16.Kapitel

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Nervös setzte ich mich hin und spielte an meinen Haaren. Meine Eltern nahmen links und rechts von mir Platz. Mir gegenüber saß Frau Seidner, meine Therapeutin. Heute hatten wir ein Gespräch zusammen mit meinen Eltern, was immer die Hölle für mich war, vor allem wenn nicht nur meine Mutter, sondern auch mein Vater dabei war. Ich ging so schon fix und fertig aus den Therapiestunden, aber die normalen waren nichts im Vergleich zu solchen, wie ich sie heute hatte. Fünfzig Minuten musste ich das jetzt irgendwie aushalten und hoffen, dass ich die Stunde überstand. Ich sah mich schon vor meinem inneren Auge, wie kaputt ich nach dem Gespräch war. Irgendwie war das schon lächerlich. Es war schließlich nur ein Gespräch, keine sportliche Aktivität oder sonst was. Trotzdem fühlte ich mich danach auch körperlich so fertig, als hätte ich zwei Stunden Sport gemacht, statt fünfzig Minuten ein Gespräch verfolgt und hin und wieder etwas gesagt zu haben.

»Schön, dass ihr gekommen seid«, fing meine Therapeutin gleich an und lächelte freundlich. »Ich habe mir gedacht, dass wir wie immer am Anfang das mit den Zetteln machen und erst im Anschluss den Rest besprechen.«

Meine Eltern stimmten zu und ich war jetzt schon wieder froh, dass das Elterngespräch nur selten stattfand. Ich hoffte, heute würde es nicht so schlimm werden. Das hoffte ich jedes Mal - und trotzdem war es dann doch wieder total schlimm, sodass ich wie ein Häufchen Elend in diesem Zimmer saß. Konnte das Gespräch nicht jetzt schon vorbei sein? Warum musste ich da überhaupt dabei sein? Reichte es nicht, wenn Frau Seidner alleine mit meinen Eltern sprach?

»Also, jeder bekommt je einen roten und einen grünen Zettel. Der Grüne wird mit den Dingen beschrieben, bei welchen Katharina seit dem letzten gemeinsamen Gespräch Fortschritte gemacht hat, während der rote Zettel mit solchen beschrieben werden soll, die noch nicht so gut funktionieren«, erklärte sie das Prinzip, das wir mittlerweile schon gut genug kannten. Immerhin machten wir das bei jedem Elterngespräch, und zwar schon seit ich bei Frau Seidner in Therapie war.

Meine Mutter nahm als erstes den grünen Zettel, mein Vater den roten.

Nach drei Minuten Stille, in der man nur das Kratzen der Kugelschreiber auf dem Papier hörte, waren wir fertig.

»Gut, fangen wir als erstes mit den grünen Zetteln an. Wollen Sie einmal vorlesen, was Sie geschrieben haben?«, fragte Frau Seidner schließlich meine Mutter, die nickte und sich so über den Zettel beugte, dass ihre braunen Haare nach vorne fielen. Sie schob diese wieder hinter ihr Ohr, bevor sie anfing zu reden.

»Ich habe aufgeschrieben, dass Katharina seit diesem Schuljahr einen ziemlichen Entwicklungsschub gemacht hat, also mehr Kontakt zu Gleichaltrigen und jetzt auch einen Freund hat. Das war das, was mir am meisten aufgefallen ist«, erzählte meine Mutter und Frau Seidner nickte, während sie anfing etwas auf ihrem, vor kurzem noch leeren, Block zu schreiben.

»Da stimme ich ihnen zu. Was steht bei Ihnen auf dem Zettel?«, wendete sie sich nun an meinen Vater.

»Auch, dass Katharina jetzt einen Freund hat«, sagte er und ich knetete unwohl meine Finger, während meine Therapeutin wieder etwas aufschrieb, unleserlich wie immer. Aus den Mündern meiner Eltern hörte sich das, dass ich einen Freund hatte, so beschämend an, obwohl sie es eher stolz beziehungsweise im Fall von meinem Vater neutral gesagt hatten.

»Gut, was hast du aufgeschrieben, Katharina?«, fragte meine Therapeutin nun auch mich und lächelte freundlich.

»Eigentlich dasselbe wie meine Eltern«, sagte ich und merkte, wie ich langsam aber sicher rot anlief. Warum war mir ein Freund so verdammt peinlich? Andere erwähnten das bei jeder Gelegenheit und ich versuchte, das nie auszusprechen. Irgendwas lief da doch in meinem Gehirn gewaltig falsch.

Mehr als nur extrem schüchtern | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt