Kapitel 22 - Abendessen

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Exakt eine Minute vor achtzehn Uhr kommt er tatsächlich in die Hotelküche, während ich noch einige Zutaten aus den Schränken suche. Wir haben zwar gewettet, aber irgendwie habe ich daran gezweifelt, dass er wirklich auftauchen wird. Er setzt sich auf eine der Küchentresen hinter mir, die Hände in den Westentaschen und die Beine überkreuzt. Er sitzt einfach nur schweigend da, was mich ein wenig nervös macht.

"Du wolltest mir Gesellschaft leisten, dann erzähl auch was"

Er scheint einen Moment zu überlegen und in dieser Zeit schreibe ich das Rezept auf einen Zettel. Auf jeden Fall brauche ich das Currygewürz, Hähnchenstreifen, Karotten und Paprikas. 

"Wer hat dir das Schacht beigebracht?"

"Ich mir selbst, und bei dir?"

"Das Gleiche"

Hätte ich mir auch denken können. Er wirkt nicht so, als würde er sich zu etwas zwingen lassen aber auch nicht, als würde er sich etwas von jemand anderen beibringen lassen. Ich versuche die Hähnchenstreifen aus der Tüte in die Pfanne zu geben und beginne, das Gemüse kleinzuschneiden.

"Um was geht es in dem Buch, das du gerade ließt", spricht er das Buch, welches ich mir von Kuina geliehen habe, an.

Glücklicherweise sitzt er hinter mir und kann meinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Das Buch ist nicht gerade jugendfrei geschrieben und mir ist es ein wenig unangenehm, es vor Chishiya zu erwähnen. Theoretisch geht es in dem ganzen Buch nur um Sex und Karriere.

"Ein Marketingunternehmen und Skilauf", antworte ich. Es ist nicht gelogen, diese zwei Berufe kamen wirklich in dem Buch vor, wenn auch nur nebensächlich. In meinen Gedanken gehe ich verschiedene Gesprächsthemen durch, um von dem Buch abzulenken. 

"Spielst du morgen auch wieder?"

"Ja, mein Visum gilt zwar noch zwei Tage, aber ich gehe gerne auf Nummer sicher"

"Weißt du, ob wir wieder zusammen eingeteilt sind?", frage ich neugierig und ich höre ihn leicht auflachen.

"Nein, dieses Mal nicht. Ich habe die Ehre mit Niragi zu spielen", sagt er sarkastisch und ich muss unweigerlich lachen. Ich drehe mich zu ihm um und halte den Gewürzbeutel hoch.

"Du verträgst scharfes Essen?"

"Klar."

"Weißt du zufällig mit wem ich eingeteilt bin?"

"Ich kannte die Namen nicht"

Also ist es keiner aus der Führungsrege oder dem Militärtrupp. Wahrscheinlich einige der neuen Mitglieder, oder einfach nur Unauffällige. Ich frage mich, ob Chishiya das weiß, weil er eine Art eidetisches Gedächtnis hat oder ob es ihn vielleicht auch interessiert hat. 

"Wann kommt Kuina zum Essen runter?"

"In schätzungsweise zwanzig Minuten"

Das passt sehr gut. Ich schiebe das Gemüse in die Pfanne und nehme ein wenig Abstand, um nicht von den Ölspritzern getroffen zu werden. Ich salze es ein wenig und schütte Kokosnussmilch hinein, bevor ich mich daneben auf den Tresen setze. 

Ich zucke leicht zusammen, als mein Schulterblatt bei der Belastung schmerzt. Schon vor zwei Tagen hat es sich dunkelblau gefärbt, anscheinend von dem Fahrstuhlabsturz. Die Salbe von Izumi, welche sie mir das letzte Mal gegeben hat, lindert ein wenig die Schmerzen. Doch es ist immer noch sehr schwierig, Nachts zu schlafen. Ich streiche mir die Haare hinter meine Ohren und schließe kurz die Augen, um zu entspannen. 

Der Geruch des Thaicurrys steigt in meine Nase und ich weiß nicht weshalb, doch meine Gedanken schweifen zurück in die Vergangenheit. Das Curry meines Vaters war am kochen und die Sonne, welche durch das Küchenfenster schien, wärmte meine Arme. Ich hörte meine Großmutter im kleinen Salon eine ihrer wilden Geschichten aus ihren Jugendjahren hören und das Klirren von gefüllten Champagnergläsern. 

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt