Kapitel 109 - Ungutes Gefühl

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Ungeduldig lehne ich meinen Hinterkopf an die Mauer und unterdrücke ein gelangweiltes Stöhnen. Ich habe meinen Platz im dritten Stockwerk mit Sicht auf die Empore eingenommen und sitze mit einem Bein angewinkelt auf dem Mauergelände. Nervös kaue ich auf den Seiten meiner Innenwange herum und werfe meinen Gummiball vorsichtig an die gegenüberliegende Mauer, damit er nicht in die Eingangshalle nach unten fällt.  

Alle wartenden Beachmitglieder im Erdgeschoss reden wild umher, weshalb ich nicht einmal meine Aufmerksamkeit auf die Empore richten muss um zu wissen, dass der Hutmacher noch nicht dort ist. Jedoch kann ich in der Menge verschiedene von der Führungsrege ausmachen. Am Treppenanfang steht Ann und scheint die Zettel mit der Fahrzeugzuteilung schon verteilt zu haben, weshalb sie mit verschränkten Armen dasteht und die anderen genervt mustert. Aguni sehe ich durch den Haupteingang verschwinden, wahrscheinlich um nach seinem Wagen zu sehen oder noch einige Waffen zu holen. Mitten in der Menge entdecke ich Kuinas Dreadlocks und neben ihr etwas kleiner eine weiße Kapuze von Chishiya. 

Heute spielt fast das ganze Hotel, ebenso Izumi, Katsu und Satoru. Selbst mein Onkel und Tayuya. Yuudai und ich sind von uns die einzigen, die verschont wurden jedenfalls für diesen Abend. Dafür sind wir in zwei Tagen wieder eingeteilt, wobei es ein wenig anders als sonst ablaufen wird. Alleine in den letzten zwei Tagen war deutlich spürbar, wie sich die Lage hier deutlich angespannt hat. Es fehlen nur noch wenige Spielkarten, der Hutmacher wird immer besessener je näher er seinem Ziel kommt. Er hat die Gruppen welche zusammen arbeiten verkleinert, damit wir in kurzer Zeit mehr Spielorte abdecken können. Übermorgen setzt mich meine Fahrgemeinschaft an einem Spielort ab und fährt weiter, womit ich alleine antreten werde. Aber das ist nicht der Grund, warum ich unruhig mit dem kleinen, schwarzen Ball in meiner Hand spiele. 

Schon als ich heute Morgen aufgewacht bin hatte ich ein ungutes Gefühl was die heutigen Spiele angeht. Ich musste es nicht laut aussprechen, Chishiya hat es spätestens beim Mittagessen bemerkt und hat es auf das Wetter oder Stimmungsschwankungen geschoben. An weibliche Intuition scheint er in diesem Fall nicht zu glauben, was ich aber auch nicht erwartet habe. Trotzdem hat er sich überreden lassen, dass ich mir seinen schwarzen Pullover leihe. Zum einen weil mich dieses schlechte Gefühl einfach nicht loslässt, zum anderen weil es in ganz Tokio wie aus allen Wolken zu schütten scheint. Da er den Hoodie nur selten trägt war es auch kein großes Risiko, da die meisten die ihn darin gesehen haben auch spielen. 

Die Wärme und der Geruch beruhigen mich ein wenig, trotzdem zittern meine Hände leicht und mein Bein wippt unruhig. Während ich auf den langen Flurgang vor mir sehe, kaue ich sachte an meinem linken Daumennagel. Ich sollte mich einfach entspannen, wenn ich mich verrückt mache nützt das niemanden. Meine Aufmerksamkeit schweift wieder zu der Menschenmenge und mein Blick wird erwidert. Selbst aus dieser Entfernung sieht Chishiya, wie unruhig ich bin und sieht mich nur mit einem leichten Grinsen an, bevor er wieder starr und gelangweilt nach vorne sieht. 

Ich atme nur tief aus und sehe gerade zum richtigen Zeitpunkt auf die Empore, als der Hutmacher mit ausgebreiteten Armen zum Geländer läuft. Irgendetwas an seiner Art wie er auftritt ist anders. Seine Bewegungen sind umfassender und seine Stimme schwingt mehr als sonst, wobei seine Augen nur eines ausstrahlen: Gier. Alleine bei dem Anblick wird mir klar, dass es nicht mehr der selbe Mann ist, welcher mir seine drei goldenen Regeln erklärt hat und mit dem ich ab und zu etwas trinken war. Ich habe Chishiya bereits gesagt, dass ich vermute Damna verfällt dem Narzissmus, aber das es so schnell gehen würde hätte ich nicht gedacht. Für eine Weile war ich mir sicher, dass Aguni und den Hutmacher etwas verbindet, vielleicht eine Freundschaft. Aber sie sehen sich mittlerweile nur noch mit strengen und konkurrierenden Blicken an, und das fällt nicht nur mir auf. 

"Auf in die Spiele und sammelt alle Karten ein", reißt mich die euphorische Stimme der Nummer eins aus den Gedanken und ich kann nur noch beobachten, wie meine Freunde in dem Strom der Leute untergehen. Seufzend ziehe ich mir die Kapuze des Hoodies über den Kopf und lehne meinen Hinterkopf wieder gegen die Steinmauer hinter mir. Ich schließe meine Augen, drücke fest meinen Flummi und versuche ein für alle mal dieses seltsame Gefühl loszuwerden. 

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt