Kapitel 37

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Drei Tage. Seit drei Tagen übernachtete Amber bei Owen. Seit drei Tagen wusste Owen, dass er ein Stipendium für die University of Tennessee bekommen kann. Drei Tage können sich so lang anfühlen.

Owen zog sich gerade seine Jeansjacke über und lies seinen Autoschlüssel in seiner Hosentasche verschwinden. Er hatte Amber angeboten zu ihr nach Hause zu fahren, damit sie nicht ständig dieselben drei Shirts tragen musste. So langsam sanken die Temperaturen in Huntsville und er wollte nicht, dass sie in seinen Klamotten rumlaufen musste. Keine Frage, er sah sie gerne in seinen Pullis, aber in der Schule trug sie wahrscheinlich lieber ihre eigene Kleidung. Also nahm er sich noch seine Kappe, die auf seinem Bett lag indem er letzte Nacht noch mit Amber an seiner Seite schlief, und setzte sie sich auf. Seine Mom hätte nie erlaubt, dass sie sich ein Bett teilten. Also schlich sich Amber mitten in der Nacht von der Couch in sein Zimmer und tapste genauso leise in den frühen Morgenstunden wieder zu der Couch, damit Patricia nicht auf die Idee kam, dass die zwei sich das Bett teilten.

„Schöne Kappe", sagte Amber, als Owen das Wohnzimmer betrat. Er sah ihr Lächeln und seine Mundwinkel zuckten automatisch nach oben. Owen trug nicht irgendeine Kappe, sondern die orangene mit dem weißen T. Die Kappe, die Amber ihm bei ihrem Ausflug zur University of Tennessee gekauft hatte.

„War ein Geschenk von jemandem mit echt gutem Geschmack", er zwinkerte ihr kurz zu, „Bist du bereit?"

Amber stand nickend von der Couch auf und folge Owen aus dem Haus zu seinem alten Pickup Truck. Owen bemerkte, wie seine Finger leicht zitterten, als er den Schlüssel ins Zündschloss steckte und den Motor zum Laufen brachte.

Ihm wurde in dem Moment erst so richtig bewusst, was die beiden taten. Amber hatte ihn schon vorgewarnt, dass ihre Mutter zuhause sein würde, doch er hatte ihr gesagt, dass es ihn nicht störe und er keine Angst vor ihr habe. Doch als sie nun durch Huntsville fuhren und die Häuser immer größer wurden bemerkte er, dass er sich nicht mehr länger selbst anlügen konnte. Er war nervös. Owen versuchte das schnelle Pochen in seiner Brust zu ignorieren und überspielte seine Angst, um Amber kein schlechtes Gefühl zu geben.

„Kannst du mit reinkommen?", fragte ihn Amber und riss ihn aus seinen Gedanken, als er sein Auto vor ihrem Haus parkte. Ein weiteres Auto stand in der Einfahrt. Ihre Mutter war also tatsächlich zuhause.

Owen schluckte schwer. „Klar, du musst auch nicht alles alleine tragen", versicherte er ihr und schenkte Amber ein gezwungenes Lächeln.

Er folge Amber die Hofeinfahrt entlang und betrat hinter ihr das Haus. Erst, als sie die Tür wieder ins Schloss fallen ließ, bemerkte er, dass er seinen Atem anhielt. Amber schenkte ihm einen kurzen Blick, bevor sie den eleganten Flur entlanglief und sie nun in einer großen Küche standen. Owen hatte gar keine Zeit die perfekte Innenausstattung zu betrachten, oder sich vorzustellen wie sein Leben aussehen würde, wenn er auch in so einem Haus aufgewachsen wäre, denn Amber und Owen waren nicht alleine in der Küche. Ihnen gegenüber stand an der Kochinsel eine Frau, die Amber nur zu ähnlich sah.

„Hey Mom, ich bin nur hier um ein paar Sachen zu holen", sagte Amber ihr und Owen konnte das Zittern in ihrer Stimme hören.

Ihre Mutter verschränkte die Arme vor der Brust und zog ihre Augenbraue hoch. „Hey Mom? Du kreuzt nach drei Tagen mal wieder zuhause auf und das ist alles, was du mir sagst? Wo zur Hölle warst du, Amber? Du kannst nicht einfach von zuhause abhauen!"

„Mom i-ich will gerade nicht darüber reden. Ich bin nur da um Klamotten zu holen", sagte Amber und wollte sich gerade wieder umdrehen und die Küche verlassen.

„Du haust nicht schon wieder einfach so ab! Wir sind hier noch lange nicht fertig."

Amber strich sich mit ihrer Hand über das Gesicht, als sie sich wieder umdrehte. Owen legte seine Hand auf ihren Rücken in der Hoffnung, ihr so etwas Unterstützung zu zeigen. Doch sein Versuch sie zu beruhigen sollte keine paar Sekunden später bestraft werden.

Der Eiskalte Blick von Ambers Mutter traf zum ersten Mal auf Owen, bevor sie wieder ihre Tochter ansah. „Was fällt dir eigentlich ein? Erst blamierst du deine Eltern vor unseren Freunden, als du dich heimlich für irgendein anderes Fach beworben hast. Dann haust du von zuhause ab, um ein paar Tage später mit ihm hier Klamotten zu holen?" Ambers Mutter fuchtelte mit ihrer Hand zwischen Amber und Owen hin und her und schüttelte genervt mit dem Kopf, während sie Owen immer wieder missbilligend betrachtete. „Es geht echt zu weit, Amber. Du hattest es so gut bei uns ich weiß gar nicht, was in dich gefahren ist."

„Mrs. Young, ich finde...", Owen wurde von Ambers Hand auf seiner Brust unterbrochen.

„Mom, du hast kein Recht Owen da mitreinzuziehen. Ich will im Moment wirklich nicht darüber reden, ok?", sagte Amber, nahm Owens Hand in ihre und lief mit ihm zu den Treppen, die zu ihrem Zimmer führten. „Ich bin gleich wieder weg!", rief sie noch ihrer Mom zu.

Owen sagte kein Wort, als er Ambers Zimmer betrat und ihr dabei half verschiedene Kleidungsstücke in eine Reisetasche zu stopfen. In seinem Kopf war so ein Durcheinander, dass er nicht Mal mehr klar denken konnte. Er funktionierte fast wie ein Roboter, der einfach nur die Aufgabe, Ambers Sachen zu holen, erledigte. Doch ein Gedanke ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Traf Amber vielleicht die falsche Entscheidung? Natürlich wollte er, dass sie ihr Leben nach der Highschool so gestaltete, wie sie es wollte. Doch als er sie in ihrem viel zu großen Haus beobachtete wurde ihm eins klar: Das Einzige, das sie im Moment wirklich verlor, war nicht ihre Möglichkeit zu studieren, oder irgendetwas anderes über das sie sich bis spät in die Nacht den Kopf zerbrach, sondern ihre Familie.

„Hey, findest du nicht, dass du mal mit deiner Mom reden solltest?", murmelte er also, als er gerade eine Jeans in die Tasche legte.

Amber schnaufte. „Du hast sie doch gerade erlebt. Worüber soll ich denn bitte mit ihr reden? Mit ihr kann man doch nicht mal mehr normal über irgendwas sprechen."

„Ich denke es würde euch vielleicht helfen", sagte Owen und zuckte mit den Schultern.

„Wir sind glaube ich fertig. Kannst du die Tasche nehmen?" Amber wechselte offensichtlich das Thema. Owen sah sie kurz fragend an, doch sie schenkte ihm keinen Blick. Also schulterte er die Reisetasche und lief mit ihr zu seinem Auto.

Owen merkte, wie Ambers Herz brach, als sie kurz ihr Haus ansah, um dann in sein Auto zu steigen und stur nach Unten zu blicken. Und ihm brach sein Herz genauso. Denn in dem Moment wurde ihm bewusst, dass sie nicht so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatten, das Leben meistern würden. Sie mussten damit umgehen Verluste einzustecken, Änderungen anzunehmen und damit leben zu können. Und Owen war sich nicht sicher, ob sie beide schon bereit dafür waren.

Hail Mary | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt