Kapitel 226

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Marie

Mit jeder Minute, die Wincent nicht unten zur Tür hereinkam, wuchs meine innere Angst weiter. Ich wurde hier noch wahnsinnig! Zwischendurch war auch Marco kurz hochgekommen, um nach uns zu sehen, aber Ella hatte ihn direkt wieder nach unten geschickt und so ging er zurück in die Küche und machte sich wieder an die Vorbereitungen, irgendjemand von uns musste es ja tun und Ella wollte mich gerade nicht allein lassen. Wofür ich ihr auch sehr dankbar war.

Ein paar Minuten später kam dann endlich die Erlösung, als ich unten die Haustür hörte. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen und nach unten gerannt, doch mein ganzer Körper zitterte so sehr, dass mich meine Beine vermutlich nicht mal aus dem Schlafzimmer getragen hätten. Marco schien ihn direkt abgefangen zu haben, denn keine zehn Sekunden später stand mein Freund noch immer in seinen dicken Skiklamotten in der Schlafzimmertür und sah mich alarmiert an. „Was ist los? Marco meint, du bist hier fast durchgedreht?", fragte er sofort und sah mich an. „Ich ...", fing ich an, doch vor Erleichterung, dass er endlich vor mir stand, fehlten mir die Worte und ich fing wieder an zu heulen. Ella löste sich von mir und stand vorsichtig auf, um uns allein zu lassen. Dabei hörte ich, wie sie Wincent ein „Sei jetzt für sie da!" ins Ohr flüsterte, als sie an ihm vorbeiging und kurz darauf die Tür hinter sich schloss.

Ohne ein weiteres Wort warf ich mich in seine Arme und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Er schlang sofort seine Arme um mich und hielt mich einfach fest. „Warum bist du nicht ans Handy gegangen?!", ergriff dann aber auf einmal die Wut von mir Besitz und ich wand mich aus seinen Armen. „Das war in meiner Jackentasche auf stumm gestellt... was ist denn los?", erwiderte er vorsichtig und sah mich absolut verwirrt an. Meine Stimmungsschwankungen schienen ihn doch ein wenig zu überfordern. Aber darauf konnte ich gerade keine Rücksicht nehmen. „Was los ist?! Erinnere dich mal an das letzte Mal, als ich zuhause saß und dich nicht erreichen konnte..." Allein bei diesen Worten zitterte meine Stimme schon wieder so sehr, dass ich Mühe hatte, zu Ende zu sprechen.

Mit großen Augen sah Wincent mich an, als er realisierte, wovon ich sprach, und nahm mich sofort wieder in den Arm. „Warum hast du nicht gesagt, dass du damit immer noch so zu kämpfen hast?", fragte er leise und strich mir beruhigend über den Rücken. Ich zuckte mit den Schultern. „Weil ich bis gerade eben selbst nichts davon wusste...", flüsterte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. „Es ist alles gut, okay? Ich wollte nur einfach gern nochmal allein die Piste runter und den Kopf freikriegen... ich wollte doch nicht, dass du deswegen hier zusammenbrichst", sagte er besorgt und brachte ein bisschen Abstand zwischen uns, „Sorry, aber ich muss die dicken Klamotten loswerden, sonst schmelze ich gleich..." Entschuldigend sah er mich an, bevor er begann, sich aus seiner Skijacke und der zugehörigen Hose zu schälen, welche er einfach an Ort und Stelle fallenließ und sofort wieder zu mir aufs Bett kam.

Und obwohl noch immer nicht alles geklärt war zwischen uns, es gab ja auch noch unseren kleinen Streit auf der Piste, kuschelte ich mich direkt in seine Arme und er ließ es zu. Ich brauchte seine Nähe und Geborgenheit gerade, um wieder runterzukommen, bevor wir dieses Thema ansprachen. Mit dem Kopf auf seiner Brust lauschte ich Wincents Herzschlag und entspannte mich langsam wieder, während wir uns eine Weile lang anschwiegen.

„Es tut mir leid...", murmelte Wincent dann nach einer Weile und gab mir zu verstehen, ihn anzusehen. „Es tut mir leid, wie ich dich vorhin auf der Piste angegangen bin... Ich weiß auch nicht, warum ich plötzlich so frustriert war und das an dir ausgelassen hab und selbst wenn, wäre das keine Entschuldigung." „Ich... ich hab' mich echt schlecht gefühlt, als wär' ich die größte Enttäuschung für dich und nur ein Klotz am Bein...", gab ich zu und wandte den Blick von ihm ab. Er hatte mich damit schon ein wenig verletzt, das sollte er wenigstens wissen, auch wenn ich ihm sowieso gleich um den Hals fallen würde nach dem ganzen Stress gerade eben. „Ich weiß... du hast auch jedes Recht der Welt, sauer auf mich zu sein..." „Ich kann nicht sauer sein, dafür brauch ich dich gerade viel zu sehr...", nuschelte ich und rückte wieder näher an ihn heran, „Versprich mir einfach, dass du beim nächsten Mal direkt sagst, wenn dir was nicht passt... und bitte geh' einfach an dein Handy, solange diese Erinnerung noch so frisch ist!" „Versprochen!", sagte er und sah mir dabei aufrichtig in die Augen, überließ mir aber die Entscheidung über einen Kuss. Ich überbrückte dann aber die letzten Zentimeter zwischen und versiegelte unsere Versöhnung mit einem kurzen Kuss.

„Es tut mir leid, dass ich hier vorhin so viel Stress gemacht hab'", entschuldigte ich mich direkt bei Ella und Marco, als ich kurz darauf in der Küche auftauchte. „Alles gut, Marie! Wirklich, wir verstehen das voll und ganz! Habt ihr euch denn wieder vertragen?", fragte Ella und beide nahmen mich nochmal in den Arm. „Ja haben wir... Wincent ist nur noch eben kurz unter die Dusche gehüpft", erwiderte ich und sah mich um, wo ich noch helfen konnte. „Und da bist du nicht gleich mit, eure Versöhnung feiern?", kommentierte Marco mit einem schiefen Grinsen im Gesicht. „Ey, sag mal...", begann Ella, doch ich unterbrach sie direkt. „Man merkt absolut gar nicht, dass ihr zwei beste Freunde seid, ey...", konterte ich mit einem leicht sarkastischen Unterton und verdrehte die Augen. Daraufhin mussten wir alle drei lachen, bevor wir uns daran machten, den Tisch zu decken, sodass wir gleich mit unserem gemütlichen Silvesterabend starten konnten, wenn Wincent fertig war.

Nach dem ereignisreichen Tag wurde der Abend dann noch wirklich schön und entspannt und ich fühlte mich so wohl zwischen den dreien. Wir ließen uns Zeit beim Essen, während wir gemeinsam auf das vergangene Jahr zurückblickten und Pläne für das neue schmiedeten. Später am Abend holte saßen wir alle gemeinsam auf der Couch, Ella hatte ein paar Brettspiele hervorgeholt und wir hatten allerlei Knabbereien und Süßigkeiten auf dem Tisch stehen, während wir alle eine Flasche Bier in der Hand hatten und uns zwischendurch auch immer mal ein paar Kurze genehmigten und einfach zusammen Spaß hatten. Kurz vor Mitternacht zogen wir uns unsere dicken Jacken an und gingen raus auf den Balkon, um uns gleich das Feuerwerk anschauen zu können. Um Punkt Mitternacht gingen die ersten Raketen in den Himmel und fand ich mich in Wincents Armen wieder. Er beugte sich zu mir und wir verloren uns in einem Kuss voller Liebe und Vertrauen, den ich sehr genoss und aus dem ich mich eigentlich auch nicht mehr lösen wollte. Ich war gerade einfach nur froh, dass wir nach diesem Tag unser Jahr doch noch so glücklich beenden konnten. Glücklicherweise klebten Marco und Ella auch sehr aneinander, sodass es gar nicht so auffiel, dass Wincent und ich uns nicht so richtig voneinander lösen konnten. „Frohes Neues, Süße! Ich freu mich, dich auch 2021 noch immer an meiner Seite zu haben. Hoffentlich wird sich das niemals wieder ändern, auch wenn ich manchmal ein Idiot bin...", flüsterte Wincent schließlich gegen meine Lippen und lächelte mich an. „Aber du bist mein Idiot und ich liebe dich!", erwiderte ich nur und legte meine Lippen erneut kurz auf seine, bevor wir dann doch auch mal mit den anderen beiden anstießen und uns alle in den Armen lagen.

Wir feierten dann unsere kleine Privatparty noch eine Weile weiter, gingen allerdings dann doch relativ früh schlafen, immerhin wollten wir am nächsten Morgen wieder auf die Piste, da wollte niemand von uns verkatert und total übermüdet sein. Trotzdem gingen wir es am nächsten Tag wirklich entspannt an und fuhren zu viert ein paar einfache Pisten, auf denen ich auch halbwegs mithalten konnte. Am Abend machten wir uns über die Reste vom Raclette her, bevor Wincent und ich uns in unser Zimmer zurückzogen und den Abend nur zu zweit verbringen wollten, bevor es morgen auch schon wieder nach Hause gehen sollte.

Seit du bei mir bist, fehlt mir nichtsWhere stories live. Discover now