Kapitel 120 - Neuankömmlinge

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Diesen Morgen wurde ich nicht durch die kitzelnden Sonnenstrahlen an meiner Nase geweckt, nicht durch ein störendes Klopfen an der Tür oder durch einen Alptraum. Ich wurde wach durch ein leichte Berührung an meinem Handgelenkt und öffne ausgeruht meine Augen. Chishiya scheint es nicht zu bemerken und ich beobachte einen Moment, wie er über eine bestimmte Stelle sanft streicht und sie schon fast in Trance beobachtet. Still sehe ich einen Augenblick zu der Stelle, bis ich bemerke wie er über mein unscheinbares Tattoo streicht, welches nur Kuina jemals bei mir bemerkt hat.

Was muss er nur von mir denken, wenn er das Zeichen für die Herz Königin an meinem Handgelenk sieht. Kuina hat mir geraten es niemals für jemanden von der Führungsrege sichtbar zu machen, aber zählt Chishiya immer noch zu diesem Personenkreis?

"Morgen", sage ich halb verschlafen und habe die Absicht ihn damit aufschrecken zu lassen, falls er es erst jetzt bemerkt haben sollte.

"Morgen", sagt er mit einer rauen Stimme, lässt aber nicht einen Moment von meinem Handgelenk ab. Weiterhin streicht er sanft darüber und sein Blick wirkt schon fast fixiert. Ihm ist es also gleichgültig, wenn ich seine Musterung mitbekomme.

"Du hast es schon länger bemerkt", stelle ich laut fest und er sieht zum ersten Mal zu mir, bevor er leicht anfängt überlegen zu grinsen. Dann sieht er aber wieder wie begannt zu dem Tattoo und nickt leicht. Ich wundere mich schon gar nicht mehr darüber, was ihm alles auffällt und das er die Dinge anders wahrnimmt als andere Menschen. Normale Menschen.

"Ich habe es schon vor ein paar Wochen gesehen, auch das Gegenstück an deinem anderen Handgelenk", sagt er verträumt und spielt auf den Pik König hin. Zweifel kommen in mir auf. Ich meine wir sind im Borderland, wo sich alles um Spielkarten dreht und wenn jemand das ernst nimmt, dann Chishiya Shuntaro. "Ich finde sie wunderschön"

Für einen kurzen Augenblick zucke ich zusammen, doch dann erfasst mich ein unglaubliches warmes Gefühl in meiner Brust, bevor auch meine Wangen beginnen zu glühen.

"Ich hatte schon immer eine Affinität für Spielkarten", sage ich ehrlich und senke meinen Blick auf die Bettdecke, doch er lacht nur leise und ich merke wie sanft und behutsam er darüberstreicht. Verwundert sehe ich zu ihm, da diese zärtliche Geste unwirklich scheint zu dem was wir in letzter Zeit durchgemacht haben. Oder einfach, weil ich wahrscheinlich die einzige bin, die ihn jemals so erleben darf. "Seit wann hast du es?"

"Ich habe es mit siebzehn stechen lassen. Es hat mich irgendwie angezogen. Ich habe auch überlegt mir die Karo-Ass stechen zulassen, kam aber noch nicht dazu", gestehe ich und beobachte ihn die ganze Zeit. Er sieht zu mir und unsere Augen treffen sich. Sein Gesichtsausdruck und seine Körpersprache zeigen mir, dass er mir jedes Wort glaubt.

"Was ist an diesem Handgelenk passiert?", fragt er mit gerunzelten Augenbrauen und erst jetzt spüre ich ein leichtes Ziehen in dieser Gegend. Als Chishiya seinen Griff lockert sehe ich eine leicht blaue Spur, welche in den nächsten Tagen noch andere diverse Farben annehmen wird.

"Aguni", sage ich schlicht, verhindere ein zusätzliches Zähneknirschen und ziehe meinen Arm weg. Aber so früh am Morgen will ich keine schlechten Gedanken haben, also ziehe ich den Saum der weißen Weste um meinen Körper ein wenig enger und lege meinen Kopf wieder auf seine Schulter. Meinen Arm lege ich leicht auf seine Brust und atme entspannt aus, was er versteht und nur schnaufend grinst. Er selbst legt mir seine Hand in den Nacken und streift die Kapuze, welche ich seit gestern Abend immer noch trage, vom Kopf und sieht leicht zu mir runter.

Ich finde es gut so wie es zwischen uns ist. Doch obwohl sie tot ist schweift mir immer noch Tayuya im Kopf umher. Sie war offensichtlich ein Nutzmittel, aber wer kann mir versichern, dass er nicht wenn nötig das nächste Nutzmittel küsst? Noch einmal mich so lange zu distanzieren könnte Langzeitfolgeschäden nach sich ziehen, schließlich habe ich am eigenen Leib gelernt, dass fast alles hier im Borderland Wunden hinterlässt.

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt