Kapitel 63 - Vollidiot

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Sobald wir uns alle sicher waren, dass die Sträflinge unser Stockwerk verlassen haben kommt Ann zu uns auf die Seite. Chishiya hebt vorsichtig mein Shirt an um die Wunde freizulegen und Ann schimpft die Leute aus dem Militärtrupp an, Einweghandschuhe zu suchen. Der verrückte Mann erscheint an meiner Seite und möchte nach meiner Schulter greifen, doch Niragi fängt seine Hand ab und schubst ihn nach hinten. Ich erhasche einen flüchtigen Blick auf Chishiya, welcher nur auf seine Hände sieht, die voll von meinem Blut sind. Ann zieht die medizinischen Handschuhe über ihre Hände und legt ihre Finger um meine Wunde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht greife ich nach Chishiyas Handgelenk und er scheint sich aus seiner Starre zu befreien. Mit einer Hand drückt er meine Schulter nach unten damit ich ruhig liegen bleibe, mit der anderen nimmt er meine Hand. Ann greift sich meine noch freie Hand und redet beruhigend auf mich ein, doch was sie genau sagt bekomme ich nicht mit. 

Ann kramt in der schwarzen Sporttasche herum, die ich vorhin hier fallen gelassen habe und holt eine Spritze hervor. Sobald sie die Flüssigkeit in meine Armvene injiziert entspanne ich mich ein wenig und krampfe nicht mehr so sehr. 

"Sayuuri, hörst du mich noch?", fragt mich Ann und hebt meinen Kopf ein wenig an, dass ich sie direkt anschaue. 

"Geht so, aber ich rieche von hier aus, dass der Typ da Lachs zu Mittag hatte", lache ich bevor mich eine neue Schmerzenswelle erreicht. Ich versuche mich zusammenzureißen, was mir dieses Mal gelingt. Es liegt entweder an der Schmerzmitteln oder an Chishiyas Hand, die sich immer noch um die meine legt. Ich atme schwer bis Ann den ersten Nadelstich setzt. Ich drifte für einen Moment weg, da die Schmerzen mich übermannen, doch ich komme wieder zu Bewusstsein, als sie mich aufrichten und hochheben möchten.

"Ich kann laufen", nuschele ich und Ann legt ihre Hand beruhigen auf meine Schulter.

"Ich weiß, ich habe noch nie jemanden gesehen der so hart im nehmen ist. Aber vertraue mir und lass es zu"

Sie sieht mich schon fast mütterlich an und ich gebe nach. Nach der ganzen Zeit mit ihr habe ich ein Fazit gezogen: Sie weiß es wirklich besser. Vorsichtig tasten wir uns die Stockwerke nach unten bis zu der Tiefgarage. Die Sträflinge scheinen verschwunden zu sein und Niragi bekommt den fremden Mann in der Krankenhauskleidung dazu in den hinteren Wagen einzusteigen, mit vorgehaltener Waffe. Der Typ mit dem Schwert hilft mir mich neben den Mann in die Mitte der Rückbank zu setzen und ich sehe aus dem Fenster, weshalb ich eine kurze Diskussion von Chishiya und Ann mitbekomme. 

"Ich fahre in dem zweiten Auto mit", sagt Chishiya trocken und Ann verschränkt nur die Arme vor der Brust.

"Du gehörst zur Führungsrege, du fährst im ersten Wagen mit"

"Und wenn der Verrückte anfängt ihre Haare auszureißen oder ihre Nähte rauszuziehen?", lacht Chishiya hochnäsig und Ann bleibt aus der wissenschaftlichen und medizinischen Ansicht nichts weiter übrig, als nachzugeben. Chishiya setzt sich neben mich in das Auto und in dem Moment, als Niragi seinen Blick von dem Rückspiegel nimmt, zieht er mich zu sich. Als wir losfahren sehe ich zu dem fremden, verrücken Mann und erkenne, dass er einen schwarzen Gummiball in seiner Hand hält und ihn fasziniert ansieht, bevor er ihn immer wieder auf den Sitz vor ihn schlägt. Er muss an meinen schwarzen Glitzerball gekommen sein und das gefällt mir nicht. Chishiya hat ihn mir geschenkt und bis jetzt hatte ihn niemand sonst in der Hand. Er ist gerade dabei ihn kaputt zu machen, weshalb ich mich aufsetze und ihm den Ball abnehme. Er funkelt mich wütend an und schlägt wie ein trotziges Kind mit Fäusten auf mich, doch ich drücke den Ball nur näher an mich. Niragi bekommt das Theater des fremden Mannes mit und fährt absichtlich eine scharfe Kurve, weshalb der Mann gegen das Fenster geschleudert wird. Ich krabbele schon fast auf Chishiyas Schoß, um Abstand von dem Verrückten zu nehmen doch ehe ich etwas tun kann, zucke ich vor Schmerzen wieder zusammen. 

Da ich auf Chishiya sitze und Niragi den Wagen lenkt, muss ich den fremden Mann beruhigen. Ich nehme sein Handgelenk und mit der anderen Hand winke ich beruhigen. Ich fasse an meine Seite und während ich meine Finger die Wunde drücke, vergrabe ich mein Gesicht in Chishiyas Schulter. Nach einen kleinen Aufschrei führe ich meine blutigen Finger zu dem Unterarm des Fremden und zeichne ein kleines Muster. Es scheint ihn zu beruhigen und er betrachtet erstaunt seinen Unterarm, während ich erleichtert aufatme und kraftlos über Chishiya liegen bleibe. 

Im Hotel angekommen reißt Niragi den verrückten Mann von der Rückbank nach draußen und verpasst ihm einen Schlag mit dem Rücklauf seines Gewehres. Ann und Chishiya heben mich irgendwie hoch und ich drifte wieder ab. Zu Bewusstsein komme ich erst wieder, als ich eine weiche Decke über mir spüre. 

"Chi...", beginne ich aber ich werde direkt unterbrochen.

"Ich bin hier", höre ich Chishiyas ruhige Stimme und öffne langsam meine Augen. Er hat auf einem Sessel neben dem Bett Platz genommen und lächelt mich sanft an. Plötzlich hält er den schwarzen Gummiball zwischen unsere Gesichter und ich atme erleichtert aus.

"Mein Glücksbringer", lächele ich und der Mann neben mir grinst nur einen kleinen Moment.

"Also wenn das dein Glücksbringer ist, müssen wir dir wirklich einen neuen besorgen", sagt er mit einer Mischung aus einer trockenen und amüsierten Stimme. Wenn wir im Hotel sind, muss sich die Führungsrege auch um den verrückten Mann gekümmert haben. Ich setze mich schnell auf und sehe Chishiya fragend an.

"Der Mann"

"Der Militärtrupp hat ihn in einem der Zimmer eingesperrt und verbarrikadiert. Sie überlegen noch ihn zu töten"

"Ich kann mit ihm reden", sage ich nur. Der Mann kann doch nichts dafür, und besonders im Borderland kann ich verstehen, dass er komplett von der Rolle ist. Die meiste Zeit konnte ich ihn beruhigen und er scheint auf mich reagiert zu haben, ich möchte nicht dass Niragi und seine Männer ihn einfach erschießen und ihn ihm Container mit der blauen Plane verschwinden lassen. 

"Ich weiß, aber ruhe dich erst einmal aus"

"Warum sitzt du auf dem Sessel?", frage ich ihn und deute damit an, dass er sich zu mir ins Bett legen kann. 

"Ich will dir nicht wehtun"

"Vollidiot", sage ich nur und ziehe ihn an der Hand zu mir. Er lässt sich einfach führen und gibt nach. Er legt sich neben mich und legt vorsichtig einen Arm um mich, weshalb mein Herz ein wenig schneller schlägt und doch beruhigt mich seine Berührung. Mit der leichten Röte in meinen Wangen schlafe ich langsam ein und genieße es einfach, die Nähe von Chishiya zu spüren. 

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt