20 | Das Kennenlernen

362 47 8
                                    

»Küche«, erwidert eine tiefe Stimme. Er klingt nicht sonderlich freundlich, doch auch in Ravens Stimme hat sich ein Klang geschlichen, der Verärgerung deutlich macht. Offensichtlich hat er nicht gelogen, was die Beziehung zu seinem Vater angeht. Mit einem verkniffenen Lächeln winkt Raven mich hinter sich her, doch ich schlüpfe zuerst aus meinen Schuhen. Ich erachte es als unhöflich, in einem fremden Haus einfach die Schuhe anzulassen. Schließlich weiß ich nicht, ob vor wenigen Minuten gesaugt oder gewischt worden ist.

Unsicher folge ich Raven durch den schmalen Flur. Die Wände sind gesäumt von Bilderrahmen und einigen indianischen Waffen, welche hinter schönen Glaskästen geschützt werden. Die Tapete wirkt alt und vergilbt, doch im Haus liegt ein frischer Duft nach Kokosnuss und Blüten. Ich habe keine Zeit mir die Bilder anzusehen, denn nach nur vier weiteren Schritten, stehen wir in der Küche. Sie ist geräumig. Jeder Winkel ist voll gestellt mit Küchenutensilien, Keksdosen, Heften und jede Menge Kerzen. Streichhölzer liegen ohne Verpackung auf der Anrichte, dazwischen getrocknete Kräuter, die an den Stielen mit dickem Bast zusammengebunden sind. Der Raum duftet nach Zimt und Kardamom. Der Geruch erinnert mich an Ravens erdigen Duft, weshalb ich ein genüssliches Schnuppern nicht verhindern kann.

Ravens Vater sitzt an einem großen runden Tisch, vor ihm ein riesiger Stapel Bücher, daneben ein Teller mit Keksen. Kleine Dampfwolken steigen Richtung Decke, weshalb sie vermutlich frisch aus dem Ofen kommen. Ravens Vater ist ein schmaler Mann, mit dichten schwarzen Haaren. Einige graue Strähnen mischen sich hinein. Sein wettergegerbtes Gesicht wirkt mürrisch und trotzdem entdecke ich einige Lachfältchen um seine Augen. Mister Green sieht längst nicht so einschüchternd aus, wie ich ihn mir ausgemalt habe.

Die vielen Bücher verdecken einen Teil seiner Erscheinung. Auf einigen Buchrücken lese ich unterschiedliche Ländernamen und Jahreszahlen. Eines liegt geöffnet auf seinem Schoß. Als er den Kopf hebt und seinen Sohn sieht, nimmt er die Brille mit dem schwarzen Gestell von der Nase. Seine Augen strahlen kraftvoll, was mir kurzzeitig die Sprache verschlägt. Dieser Mann sieht absolut nicht danach aus, als würde er das Haus nicht mehr verlassen. Aus seiner Haut liegt eine gesunde Bräune. Im Großen und Ganzen sieht er sehr gepflegt und gesund aus. Während ich ihn mit einem breiten Lächeln entgegenblicke, rutscht sein Blick von Raven zu mir. Seine Stirn verzieht sich leicht. »Wer ist das?« Er kommt direkt zum Punkt. Na wunderbar.

»Hallo Mister Green. Ich bin Nina, Nina Torres. Eine Freundin von ihrem Sohn«, stelle ich mich zügig vor und strecke ihm meine Hand entgegen. Kurz beäugt er mich misstrauisch, ehe er aufsteht, um mir die Hand zu reicht.

»Was machen Sie hier? Wollen Sie mir irgendwas verkaufen? Oder wollen Sie mir was abluchsen? Ich behalte meine Grundstücke und auch sonst habe ich nicht abzugeben.« Mein Lächeln fällt kurzzeitig in sich zusammen.

»Dad, ich bitte dich. Deshalb sind wir nicht hier«, mischt Raven sich ein und zieht einen Stuhl zurück.

»Setzen Sie sich«, fordert sein Vater mich auf und verlässt den Tisch. »Möchten Sie was trinken? Tee, Wasser oder Bier? Schnaps habe ich auch noch eine halbe Flasche da.«

»Ein Wasser genügt, danke«, erwidere ich. Angestrengt schenke ich ihm mein bestes Lächeln, doch er hebt nur verwundert die Augenbrauen. Nickend füllt er ein sauberes Glas mit Wasser und platziert es vor mir.

»Du kennst dich aus«, brummelt er in Ravens Richtung.

»Fürsorglich wie immer«, antwortet Raven und schüttelt den Kopf. »Ich brauche nichts. Hab' ohnehin nicht sonderlich viel Zeit. Termine, du kennst das ja noch.« Schweigend beobachte ich diese beiden Männer, während sie sich ein Blickduell liefern. Ich erkenne die leichte Spur von Traurigkeit in den Augen von Ravens Vater, doch ihm scheint es nicht aufzufallen. Sicherlich ist er enttäuscht, weil sein Sohn zum Absprung bereit ist. Ich an seiner Stelle wäre es jedenfalls.

GLOW - flameless lightsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt