Kapitel 18

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Mir begegnen einige Asen, sonst niemand. Irgendwann finde ich mich draußen wieder. Der Tag scheint sich langsam aber sicher dem Ende zu neigen und mir wird erst jetzt wieder bewusst, dass ich heute noch so gut wie gar nichts gegessen hatte. Ich schleiche durch die Straßen Asgards und bewundere die Häuser, als ich Schritte hinter mir höre. Ich bleibe stehen, drehe mich um und erblicke Loki, der auf mich zugelaufen kommt. "Komm mit!", sagt er, nimmt meine Hand und zieht mich mit.

"Wohin willst du?", frage ich ihn verwirrt, laufe aber mit.

"Das wirst du schon noch früh genug sehen", antwortet er mir und ich gebe mich geschlagen. Er führt mich aus der eigentlichen Stadt hinaus und zu der riesigen Mauer ganz am Rande. Von Innen ist es ein Leichtes sie zu erklettern und zusammen machen wir es uns auf der Mauer gemütlich. Unter uns liegt das berühmte Idafeld, dahinter die goldene Stadt. Der Gott sitzt schweigen neben mir und lächelt still in sich hinein. Erwartungsvoll schaue ich abwechselnd ihn und die Stadt an. Ich weiß worauf er hinaus möchte. Das Ende des Tages rückt immer näher und die Sonne wandert langsam aber stetig dem Horizont entgegen.

Mit jeder Minute die wir beiden warten, färbt sich der Himmel ein Stück mehr. Anfangs nur ein leichtes Violett, doch nun strahlt er in einem atemberaubenden Rot. Er hat nicht zu viel versprochen, als er sagte, dass der Sonnenuntergang in Asgard unvergleichlich sei. Es ist, als würde ich in einem Traum sein, in einem verdammt schönen Traum. Auch die Stadt versinkt zunehmend in goldig roten Tönen und dann kommt der Moment, an dem Loki ins Schwärmen geraten ist. Die Sonne berührt die Erde und ein letzter, heller Kranz legt sich um den Horizont. Dann versinkt auch dieser und in kürzester Zeit verschwindet die Stadt in der Dunkelheit. Nur noch leichte Schemen lassen sich ausmachen, wo Minuten zuvor noch die riesigen Prachtbauten standen. Niemand sagt ein Wort, es herrscht eine absolute Stille zwischen uns. Jeder verarbeitet die Eindrücke, die gerade auf uns eingestürmt sind. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und breche das Schweigen: "Und du kannst dies jeden Abend bewundern. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen!" Und ich meine jedes einzelne Wort absolut und hundertprozentig ernst.

Er lächelt ein weiteres Mal, dann sieht er mich verschmitzt an: "Oh, es gibt Schöneres!"

Ich werde hellhörig. Was kann das nur sein?

Er muss an meinem Gesichtsausdruck erraten haben was ich wollte und antwortet mir grinsend: "Was es Schöneres gibt? Eines Tages, da hat Odin mir Yggdrasil, den Weltenbaum gezeigt. Er ist überall, er ist alles und nur Wenigen ist es möglich ihn als Ganzes zu sehen. Odin besitzt diese Gabe und er hat mich daran teilhaben lassen." Er macht eine kurze Pause und überlegt einen Moment, dann fährt er fort. "Die Geburt eines Kindes! Ja, das ist viel schöner als dieser Sonnenuntergang. Sleipnir, mein Sohn ist mein Ein und Alles, nichts könnte schöner sein als er! Eines Tages werde ich ihn dir zeigen."

Ich nicke schweigend und genieße noch ein wenig die Zweisamkeit. Meine Gedanken schweifen ab, begeben sich in ferne Länder.

Es ist wunderschön, die Sonne scheint, alles ist friedlich. Ich stehe an einem kleinen, hellblauen Teich, welcher umringt von Farnen mitten auf einer Lichtung in einem alten Wald steht. Vereinzelt höre ich Vogelgezwitscher. Hinter dem kleinen Teich liegt ein grauer Stein. ich begebe mich zu ihm. Knie vor ihm nieder, damit ich die Schrift erkennen kann, die in ihn hineingeritzt wurde. Seicht fahre ich über die Kratzer. Sie scheinen sich zu verändern. Die Formen ergeben einen Sinn. Wieso? Steht dort. Ich schaue auf. Niemand ist zu sehen. Wieder schaue ich auf den Stein. Das Wort steht immer noch unverändert dort.

"Wieso was?", frage ich laut. Niemand antwortet mir. "Wieso?" Ich schreie fast, dann knicke ich in mich zusammen. Ganz langsam fange ich an zu verstehen. Mir kann niemand eine Antwort geben, denn es gibt keine. Ich will wissen, was hinter dem Wieso steckt. Möchte wissen, was die Antwort auf die Frage ist, aber ich muss einsehen, dass es Keine gibt.

You are always safe in my heartWhere stories live. Discover now