Kapitel 62

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Scott

»Wie heißt du?«, strich ich ihm die Haare aus dem Gesicht, um zu überprüfen, dass er sonst keine Verletzungen hatte. Er zögerte kurz, bevor er mir doch antwortete. »Liam«, klang seine Stimme noch so schwach und unschuldig. »Ich bin Scott«, nannte ich ihm auch meinen Namen, damit er nicht das Gefühl bekam, dass ich ihn hinterging. »Hallo«, senkte er seinen Blick auf seinen Schoß. Schnell entledigte ich mich meiner Jacke und legte sie dem Jungen um, welcher sogleich seine Arme in die Ärmel schob. »Komm erstmal mit«, hob ich ihn von der Liege runter und stellte ihn vorsichtig auf seine Beine. Dann legte ich meine Hand auf seinen Rücken und schob ihn behutsam vorwärts. Liam blieb wie angewurzelt stehen, als er Atlas und George erblickte. »Schon okay. Die gehören zu mir«, ließ ich ihn wissen. »Was soll das?«, knurrte mein Bruder.

»Wir sind hier, um die Kinder zu befreien. Er gehört dazu«, deutete ich auf den kleinen Jungen, welcher sich hinter mir versteckte. »Habt ihr noch jemanden gefunden?«, sah ich zwischen den beiden hin und her. »Nein. Sonst ist niemand hier«, setzte mich George in Kenntnis. »Gut. Dann suchen wir weiter«, ordnete ich an. Wir setzten uns wieder in Bewegung und wollten gerade zurück zu Sawyer als dieser auf uns zukam. »Wir bekommen Besuch«, teilte er uns ruhig mit. Während Liam in Panik verfiel, machten wir uns alle bereit zu kämpfen. Kurzerhand nahm ich den kleinen Jungen Huckepack. Denn ich würde ihn nicht zurücklassen. Unter keinen Umständen. Wir hörten aufgeregtes Plappern gefolgt von schweren, immer lauter werdenden Schritten.

Es dauerte auch nicht lang, da flogen die ersten Schüsse. Wir gingen alle in Deckung und schossen kontrolliert die Männer nieder, die nach und nach um die Ecke bogen. Der kleine Junge auf meinem Rücken krallte sich verzweifelt in meinen Pullover, während er wie Espenlaub zitterte. »Schon okay. Dir passiert nichts«, murmelte ich leise, um unsere Position nicht zu verraten. Mit taktischen Bewegungen begab ich mich aus der Deckung, um einen Schuss abzugeben, bevor ich zurück hinter die Wand trat. Nachdem die ganzen Männer am Boden lagen, lauschten wir noch kurz auf andere Geräusche. Als wir uns schließlich sicher waren, dass keiner mehr kam, verließen wir endlich den Keller, um zurück nach oben zu kommen. Nur das uns oben angekommen die nächste Überraschung erwartete. Doch wir waren schon darauf eingestellt gewesen.

Nur, weil niemand mehr in den Keller kam, hieß das nicht automatisch, dass keiner mehr hier war. Dafür standen auch viel zu viele Autos vor der Tür. Es standen um die zwanzig bewaffneten Männer im Gang. Wir hatten ebenfalls unsere Waffen gezogen. Jederzeit bereit zu schießen. Es erklang gerade der erste Schuss von der anderen Seite, als eine kräftige Stimme uns innehalten ließ. »Aufhören! Begrüßt man so etwa seine Gäste«, trat ein Mann mittleren Alters vor, von dem ich keine Ahnung hatte, wer das war. Immerhin hatte ich mit einer Frau gerechnet. Einer verhassten Jugendamt Mitarbeiterin noch dazu. Verwirrt sahen wir einander an, als die Männer ihre Waffen sinken ließen. »Und sie sind?«, rutschten Atlas diese Worte raus. »Wir hatten noch nicht die Ehre. Ich bin Josh Westfield«, deutete der fremde Mann eine Verbeugung an.

»Scott Devon«, erwiderte ich misstrauisch. »Perfekt. Unser Boss hat schon auf euch gewartet. Wenn ihr mir bitte folgen würdet«, war seine Geste unmissverständlich ein Befehl. Ich sah über meiner Schulter hinweg zu meinen drei Männer. Sie sahen alle nicht besonders überzeugt aus, folgten dennoch diesem Westfield. Zielsicher führte er uns durch das Gebäude, eine Etage nach oben. Hier brannte, im Gegensatz zu unten, Licht. Wenn es auch nicht besonders hell war. Dagegen wirkte das Licht, welches am Ende des Gangs brannte, wie ein Stadionstrahler. Wir liefen auf genau diesen Raum zu. »Wartet kurz hier«, hielt der Mann uns zurück und trat in den Raum ein. Ich spähte durch die halb geöffnete Tür, um irgendwas erkennen zu können. »Kommt rein«, stand dieser Westfield keine Minute später wieder in der Tür. Er öffnete uns die Tür und wir traten ein.

Diese eigenartige Jugendamt Mitarbeiterin saß auf einem Drehstuhl hinter einem Schreibtisch aus Massivholz. »Der unbesiegbare, berühmt berüchtigte Scott Devon. Was verschafft mir die Ehre?«, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und faltete die Hände auf dem Tisch vor sich. »Ms. Welsh? Was machen sie denn hier? Was soll das?«, überraschten Georges Worte uns alle. Diese Ms. Welsh eingeschlossen. »George mein Junge. Was hast du denn mit diesen Leuten zu schaffen?«, merkte man auch der Frau vor uns ihre Verwunderung an. Während uns allen die Verwirrung quasi ins Gesicht geschrieben stand. »Ihr kennt euch?«, brachte es Sawyer auf den Punkt. »Sie ist sowas, wie meine Schwiegermutter in spe«, schien George es wirklich unangenehm zu sein, dies zuzugeben. »Was?«, wollte Atlas ansetzen zu sprechen, als ich ihn unterbrach.

Chicago BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt