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Das Leben ging weiter. Das Leben ging immer irgendwie weiter. Remus verbrachte Vollmond für Vollmond bei dem immer noch unentschiedenen Wolfsrudel, lauschte dem Werben der Todesser aus zweiter Hand und gab sich Mühe, den Versprechungen keinen Glauben zu schenken. 

Er wusste, es waren alles Lügen. Jemand, der Muggelstämmige aus der magischen Gesellschaft ausschließen wollte, würde den Werwölfen keinen Deut bessere Rechte zusprechen. Egal wie groß die Versprechungen jetzt waren, Remus glaubte mit keiner Zelle seines Körpers daran, dass ihre Situation unter einem Regime Voldemorts irgendwie besser wäre. 

Aber da waren die anderen Wölfe, die er in den letzten zwei Jahren kennen gelernt hatte, von denen er einige sogar beinahe zu seinen Freunden zählen würde, auch wenn sie kaum etwas über ihn wussten (sie kannten nicht einmal seinen Namen, er nutzte den Decknamen Raoul Rawlins, der, wenig überraschend, auf Sirius' Mist gewachsen war). Die anderen Wölfe glaubten den Todessern. Nicht alle, aber einige. Remus wusste nicht, wieso, vermutlich klammerten sie sich einfach an die Hoffnung, dass es irgendwie besser würde. Der Hass auf die alten Mächte, das Ministerium, Dumbledore, taten wahrscheinlich ihren Teil. Remus war nie deutlicher als hier geworden, dass er innerhalb einer unterdrückten Minderheit vermutlich einer der privilegiertesten war. Er hasste es.

Die Wölfe saßen in den Tagen vor dem Mond oft zusammen und fantasierten über eine Welt, in der alles gut war. Die Vorstellungen unterschieden sich drastisch. Einige wollten ein normales, menschliches Leben. Kera wollte einen Blumenladen eröffnen, Marc einen Zauberstab besitzen und Jerry fragte sich, wie es wohl wäre, lesen zu können. Andere wollten mit Menschen nichts zu tun haben, wollten eine Siedlung im Wald aufbauen, in Ruhe gelassen werden. Ein bisschen Gemüse anbauen. Keinen Hunger mehr haben. 

Einige waren verbittert, wollten so viele Menschen beißen, wie möglich, hatten eine Liste mit hohen Tieren im Ministerium und zufälligen Leuten, die sich ihnen gegenüber mal ablehnend verhalten hatten. Es waren wenige, aber natürlich gab es sie. Remus konnte es ihnen nicht wirklich verübeln, aber zum Glück wurden sie vom Rudel generell in Schach gehalten. 

Was sie alle vereinte war jedoch der Traum einer besseren Zeit. Manche von ihnen glaubten, dass mit Voldemort diese Zeit anbrechen würde. Und wenn sie so zusammen saßen, dann erwischte sich Remus gelegentlich, wie er es beinahe auch tat. 

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Die Realität kehrte jedoch stets mit Pauken und Trompeten zurück, wenn er wieder nach Hause kam, wenn er Sirius wieder sah, beim nächsten Ordenstreffen war, seine Informationen weitergab. 

Doch irgendwie wurde es ruhiger. Vielleicht war es nur eine Illusion, weil sie sich an alles gewöhnt hatten. Weil es routiniert war. Aber irgendwie nahm ihr Leben Form an. Remus und Sirius sahen sich wieder häufiger (oder hatten sie sich einfach daran gewöhnt, sich selten zu sehen?), verbrachten mehr Zeit zusammen, kochten gemeinsam, Sirius legte einen winzig kleinen Kräutergarten auf ihrem Balkon an und Remus erwarb eine riesige Kiste alter Bücher, die er mit leuchtenden Augen begutachtete und in ein neues Regal im Wohnzimmer einsortierte. 

Es war ein kleines, aber feines Leben und auf einmal erwischte sich Remus wieder dabei, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn hier ein kleines Kind herumkrabbeln würde. Sicher, die Situation war nicht gut, ihre beste Chance, das Realität werden zu lassen, war mit Marys Tod verschwunden, der Krieg tobte immer nich unerbittlich, aber das war seinen Träumen egal. Er schob den Gedanken im März zur Seite. Er tat das gleiche im April. Und im Mai.

Anfang Juni saß Sirius gerade auf dem Balkon auf einem furchtbar hässlichen Gartenstuhl aus Plastik und schnippelte an seinen Pflanzen herum. 

"Moony, warum zur Hölle habe ich Minze angepflanzt?!", rief er ärgerlich über seine Schulter. Remus stand im Wohnzimmer und legte Wäsche zusammen. 

Der Buchladen im LigusterwegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt