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Rückblick, 15. Juli 1999, Berlin-Spandau:

POV Dag:

Der Wecker klingelt schrill. Dag dreht sich zum Nachtkästchen, greift nach dem Gerät und schmeißt es gegen die Wand. Totaler Abfuck, dieses Teil. Heute ist der erste Ferientag und natürlich muss das Ding trotzdem um 08:00 Uhr klingeln, damit er überhaupt aufsteht. Die Sonne scheint in sein Zimmer, Vögel zwitschern und im Haus ist noch eine angenehme Stille zu vernehmen. Er steht auf und tappt ins Badezimmer.
Noch ist es ruhig. Die letzten Wochen hing der Haussegen in der Familie Kopplin schief. Seine Mutter wusste genau, dass es in diesem Schuljahr nicht ausreichen würde für die Versetzung. Eine Woche lang sagte sie nicht viel und hielt bis zum Zeugnistag die Füße still. Gestern platzte die Bombe dann. Erst folgte eine Moralpredigt, dann beschimpfte sie die Lehrer und die Schule insgesamt und am Ende weinte sie bittere Tränen. Das ist noch nie passiert. Sie hatte noch nie vorher wegen ihm geweint. Bei dem Gedanken daran spürt Dag ein Stechen in der Brust.
Er liebte seine Mutter. Und ja es ist nicht immer so einfach mit ihnen. Trotzdem möchte er auf gar keinen Fall, dass ihr Kummer so groß wird, dass sie Tränen vergießt. Ja verdammt, er baute viel Scheiße und es hätte alles anders verlaufen können. Aber alles was er tut und macht, ist in den Augen anderer Leute einfach falsch. Dag geht mit einem um die Hüfte geschlungenen Handtuch zurück in sein Zimmer und zieht sich an. Sein Blick fällt in den Spiegel am Kleiderschrank. Müde blau-grüne Augen sehen ihn an, aber der Iro sitzt 1A.
"Guten Morgen. Ich wünsche dir alles, alles Gute zum Geburtstag, Dag", empfängt ihn seine Mutter in der Küche. Ach ja, das hatte er schon fast bei dem ganzen Ärger ausgeblendet. Endlich 16 Jahre. "Guten Morgen, danke Mama. Du wegen gestern nochmal. Es tut mir Leid, dass du wegen mir geweint hast", antwortet er, setzt sich an den Küchentisch und füllt eine Tasse mit Kaffee. Sie dreht sich kurz weg, nickt dann ernst und sagt leise: "Wir schaffen das wie immer zusammen. Ich fände es aber sehr schön, wenn du mehr mit mir reden würdest. Dich bedrücken so viele Sachen und du versuchst immer selbst damit umzugehen." Da hat sie schon Recht. Aber was soll er ihr denn bitte sagen?
Es klingelt an der Haustüre. Ja, so kann er der unangenehmen Situation entkommen. Dag springt auf und öffnet die Türe. Seine Laune bessert sich schlagartig. "Hiii, ich wünsche dir alles, alles Liebe und Gute zum Geburtstag", sagt Theresa fröhlich mit strahlenden Augen. Ihre halblangen dunkelroten Haare wehen im lauen Sommerwind und das macht sie einfach noch viel schöner. Sie tritt einen Schritt auf ihn zu und umarmt Dag herzlich.
Er saugt ihren Duft ein. Frisch, aber nicht zu blumig, eher holzig-lieblich, gepaart mit einer leichten Zigarettennote. Ihre Anwesenheit verlangt in ihm immer wieder den Drang ihr die Wahrheit über seine Gefühle zu offenbaren. Aber das geht nicht, weil sie nur beste Freunde sind. Sie löst sich mit einem kleinen Kuss auf seine Wange von ihm. "Hey Thesi, dankeschön und freut mich, dass du da bist", antwortet er, schließt die Haustüre und setzt sich auf die Treppenstufen.
"Ich habe ein kleines Geschenk für dich. Hoffentlich gefällt dir das", sagt Theresa lächelnd, setzt sich zu ihm und übergibt Dag ein kleines Päckchen. Gespannt reißt er das gelb-orange-gestreifte Papier auf. Ein weißes T-Shirt kommt zum Vorschein. Darauf hatte sie fein säuberlich die Logos seiner Lieblingsbands gezeichnet. Wow, das ist mal ein Geschenk. So persönlich und dass es auch noch von Thesi kommt, lässt sein Herz schneller schlagen.
Dag umarmt sie erneut und antwortet: "Ja klar, das ist mega. Dankeschön." "Ich möchte dir deine Laune nicht vermiesen, aber wollte nochmal sagen, dass es mir Leid tut, dass du das Schuljahr nicht geschafft hast. Wenn du magst, kann ich dir in ein paar Fächern Nachhilfe geben", platzt es aus ihr nach ein paar Minuten Stille heraus. Typisch Thesi. Punk mit ganz viel Herz und meist zu viel Moral.
Dag kramt in seiner Hosentasche und findet dann die Schachtel, er nimmt sich eine Kippe, zündet diese an und hält dann seiner besten Freundin das Feuerzeug hin. "Meinst du wirklich, dass das klappt? Ich glaube, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin und ich möchte auch eigentlich deswegen nicht mit dir streiten. Reicht schon, dass Mama gestern geheult hat", gibt er ihr eine Antwort. Sie bläst Rauch aus und sieht ihn dann an. Ihr Nasenpiercing blitzt mit ihren türkisen Augen im Sonnenlicht um die Wette.
Mein Gott, wie kann eine Frau so schön sein? Warum ist es nur so kompliziert? Er hat sie und doch hat er sie nicht. Wie lange soll das noch so funktionieren? Nur Freundschaft, nicht mehr. Fühlt sie wie er?

SDP - Was ist das zwischen uns beiden?Waar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu