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Der Wind fuhr mir in Kleider und bließ sie mir auf. Er hörte sich bei nah an wie ein Knurren, als würde er mir eine Warnung aussprechen wollen. Die hohen Gräser der moorigen Landschaft auf dem Hügel raschelten und unterstrichen damit sein Tosen, als wollten sie sagen: "Hör nur hin.". Doch ich hörte nicht. Ich stand einfach nur regungslos da und zitterte am ganzen Körper. Mein Herz schlug so schnell wie seit 100 Jahren nicht mehr. Beinahe meinte ich gleich die Stimme meiner Mutter zu hören, wie sie nach mir gerufen hatte: "Annea, los geht's noch einmal. Du gibst dich doch jetzt noch nicht geschlagen?" Wir waren oft hier gewesen, auf dem Hügel von York, wo jeder Laut von den umliegenden Wälder und Mooren bedingungslos geschluckt wurde. Hier hatte sie mir einige Kampfsportarten beigebracht. "Es ist wichtig, wenn du weißt, wie du dich selbst wehren kannst. Besonders als Frau" Auch das hat sie mir stets gepredigt. Aber ich hatte all dies vergessen, als ich Frederick kennenlernte. Letztendlich war ich doch so eine Art Frau geworden, die meine Mutter immer gehasst hatte. Ist es bloße Ironie, dass ich hierher geflohen bin ? Geflohen bin vor dieser lähmenden Angst?

Ich ließ mein Blick ins Tal schweifen auf die verwickelten und schiefen Hausdächer der Stadt, den hohen Kirchturm des Yorkminster und die Festung, die einst mein Zuhause war. Diese Stadt stellte einerseits das pure Glück für mich da sowie die Erinnerung an meine wundervolle Mutter und anderseits meine bahnbrechenden Fehler, meinen Untergang, meine ganz persönliche Hölle. Hier hat das gesamte Unglück angefangen, vielleicht schon mit meiner Geburt.

Der Wind rauschte wieder an mir vorbei und fuhrt mir in meine kurzen, schwarzen Haare. Die spätsommerliche Sonne verschwand am Horizont und taucht die Welt um sich herum in ein sattes goldorange und ich dachte genau in diesem Moment darüber nach, ob es ein Zufall war, dass ich genau jetzt wieder an die Vergangenheit und das Geschehene denken musste. Denn die Angst, die mich durchfahren hatte als ich Keylam berührt hatte, war alt oder besser gesagt uralt gewesen. Nur der Gedanke daran löste bei mir Schnappatmung aus und ich fing an am ganzen Körper zu beben. Es war als würde sich vor mir ein riesengroßes, schwarzes Loch auftun und ich würde hineinfallen. Immer tiefer, immer tiefer in die Angst. Sie verschlang mich und ließ nichts von übrig. Ein dunkler Strudel, aus dem ich nie wieder herausfinden würde. Und dieses Ziehen, dieses schreckliche Ziehen an meinem Herzen. Als würde ich bei lebendigen Leib in Stücke gerissen werden. Vielleicht schrie ich, ich weiß es nicht mehr. Ich verlor die Kontrolle über meinen Körper. Mir wurde heiß und kalt zu gleich und ich hatte das Gefühl meine Kehle wurde zugeschnürt. Ich war dabei zu ersticken. Ich kannte dieses Gefühl. Nur ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich so etwas gefühlt. Es war eine Angst ohne Boden. Wie gesagt, ein Loch, in das ich fiel. Es war die Angst, an der man drohte zu ersticken. Die Angst des Todes. Plötzlich sah ich schemenhaft den Balkon von meinem und Fredericks Schlafzimmer wieder. Die Türen standen weit offen und der Wind ließ die Vorhänge flattern. Es war kalt. Eine kalte Oktobernacht. Ich sah den Mann unter dem schwarzen Umhang. Ich hörte sein grässliches Lachen, meinen Schrei und ich sah sein blitzendes Messer. "Nimm mich, bitte. Ich bin an dem allen Schuld. Aber nicht meine Frau. Bitte nicht mein Frau. Anneaaaa!!", schrie Frederick...

Das ich halluzinierte und den unebenen Boden des Moores unter meinen Füßen nicht mehr spürte, wurde mir erst bewusst, als meine Beinen einknickten und ich wie ein leerer Sack in mir zusammenfiel. Ich spürte noch die langen Grashalme, die an meinem Gesicht und meinen Armen kratzen und dann war alles schwarz. So wie damals. So wie der Tod.

1802

Es war ein herrlicher Frühlingstag. Die Vögel auf den Dächern Yorks zwitscherten vergnügt ihr Lied und ließen einen voller Freude den nahenden Sommer und dessen Freuden erwarten. Die Menschen auf den Straßen und in den Gassen schöpften neue Lebensfreude und Hoffnung nach einem kräftezerrenden Winter. Die Stimmung war ausgelassen und in der Luft lag etwas von einem verheißungsvollen Neubeginn. Diese Worte flogen in meinem Kopf hin und her und ich verfluchte mich innerlich, das ich keinen Stift mitgenommen hatte. Alles was ich in meiner kleinen Ledertasche trug, war ein Buch. Ich ging nirgendwo hin ohne ein Buch und ganz sicher auch nicht bei so einem Wetter. Einem Wetter, das einem noch besser verhalf in die Welt eines Buches einzutauchen, denn es zeigte uns wie eine bessere Welt aussehen könnte, so eine wie in den Bücher. Verträumt blickte ich zu dem wolkenlosen, blauen Himmel auf, sah die Vögel fliegen und unterdrückte den Schrei, sie sollten mich mitnehmen. "Annea!Annea!", schrie plötzlich eine piepsende Stimme und aus einer der Gassen weiter vorn neben unserem Haus kam ein großer, schlaksiger Junge gerannt. Er wedelte mit den Händen und rannte durch die ganzen Menschen hindurch auf mich zu. "Willie!", rief ich ebenfalls erfreut. Ich verlor keine Zeit und raffte mein Baumwollkleid, welches für dieses bereits frühlingshafte Wetter eigentlich schon viel zu warm war und rannte meinem Freund entgegen. Ich hörte eine Stimme in meinem Kopf, die rief: "Eine Dame rennt doch nicht. Pfuiii" Aber ich lachte nur und ich lachte tatsächlich. "Junges Fräulein, passen Sie gefälligst auf!", rief eine Frau entrüstet, als ich an ihr vorbei rannte und versehentlich ihr Schulter streifte. Aber das war alles egal, als Willie die Arme ausbreitete, um mich zweifelsfrei zu umarmen. Ich sollte es nicht tun. Meine Mutter hatte gesagt: "Annea, ich erziehe dich zu einer jungen, unabhängigen Frau. Aber der Rest der Welt ist noch nicht bereit für dies. Ich will, dass du es mal besser hast, als ich es hatte. Ich will ein besseres Leben für dich. Darum bitte, sei nicht mehr ganz so vertraut mit William in der Öffentlichkeit. Ich weiß, wie nahe ihr euch steht und das ihre gute Freunde seit. Aber für die Leute sieht es nach etwas anderem aus. Sie werden denken, ihr verkehrt so miteinander ohne eine Heirat zu beabsichtigen." Trotzdem fiel ich jetzt erneut in seine Arme. Ich hatte ihn schon soo lange nicht mehr gesehen , weil er unglaublich viel in der Wirtschaft seines Vaters mitarbeiten musste. Als er mich an sich drückte, roch ich den vertrauten Geruch des Gasthauses: Bier, Fleisch und ein wenig Schweiß. Doch das störte mich nicht. Ich hatte ihn wieder und vielleicht würde er mich ja tatsächlich irgendwann einmal zu seiner Frau machen. Nein, ganz bestimmt werde ich mal William McAllens Frau. Dieses Gefühl, das ich spürte, während ich hier in seinen Armen lag, konnte mich nicht trügen. Wir mussten einfach füreinander bestimmt sein.....

Between You and HellDove le storie prendono vita. Scoprilo ora