich versiegelte das Papier und ließ es auf den Tisch gleiten.
Lange starrte ich den Brief an, bevor ich in einen traumlosen Schlaf glitt.

dear freddieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt