Kapitel 70 - Goldregen

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Chishiyas Sicht

Verschlafen und immer noch müde öffne ich meine Augen. Ich drücke mein Gesicht leicht in Sayuuris Haare, bevor ich beschließe mich von der Mitte des Bettes wieder auf meine Seite zu drehen. Ich wollte Sayuuri eigentlich erst einmal nicht mehr hier übernachten lassen, aber irgendwie konnte ich einfach nicht nein sagen. Besonders nicht nach dem, was vorletzte Nacht fast passiert ist. Ich weiß nicht warum ich das getan habe oder wie ich die Kontrolle über mich verlieren konnte, aber es hat sich richtig angefühlt sich zu ihr runter zu beugen. Ich kann es gar nicht leiden wenn mein Kopf sich ausschaltet und ich unachtsam werde. Eines der vielen Gründe, weshalb ich das menschliche Herz nie verstehen wollte. Es ist dazu da uns am Leben zu halten und Blut durch den Körper zu pumpen, nicht um irgendetwas zu fühlen oder zum Lieben da zu sein. Bei dem Wort verziehe ich mein Gesicht angewidert und starre an die Decke. Menschen machen so einen großen Wirbel um dieses Wort, dabei ist es einfach nur ein Wort. Liebe ist ein von Menschen erfundenes Gefühl, dass es in der Natur nicht gibt.

Ich sehe nach rechts zu dem Mädchen neben mir und bemerke, dass sie zittert. Seltsam, es ist relativ warm hier im Zimmer und sie trägt immer noch ihren schwarzen Pullover. Ich lege ihr einen Teil meiner Decke über in der Hoffnung, dass ihr nicht mehr so kalt ist. Sie rührt sich plötzlich und dreht sich zu mir um was mich leicht überrascht, denn ich dachte sie würde schlafen. Sie sieht mich mit traurigen Augen an und mir bleibt für einen Moment der Mund leicht offen stehen. Habe ich irgendetwas falsch gemacht?

"Chishiya, mir geht es nicht gut", flüstert sie schon fast und ich bin plötzlich hellwach. Mir ist vorhin schon aufgefallen, dass sie ziemlich viel Wasser getrunken hat. Ich wollte sie in meiner Nähe wissen, falls irgendetwas nicht stimmen würde und wie immer hatte ich recht. Obwohl ich dieses Mal gehofft hatte, dass es nicht so wäre. Ich steige schnell aus dem Bett und laufe zu dem Lichtschalter am anderen Ende des Raumes. Sayuuri setzt sich an das Fußende des Bettes und ich kann schon von hier aus erkennen, dass sie nicht gut aussieht. Ihr Gesicht ist ganz blass und auf ihrer Stirn haben sich Schweißperlen gebildet. Leise fluchend laufe ich wieder zu ihr und versuche mir ein Bild zu machen. Ihre Stimme klingt brüchig und sie zittert unkontrolliert am ganzen Körper. Mit einer Hand hält sie sich den Bauch und mit der anderen stützt sie sich am Bett ab. Ich nehme sie leicht am Kinn um ihren Kopf anzuheben und ihre Augen zu überprüfen.

"Ich hole Ann, du bleibst hier", sage ich als ich ihre riesigen Pupillen sehe. Verdammt, wieso hat sie mir denn nicht früher gesagt, dass sie sich nicht gut fühlt? Manchmal kann sie so ein Sturkopf sein! Wie kann ein Mensch der so clever ist manchmal so dumm sein. Ich klopfe laut an Anns Zimmertür und nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet sie genervt und funkelt mich wütend an.

"Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?"

"Ich brauche deine Hilfe", sage ich streng. Ann verdreht nur die Augen und möchte die Tür wieder schließen, aber ich stelle meinen Fuß dazwischen. "Sayuuri geht es nicht gut"

Ich versuche wie immer ruhig zu bleiben aber ich kann nicht leugnen, dass mein Herz ein wenig schneller schlägt und ich unruhig werde. Anns Gesichtsausdruck wirkt nicht mehr ganz so hart und sie nickt nur stumm. Wir laufen zu meinem Zimmer und sobald wir die Tür erreichen drängelt sich die Frau an mir vorbei. Ich schließe die Tür hinter mir und beobachte, wie Ann sich neben Sayuuri hinsetzt und ich sehe sie wütend an. Ich kann es nicht leiden, wenn sich jemand auf mein Bett setzt oder sich einer aus der Führungsrege in meinem Zimmer aufhält. Ich verkneife mir ein bissiges Kommentar und schlucke meinen Ärger herunter.

"Was machst du um diese Uhrzeit noch hier?", fragt Ann als erstes und ich möchte schon eingreifen, aber Sayuuri kommt mir zuvor.

"Wir haben noch Karten gespielt", sagt sie überzeugend und ich entspanne mich wieder. Niemand außer Kuina weiß, dass wir ab und zu beieinander schlafen und das muss auch so bleiben. Aber bei Sayuuri brauche ich mir keine Gedanken zu machen, dass sie es aus Versehen jemanden erzählt. Ann kontrolliert ihren Puls und ihr scheint ebenfalls aufzufallen, dass die Pupillen geweitet sind.

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt