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»Was hältst du davon?«, fragt Hannah mich und hält zwei Kristallgläser hoch, die wahrscheinlich genauso bei meiner Oma im Schrank stehen könnten. Hilflos zucke ich die Schultern. Ich hatte es für eine gute Idee gehalten, als Hannah mich gestern Abend gefragt hatte, ob ich sie zum Flohmarkt begleiten wolle. Sie hatte regelrecht davon geschwärmt und mir ein halbes Dutzend Dinge allein nur in unserer Küche gezeigt, die sie schon bei diversen Flohmärkten ergattert hatte. Also hatte ich ihr vertraut und zugestimmt.

»Ich nehme sie«, verkündete Hannah und gab dem Verkäufer zwei Euro. Freudestrahlend kam sie zu mir zurück. »Dann mixe ich uns heute Abend einen Drink!«

»Mach das«, murmele ich und muss mir ein Schmunzeln verkneifen. Als Hannah Flohmarkt sagte, hatte ich an Kleiderständer voller hippen Sachen gedacht, wie man sie von Berlin kannte. Stattdessen war auf dem Asphaltplatz eher Ramsch und Krempel. Und weniger Klamotten.
Ich bin gerade erst in meine eigene WG gezogen in eine mittelgroße, unbedeutende Stadt irgendwo in Deutschland. Weil ich hier meine einzige Zusage hatte. Oder zumindest die einzige Zusage, die für mich in Betracht kam, da ich nicht zuhause studieren wollte. Ich sollte mich also vielleicht umsehen, um mein Zimmer noch etwas aufzuhübschen. Aber im Gegensatz zu Hannah habe ich nicht das Auge für kaputte Dinge, die man in etwas Schönes verwandeln kann. Ich sehe einfach nur kaputte Dinge.

»Das andere Mädchen hat mir geschrieben. Sie zieht in zwei Wochen ein«, meint Hannah, während sie ihre Sonnenbrille aufsetzt. »Also können wir ihr Zimmer noch etwas länger als Abstellraum missbrauchen.« Hannah grinst und ich kann nicht anders und grinse zurück. Dann wird aus unserer noch Zweier-WG eine Dreier-WG.

Gemeinsam schlendern wir eine Runde über den Platz. Hier und da bleibt Hannah noch ein paar Mal stehen und ich warte stumm, bis sie wieder zu mir zurückkommt.

Es ist Spätsommer. Vereinzelt färben sich die Blätter der Bäume am Straßenrand rot und gelb und überall sind Menschen unterwegs, um noch die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres zu erhaschen.

»Oh Mia!«, ruft Hannah da und packt mich am Arm. »Sieh mal!« Sie deutet auf eine ramponierte Kommode, die neben anderen kaputten Möbeln steht. Ich lege den Kopf schief und mustere das hellbraune Holz, das hier und da aufgequollen ist. Hannah quietscht aufgeregt. »Die würde perfekt in unseren Flur passen!«

»Ich weiß nicht«, gestehe ich, aber Hannah geht schon näher an die Kommode heran, berührt die schwarzen Knaufe der Schubladen und rüttelt daran. Seufzend folge ich meiner Mitbewohnerin und stelle mich wenig hilfreich neben sie, um wenigstens den Anschein zu erwecken, ich hätte Ahnung von Upcycling.

Der Verkäufer des Flohmarktstandes wird auf uns aufmerksam und kommt auf uns zu.
»Wie viel kostet die?«, will Hannah wissen und ich bewundere ihre Zielstrebigkeit.
»50 Euro«, antwortet er und Hannah schürzt die Lippen.

»Können wir sie für 20 haben?« Jetzt bewundere ich ihren Mut. Ich hätte sie entweder für 50 genommen oder wäre weitergegangen, aber mit wildfremden Menschen zu diskutieren liegt mir nicht.

Der Verkäufer schüttelt den Kopf. »Das ist viel zu wenig.« Er belächelt sie, aber Hannahs Augen funkeln in der Septembersonne. Sie zeigt auf die Kratzer, die Holzverkleidung, die abblättert, die aufgequollenen Stellen und beginnt ihm unter die Nase zu reiben, dass ihre Oma dieses Modell schon in ihrer Wohnung hatte. Das und die ganzen Gebrauchsspuren würden niemals 50 Euro rechtfertigen.

»25«, sagte sie also und verschränkt die Arme vor der Brust und reckt das Kinn. Der Verkäufer hört auf zu lächeln und mustert sie nun von oben bis unten.

»30«, feilscht er. Jetzt ist es Hannah, die lächelt.

»30«, bestätigt sie und deutet auf eine billige Plastikpflanze. »Und die gibts obendrauf dazu.«
Der Verkäufer überlegt, Hannah streckt stumm die Hand aus und schließlich schlagen sie ein. Unsere WG ist jetzt um eine Kommode reicher.

One Chance to ForgiveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt