Kapitel 54 - Unsichtbare Mauer

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Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, war meine Geduld bereits völlig am Ende. Den ganzen Morgen und Vormittag besuchten mich alle: Izumi und Yuudai, Satoru, Ann mehrmals, Katsu, Aguni und der Hutmacher und sogar der Junge von dem letzten Spiel. Aber nicht ein einziges Mal habe ich Chishiya gesehen. 

Er muss nicht zwingend hier sein und mich besuchen, aber ich vermisse ihn einfach. Nach meinem Pik zehn Spiel war er hier, nach dem Kreuz sieben Spiel als ich ertrunken bin habe ich bei ihm geschlafen und nach dem letzten Spiel hat Kuina gesagt, dass er eigentlich bei mir sein wollte- und jetzt ist er nicht hier. Ich habe mich bei ihm wohlgefühlt, gleichgültig was passiert ist. Ich bin zusammengebrochen und weiß nicht warum, während er nur einen wütenden Ausdruck hatte. Der letzte Tag hat so schön begonnen: Ich wachte auf und er war hier. Er grinste breit und führte mich zu Satoru, welcher noch lebt. 

Irgendwann werde ich einfach zu unruhig, also schlage ich meine Decke zurück und stehe entgegen der Anweisung von Ann auf. Ich stütze mich an den Wänden ab und hangele mich durch die Flure des Hotels, bis ich zur Luke des Daches komme. Einen Moment bevor ich die Tür öffne zögere ich. Ich atme einmal tief durch und reiße mich zusammen, denn ich weiß wer mich hinter dieser Tür erwartet. 

Ich öffne die Luke und sobald mich die Nachmittagssonne trifft, halte ich einen Arm vor meine Augen und warte, bis sie sich an das Licht gewöhnen. Ich entdecke Chishiya an der Kante sitzend, den Blick streng auf die Leute unter sich gerichtet. Er trägt seinen schwarzen Pulli und die Kapuze, weshalb ich von hier aus sehen kann, dass durch den Wind seine vorderen beiden Strähnen leicht nach hinten geweht werden. 

Ich setze mich neben ihn und beobachte einen Moment die Menschen, und obwohl mich diese angenehme Stille beinahe übermannt, kann ich nicht anders.

"Alles in Ordnung?", frage ich doch er sieht immer noch stumm nach unten. Gerade als ich das Gefühl bekomme, dass er keine Lust hat zu reden, antwortet er. 

"Ja"

Obwohl er mich vor Schmerzen gekrümmt gesehen hat, stellt er die Frage nicht zurück. Wirklich erwartet habe ich es nicht von ihm, aber er sieht nicht einmal zu mir um sich selbst ein Bild von meinem Zustand zu machen. Sein Blick ist immer noch auf die Menschen unten gerichtet, doch seine Augen scheinen nichts abzusuchen. Es kommt mir so vor, als würde er eine Distanz zwischen uns aufbauen wollen, und das gefällt mir nicht.

"Morgen bekomme ich ein neues Zimmer. Dann musst du aufpassen, bei wem du ins Zimmer reinschneist", scherze ich leicht, doch seine Miene bleibt emotionslos. Chishiya antwortet nicht und wendet auch seinen Blick nicht von der Poolanlage ab. Dieser Mann macht mich noch ganz wahnsinnig. Ich schlucke meinen Ärger runter, denn wenn ich irgendetwas aus ihm rausbekommen will, muss ich ruhig bleiben. Ich lasse meine Beine weiterhin über der Kante baumeln und lege mich hin, um die Schmerzen vom Sitzen zu vermeiden. Doch sobald ich meinen Kopf auf den Kies lege, durchzuckt mich ein Stechen an eben dieser Stelle. 

"Das war nicht so klug, du hast eine Wunde am Kopf", sagt er trocken und ich setze mich wieder auf. Ich murmele verärgert etwas leise, dass er meine Worte nicht hören kann. Mich größtenteils ignorieren aber Hauptsache bei soetwas seinen Senf dazu geben. Doch als er meine Verärgerung bemerkt, schleicht sich ein winziges Lächeln auf seine Lippen. Es scheint nicht belustigt oder provokativ, eher als wäre er zufrieden mit meiner Reaktion. Was will er damit bezwecken?

"Seit wann sitzt du hier oben? Ich habe dich heute noch gar nicht gesehen", versuche ich wieder freundlich zu klingen, um noch ein wenig mehr aus ihm herauszubekommen.

"Wieso, hätte ich mit den anderen bei dir sitzen sollen und tröstend deine Hand halten?", sagt er abfällig und ich sehe ihn verwirrt an. Ist es das weshalb er sich so komisch benimmt? Nein, das kann nicht sein ich meine ...

Vielleicht hat es ihn gestört, dass Katsu meine Hand genommen hat. Besonders nach seiner Geste bei unserem letzten gemeinsamen Spiel. Auch wenn es Chishiya nicht ähnlich sieht, aber  ich kann es auch ein wenig verstehen. Nur was mir nicht klar werden will ist, ob er deswegen eingeschnappt ist. Nein. Wir reden hier nicht von irgendjemanden, sondern von Chishiya. Zu ihm würde eher passen, dass er sich zurückzieht oder eine Eisschicht um seine Gefühle aufbaut. 

Aber das will und kann ich einfach nicht zulassen. Es ist seine Entscheidung, aber ich möchte das was zwischen uns ist nicht verlieren, auch wenn ich nicht sagen kann was genau das ist. Ich nehme meinen Mut zusammen und lege meine Hand auf seine Schulter. Ich kann spüren, dass sein Blick eiskalt wird und er mich zum ersten Mal ansieht. Doch ich lächele ihn nur sanft an und entgegne seinem eisernen Blick.

"Tu das bitte nicht Chishiya", bitte ich ihn und sehe ihn liebevoll an, "Wenn du soweit bist, weißt ja wo du mich findest" 

Für einen Moment wird sein Blick weicher und er sieht mich leicht erschrocken an. Ich nicke nur leicht und stehe auf, um ihn alleine zu lassen. Ob er mich weiterhin emotionslos ansehen möchte wie bei diesem Gespräch ist seine Entscheidung. Aber eines sollte er wissen, so einfach gebe ich ihn nicht auf. So leicht wirst du mich nicht los Chishiya Shuntaro.

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt