Kapitel 188

459 29 10
                                    

Wincent

Da wir mittlerweile schon Oktober und dementsprechend kein warmes Strandwetter mehr hatten, waren glücklicherweise nicht allzu viele Menschen unterwegs, als wir uns relativ nah am Wasser in den Sand fallen ließen und uns etwas tiefer in unsere Hoodies kuschelten, denn der Wind war heute ziemlich frisch und kündigte wohl endgültig den Herbst und die bevorstehende kalte Jahreszeit an. Während wir eine Weile schweigend nebeneinandersaßen und einfach die salzige Meeresluft einatmeten, dem Wellenrauschen zuhörten und die letzten Sonnenstrahlen genossen, konnten wir neben einigen wenigen vorbeikommenden Spaziergängern in einiger Entfernung eine Familie mit zwei kleinen Kindern beobachten, die ausgestattet mit Matschhosen und Gummistiefeln ihren Spaß beim Spielen im nassen Sand hatten und glücklich umherquietschten. Dieser Anblick ließ mich automatisch glücklich lächeln, genau so stellte ich mir das späte auch mal vor. Ich wollte meine Kinder so gerne am Meer aufwachsen sehen, so wie ich es auch selbst erlebt hatte. Ich spürte Maries Hand auf meiner, welche ich hinter mir im Sand abgestützt hatte, und drehte langsam meinen Kopf zu ihr. Sie war meinem Blick gefolgt und lächelte mich wissend an, während sie sanft über meinen Handrücken strich. Ich sagte nichts weiter dazu, ich wollte das Thema nicht schon wieder aufkommen lassen und sie damit unbeabsichtigt unter Druck setzen. Ich wusste ja selber, dass wir einfach noch nicht soweit waren und unser Leben gerade nicht unbedingt familienfreundlich war. Und ich akzeptierte das auch und war fein damit. Aber träumen durfte ich deswegen ja wohl trotzdem mal.

Ich zog meine Hand unter Maries weg und setzte mich aufrechter hin, bevor ich meinen Arm um sie legte und sie sanft an meine Seite drückte. Marie sah zu mir auf, bevor sie ihren Kopf an meine Schulter legte und wieder aufs Meer sah. „Ich lieb's hier so sehr...", murmelte sie leise, sodass ich es beinahe gar nicht verstanden hätte. Doch ich hatte ihre Worte genau gehört und genoss die Glücksgefühle, die diese in mir auslösten. „Sag das nochmal!", forderte ich sie auf und hatte damit wieder ihre Aufmerksamkeit. „Was? Dass ich gerne hier bin? Am Meer? Bei dir?" „Ja, genau das", meinte ich und beugte mich zu ihr, um ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken. „Könntest du dir denn vorstellen, auch wirklich hier zu leben?", flüsterte ich und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Es blieb einen Moment still zwischen uns, bis sie mir bei ihren nächsten Worten tief in die Augen sah. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als irgendwann wirklich mal so nah am Meer zu wohnen... und letztendlich könnte ich mich glaub ich überall zuhause fühlen, solange ich die richtigen Menschen um mich herumhabe", schmunzelte sie und legte ihre Hand in meinen Nacken, wo sie sanft über die empfindliche Haut strich und mir eine Gänsehaut bescherte. Ihre Worte ließen mein Herz Luftsprünge machen und ich begann, mich vorsichtig weiter vorzutasten. „Und wann, meinst du, ist irgendwann?", wollte ich wissen. Aufmerksam sah ich sie an und versuchte, jede Regung in ihrem hübschen Gesicht wahrzunehmen. „Keine Ahnung... wenn's passt? Worauf willst du hinaus, Wincent? Willst du mich hier indirekt fragen, ob ich mit dir zusammenziehe?", schmunzelte sie und sah mich ebenso auffordernd an. „Äh, nein... ja... also so halb?", stotterte ich und fuhr mir unsicher durch die Haare. Diese Geste würde ich wohl auch nie ablegen können. „Was heißt denn ‚so halb'?", fragte sie und grinste mich an. „Naja, ich weiß auch nicht... ich will eigentlich wieder viel öfter hier sein als es aktuell der Fall ist. Die WG in München ist zwar ganz cool, wenn ich im Studio bin und so, aber eben kein richtiges Zuhause... und auch bei dir in Hannover und hier bei meiner Mum bin ich ja irgendwie immer nur Gast... Ich will einfach gerne wieder was Eigenes haben, und das möglichst hier im Norden... zuhause... Aber ich will so eine Entscheidung nicht ohne dich treffen und wollte einfach mal wissen, wie du dazu stehst?", versuchte ich meine Gedanken verständlich zu erklären und sah sie fragend an.

„Du bist süß... aber dir ist doch hoffentlich klar, dass ich mein Studium noch beenden muss? Ich kann nicht mal eben die Uni wechseln und in Lübeck fertigstudieren... also mindestens die nächsten zwei Semester bin ich noch an Hannover gebunden...", erwiderte sie nur und sah mich an. „Und das heißt?", bohrte ich unsicher nach, weil sie mir meine Frage damit ja trotzdem nicht wirklich beantwortet hatte. „Das heißt, dass ich frühestens in einem Jahr mit dir zusammenziehen könnte, wenn ich mein Praktisches Jahr dann eben hier oben irgendwo mache...", schmunzelte sie und griff nach meiner Hand. „Und willst du das denn auch?", wollte ich wissen. Ich wollte, dass sie das wirklich von sich aus sagte und ich nicht wieder irgendetwas falsch interpretierte und wir aneinander vorbeiredeten. „Ich könnte mir das schon gut vorstellen... also natürlich wäre das ein großer Schritt, aber bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit und vielleicht würde uns eine gemeinsame Wohnung vieles auch leichter machen, weil du dich dann nicht mehr entscheiden müsstest, ob du deine freie Zeit bei mir oder zuhause verbringst...", meinte sie und kuschelte sich noch mehr an mich. Ich zog sie einfach zwischen meine Beine und schlang von hinten meine Arme um ihren Bauch. Sie sprach mir mit dieser Aussage so sehr aus der Seele! Wir könnten unser gemeinsames Leben viel besser aufeinander abstimmen, wenn ich nicht mehr extra nach Hannover fahren und die Stadt in meine ewige Pendelei mit einbeziehen müsste, um sie zu sehen!

„Und funktioniert das denn dann mit deinem Praktikum so einfach oder würde es das für dich unnötig kompliziert machen?", hatte ich mal wieder keinen Plan von ihrem Unikram. „Keine Sorge, das wäre nicht schwer zu regeln. Ich hab' mich zwar jetzt schon für Hannover angemeldet, aber ich kann das bis kurz vor Beginn nächstes Jahr im November noch ändern und könnte das an beinahe jeder Klinik machen... also daran sollte es nicht scheitern", erklärte sie mir und lag vollkommen entspannt in meinen Armen. „Ich will dich damit jetzt auch nicht überrumpeln. Diese Entscheidung müssen wir nicht von jetzt auf gleich treffen, aber ich hab' einfach in letzter Zeit relativ oft diesen Gedanken gehabt und wollte einfach mal wissen, ob du dir diesen Schritt prinzipiell auch vorstellen könntest...", flüsterte ich ihr ins Ohr und hauchte ihr kleine Küsse an den Hals. „Mit dir kann ich mir prinzipiell alles vorstellen, Winnie! Und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als irgendwann mit dir zusammen irgendwo hier oben am Meer zu wohnen und einen gemeinsamen Rückzugsort zu haben..." sagte sie leise und streichelte über meine Unterarme, die noch immer um ihre Mitte geschlungen waren. „Ich liebe dich!", sagte ich dazu nur und drehte ihren Kopf zu mir herum, um sie endlich richtig küssen zu können.

Und genau das meinte ich mit ernsthaften Gesprächen am Strand. Über so wichtige Sachen, die eben auch unsere Zukunft betrafen, konnten wir eben einfach schon immer am besten hier am Meer reden. Keine Ahnung, warum das so war, aber da schien es mir keine allzu schlechte Idee, später wirklich gemeinsam hierher zu ziehen. Wo sollten wir sonst unsere wichtigen und tiefgründigen Gespräche führen?

Inzwischen waren wir halb durchgefroren wieder zuhause und hatten auch schon gemeinsam mit Mum und Shay zu Abend gegessen. Ich hatte mich heute lieber wieder aus der Küche ferngehalten und so konnte man das Essen auch wieder gefahrlos genießen. Nach dem Essen kuschelten wir uns in unserem Kellerzimmer gemeinsam unter eine flauschige Kuscheldecke in unser Bett und während Marie sich noch einen meiner Hoodies überzog, machte ich mich schonmal auf die Suche nach einem Film und wurde auch recht schnell fündig. „Wirklich? 'In einem Land vor unserer Zeit'? Ich lieb' dich immer mehr!", strahlte meine Freundin mich an, als sie sich schließlich zu mir legte und sich an meine Brust schmiegte. „Muss ich mir Sorgen machen, dass du bei einem Kinderfilm so ausflippst?", grinste ich schief, war aber insgeheim auch einfach froh, dass sie mit meiner Wahl zufrieden war. „Nö! Aber ich liebe diese Filme so sehr! Die erinnern mich immer an früher... ich hab' die als Kind so unglaublich oft geschaut...", schwärmte sie und ich konnte es gut nachvollziehen, mir ging es da nämlich ähnlich. Ich hauchte ihr einen Kuss auf den Kopf und zog die Decke noch ein wenig enger um uns. „Die zeigen wir später auch mal unseren Kindern...", rutschte es mir dann raus und unsicher lächelte ich Marie an, als sie den Kopf hob und mich verliebt ansah. „Machen wir!", erwiderte sie nur und verschloss unsere Lippen zu einem Kuss, in den wir beide hineingrinsten.

Seit du bei mir bist, fehlt mir nichtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt