Prolog

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Zwei Frauen traten auf den Marktplatz.

Eine von ihnen stolzierte geradezu über das Pflaster, auf hohen, glatt rasierten Stelzenbeinen, die durch ihren kaum knielangen, modischen Rock, ihre glänzende Nylonstrumpfhose und ihre tiefroten High Heels perfekt in Szene gesetzt wurden. Ihr legerer, schwarzer Blazer lag eng um ihre Puppentaille und auch die helle Bluse darunter schmeichelte ihrer schlanken Figur sehr. Die mit Haarspray fixierten und perfekt frisierten Haare fielen ihr in goldenen, wohl sorgsam vor dem Spiegel erzeugten Wellen über die schmalen Schultern und rahmten ihr Gesicht ein. Ihr Gesicht war nicht ganz so puppenhaft wie ihre übrige Erscheinung, wirkte etwas härter durch das leicht kantige Kinn und die hohen Wangenknochen, war aber wie der Rest außergewöhnlich attraktiv und makellos inszeniert, mit Rouge und einem Lippenstift in der Farbe ihrer Schuhe. Ihre filigran gearbeitete Halskette glitzerte schwach, von einem Strahl der herbstlichen Vormittagssonne getroffen.

Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er sich vorstellte, wie diese Frau noch schöner werden könnte. Ein Ring aus blauen Flecken und roten Schürfwunden um ihren dünnen Hals herum würde doch sehr gut zu ihrer Halskette passen – besonders auf totenblasser Haut sollten diese Farben wundervoll zur Geltung kommen. Genauso wie Rot, ein Blutrot ähnlich dem ihrer Lippen und Schuhe, einen schönen Akzent auf ihre helle Bluse setzen würde. Und Haarspray brannte beispielsweise ganz fantastisch– genauso wie Wasserstoffperoxid, wenn er sich nicht irrte. Und er irrte sich selten.

Im Grunde genommen war es aber egal, für welchen Eingriff er sich entschied. Hauptsache, sie hielt endlich ihren Mund und hörte auf, seine Alena zu ärgern.

Alena, die Frau, die neben ihr ging, die niemand sonst auf dem Marktplatz Freudenstadts beachtete, nicht mit der langbeinigen Blondine neben ihr. Nur er allein sah sie und das war ihm eigentlich auch ganz recht. Sie gehörte ihm. Sie wusste es nur noch nicht, doch bald, bald würde sie es erfahren.

Bis dahin müssen wir uns leider beide noch kurz dieses lästige Geschwätz anhören, sagte er in Gedanken zu ihr. Aber ich werde uns bald davon erlösen.

„Ich habe gehört, dass Sie sich auch für die Stelle in Stuttgart beworben haben." Wegen des lauten Klackerns ihrer Schuhe hätte es unter Umständen schwierig werden können, ihre Stimme zu hören, doch zum Glück sprach die Frau so laut, dass er problemlos jedes Wort verstehen konnte. Was für ein Glück. Es war ihm tatsächlich ein Rätsel, wieso niemand auf dem Platz den Anschein erweckte, den Monolog zu verfolgen. Aber möglicherweise waren die anderen ebenso gut darin, sich das Lauschen nicht anmerken zu lassen, wie er. Tatsächlich eher unwahrscheinlich.

„Tja." Die Frau warf gekonnt dramatisch ihre Haare zurück. „Schade, dass es nicht geklappt hat." Alenas genervter Blick brachte ihn zum Schmunzeln und bestärkte ihn gleichzeitig auch in seinen Plänen. Dafür würde diese Frau sterben. „Aber ich denke, die wissen schon, warum sie sich so entschieden haben." Dafür, dass sie so mit Alena sprach. Dass sie ausgerechnet von diesem Thema anfing. Dass sie ihr die Niederlage so unter die Nase reiben musste. Es war ihm noch immer unverständlich, wieso Alena die Stelle in Stuttgart nicht bekommen hatte. Doch es hatte auch sein Gutes – so würde sie hier bleiben, bei ihm.

„Vielleicht sind Sie einfach noch zu unerfahren." Jung war sie vielleicht, seine Alena. Aber unerfahren sicher nicht. Vor allem nicht wesentlich unerfahrener als diese Schnepfe, die selbst nur vier Jahre älter war. Und die verdammte Stelle an ihrer statt ergattert hatte! „Noch nicht..." Sie suchte nach dem richtigen Wort, nach der besten Beleidigung, die ihr einfallen konnte. „Reif genug." Schwach. Verbal schwach.

Aber ihr Blick – diese Abfälligkeit, mit der sie Alena von Kopf bis Fuß musterte. Seine rechte Hand ballte sich zur Faust, als er diesem verächtlichem Blick folgte. Bei den Schuhen fing die Musterung an: bequeme, abgetragene Turnschuhe, von Staub und Schmutz bedeckt eher grau statt ehemals wohl blau. Der Abstand zwischen den schwarzen Sommersocken, die wahrscheinlich eher zufällig irgendwie zu den Schuhen passten, und dem Saum ihrer Jeans war kein modischer Kniff, sondern der Tatsache geschuldet, dass sie sich nicht die Mühe gemacht hatte, eine Hose zu finden, die ihr perfekt passte, und sich stattdessen mit dem, was sie vermutlich als Erstes anprobiert hatte, zufrieden gegeben hatte. Das dunkelgraue T-Shirt war nicht bedruckt und locker geschnitten; die dünne Jacke darüber war an einem Ärmel mit Farben bekleckst, obwohl Alena selbst nicht malte – ein Flohmarktschnäppchen.

Spiel mit dem MörderWhere stories live. Discover now