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Lieber Sirius, liebe Nordsee, wo auch immer dieser Brief jetzt landet. 

Das hier ist Blödsinn, es ist ja nicht so, als würde das hier tatsächlich bei dir ankommen. Ich weiß überhaupt nicht so genau, was ich schreiben soll, weil es so unwahrscheinlich ist, dass du ihn je in die Finger bekommst. 

Aber gut, ich will ja optimistisch bleiben (auch wenn wir uns nichts vormachen müssen, ich war nie der Optimist von uns beiden), also tue ich mal so, als gäbe es eine reelle Chance, dass du das hier mal liest. 

Ich weiß nicht, ob sie es dir gesagt haben, aber unsere Besuche sind gestrichen worden. Und weißt du, was das beste ist? Der Grund dafür ist Personalmangel. Merlin, sogar deine Ausreden bei McGonagall in der Schule waren besser (und wir alle erinnern uns noch gut an den Tag, an dem du sie davon überzeugen wolltest, dass wir mit einer riesigen Packung Tampons am Waldrand herumgeschlichen sind, um deine lang verloren geglaubte Schwester zu treffen, von der niemand weiß außer dir). (Es war trotzdem faszinierend, die Viskosität von Wasser und Harz zu vergleichen, indem man schaut, wie schnell sie aufgesaugt werden, danke, dass du das damals mit mir gemacht hast.) (Ich erzähle dir nochmal, was Viskosität ist, wenn wir uns wieder sehen, ich bin sicher, du hast es schon wieder vergessen, ich musste es dir an dem Tag dreimal erklären.)

Na gut, kommen wir zu dem Teil, der dich interessiert, falls du das hier tatsächlich liest: wir sind nicht wirklich weit gekommen. Wir haben ein paar solide Theorien, aber keinen echten Plan. Wenn wir einen hätten, könnte ich dir natürlich trotzdem keine Details nennen, weil ich niemandem vertraue, dass dieser Brief nicht gelesen wird, aber ich würde dir zumindest bescheid geben, dass sich etwas tut. 

Es tut sich nichts. 

Es tut mir leid. 

Harry hat versucht, Jules die Haare zu schneiden. Er ist sieben, Jules fünf, es ging genau so gut über die Bühne, wie man es vermutet. Jerry hat versucht, es zu retten, aber viel konnte er auch nicht mehr tun. 

Also ja, das Leben läuft in den normalen Bahnen. Wir vermissen dich. 

Ich vermisse dich. 

Ich liebe dich, wir sehen uns bald, ich schwöre. 

Remus

Sirius ließ den Brief sinken. Enttäuschung durchfuhr ihn in einer Welle, hundertmal verstärkt durch die Präsenz der Dementoren, wie alle negativen Gefühle hier in diesem gottverdammten Loch. 

Er versuchte, seinen Optimismus zu finden. Wie Remus gesagt hatte, er war derjenige von ihnen, der in der Hinsicht besser war. Er hatte einen Brief erhalten. Es klang, als hätte Remus schon viele vorher geschrieben - dieser hier war der erste, der bei ihm angekommen war. Er drückte ihn eng an seine Brust, suchte die Worte noch einmal, die er so lange hatte hören wollen. 

Ich vermisse dich. Ich liebe dich. Wir sehen uns bald. 

Aber wie bald war bald? Remus hatte es selbst gesagt, sie hatten keine wirkliche Spur. Vermutlich würde er noch einmal sechs Jahre hier drin sitzen, bis sich etwas tun würde. Nicht, dass Zeit hier eine Rolle spielte. 

Sirius hatte keine bewussten Erinnerungen an die Jahre, die er in dieser Zelle verbracht hatte. Dunkelheit, Kälte, Angst, Verzweiflung, alles floss zusammen in eine drückende Leere, die einen aussaugte. Es fühlte sich an, als wäre es gestern gewesen, dass er Wurmschwanz konfrontiert hatte, mit stockendem Atem zugesehen hatte, wie er hinter sich die Straße in die Luft gesprengt hatte - so viele Tote! - und dann verschwunden war. Wie er von den Auroren abgeführt worden war, wie er Dumbledore gesehen hatte und ihn die Schuld überrollt hatte - denn er war derjenige, der zu feige gewesen war, Geheimniswahrer zu werden, er war derjenige, der vom Plan abgewichen war - wie er seine eigene Schuld gestanden hatte und wie ihn dann niemand mehr hatte ausreden lassen, als er nach Dumbledore gerufen hatte, um ihm zu sagen, dass sie den falschen hatten, dass Peter am Leben war. Wie er zum ersten Mal die Kälte der Dementoren gespürt hatte. 

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