Einundzwanzig

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Lucien

Die Kapuze meines Mantels tief ins Gesicht gezogen, nähere ich mich der kleinen Stadt gelassen.

Oder so versuche ich zumindest zu wirken. Meine Hände zittern, mein Mund ist eine schmale Linie und mir läuft kalter Schweiß den Rücken hinunter.

Ich denke, man kann nachvollziehen, warum ich derart aufgeregt bin. Ich meine, ein sadistischer König hat mehrere Suchtrupps losgeschickt, um mich zu fassen, damit er mich entweder hinrichten oder als Druckmittel für seine eigene, entflohene Tochter benutzen kann. Wer würde da nicht aufgedreht sein?

Am liebsten würde ich die Stadt ja ganz meiden, aber ich brauche leider Vorräte. Die Versorgung von Snow hat mich einiges gekostet - nicht, dass ich mich beschweren wollte. Ich bereue es kein bisschen, dass ich die Schneeprinzessin gerettet habe -, und diese Kosten muss ich wieder ausgleichen.

Gold besitze ich ja immerhin dank Cheri reichlich. Fragt mich nicht, woher sie an einen schweren, vollen Goldbeutel gekommen ist - ich habe auch nicht gefragt. Aber dankbar bin ich trotzdem. Es war, mit ihren Worten ausgedrückt, eine Bezahlung dafür, dass ich ihre Freundin gerettet habe.

Als sei ich nicht von mir aus bereit gewesen, sie zu versorgen, bevor man mir eine Gegenleistung anbot. Als sei ich nicht beinahe wahnsinnig geworden, bei dem Gedanken, Snow könne auf ewig durch die Griffe des Todes von mir getrennt werden. Bezahlung, dass ich nicht lache.

Bei dem Gedanken daran kann ich nicht anders, als spöttisch zu lächeln. Als ich von Weitem bemerke, wie die Stadtwache mit den Füßen scharrt, als sie mich näherkommen sieht, wird mein Grinsen unwillkürlich breiter. Es gibt mir eine gewisse Befriedigung, zu wissen, dass man vor meiner Verhaftung genauso große Angst hat wie ich. Wenn auch nicht aus denselben Gründen, vermute ich. Und auch, wenn sie mich aus dieser Entfernung unmöglich erkennen können.

Ich fürchte darum, was Snow dann tun wird. Diese Männer fürchten wohl eher, wie das Volk Sols reagieren wird, wenn Lunas Führungskräfte mal einfach so die Königsfamilie auslöschen - und welche Folgen das für den stillen Krieg haben wird.

Ja, es gab auch zu Lebzeiten meines Vaters schon Krieg mit Luna - auch, wenn ich seine Beweggründe dahinter nie ganz verstanden habe. Weder haben wir irgendwelche strategisch wertvollen Pläne geschmiedet, noch überhaupt einen Kriegsrat abgehalten. Mein Vater hat immer nur stumm eine Mahlzeit nach der anderen in sich hineingeschaufelt und mit den Achseln gezuckt, wenn die neuesten Verluste beklagt wurden. Jetzt ist er tot.

Ich bin mir nicht sicher, wie ich zu seinem Ableben stehen soll. Natürlich bedaure ich die Art seines Todes - immerhin ist er noch immer mein Vater -, aber seinen Tod an sich... Ich kann mich einfach nicht dazu zwingen, ihn zu bedauern. Mein Vater hat vieles falsch gemacht. Eigentlich alles. Er hat das Volk durch einen namenlosen, stillen Krieg verunsichert, er hat sich nicht um Politik oder Verwaltung des Königreichs gekümmert - nicht einmal seine eigenen Adeligen Freunde hat er aktiv unterhalten. Nein, das ist alles an mir hängengeblieben. Das alles waren meine Pflichten, meine Aufgaben. Er hat alles einfach auf mich abgeschoben. Aber nicht nur bei mir hat er in seiner Vaterrolle versagt. Auch bei meiner kleinen Schwester Fire hat sein Verhalten einige Narben hinterlassen, die noch heilen müssen.

Nicht zu schweigen von seinem unerhörlichen Verhalten Snow gegenüber. Unerhörlich ist dabei noch vollkommen unpassend - es klingt viel zu untertrieben. Er hat ihr gedroht, hat sie gedemütigt, sie gefoltert, sie verspottet und sie verhört. Er hat ihr Schmerzen und Leiden zugefügt und es genossen. Er hat sie in einem Kerker vor sich hin rotten lassen, hat zugelassen, dass sie immer mehr verfallen ist. Es grenzt bereits an ein Wunder, dass Snow überhaupt noch den Wunsch zu Leben verspürt. Cheri und Freedom werden sie immer im Auge behalten müssen - zu Snows eigener Sicherheit.

Oder ist Snow doch nicht ganz so geistig gesund, wie ich dachte...?

Als ich mich den Stadtmauern nähere, bin ich mir zunehmend nicht sicher...

Storming LightWhere stories live. Discover now