hidden magic

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Das Fell des Pferdes ist schweißgebadet, als wir die erste Pause einlegen. Merikh redet währenddessen nicht viel mit mir, wirft mir nur wortlos eine Flasche Wasser und einen Apfel zu. Letzteres verfüttere ich an den Hengst.

Im Morgengrauen erreichen wir wie die Hauptstadt. Unheilvoll wie ihr Herrscher strecken sich ihre Bauten in die Höhe, nicht einmal der wunderschöne Sonnenaufgang kann die Trostlosigkeit verbannen. Die Fensterläden der Häuser sind geschlossen, die Türen verriegelt. Keine einzige Menschenseele lässt sich blicken, nur die Vögel zwitschern in der Ferne. Ansonsten ist es gespenstisch ruhig.

Wir halten auf ein schloss-artiges Gebäude zu, das etwas am Rand von Dives erbaut wurde, aber deswegen nichts an Mächtigkeit einbüßt. Oder an Bedrohlichkeit. Mein Magen rebelliert. Jedoch kann ich nicht einschätzen, ob es an dem Jungen hinter mir oder an dem Gebäude vor mir liegt. Wahrscheinlich aber an beidem. Sogar ziemlich wahrscheinlich.

Vorsichtig - um das Tier nicht zu verschrecken - gleite ich an dessen Seite hinunter. Am liebsten würde ich sofort wieder aufsteigen und über Feld und Wald wieder zurück nach Hause preschen. Merikh jedoch lässt mir nicht einmal annähernd die Chance dazu, sondern packt mich am Arm und zieht mich Stufe für Stufe näher zu meinem grausamen Schicksal. Und kaum, dass sich die Türen öffnen, bewahrheiten sich meine schlimmsten Befürchtungen. Meine Mutter und mein Onkel, Hand in Hand, grinsen mich diabolisch an.

<Du gottverdammte Lügnerin!> schreie ich aus tiefstem Herzen. Ich sehe rot. Jeder rationale Gedanke verpufft und weicht unbändiger Wut. <Mein Vater hat dich geliebt und du? Du hast ihn für die ekligen Machenschaften dieses Bastards ausgenutzt!> Beinahe bricht meine Stimme, aber der Hass ist stärker als der Wunsch, mir die Seele aus dem Leib zu heulen. <Was wollt ihr jetzt mit mir tun? Mich zu Tode foltern? Mich töten, wie ihr es mit meinem Vater getan habt?>

<Es reicht, du verzogene Göre!> grollt die tiefe Stimme meines Onkels durch den Eingangsbereich. <Merikh, bringe sie in den Salon.>

Ohne auch nur eine winzige Sekunde zu zögern, greift er abermals nach meinem Arm und dirigiert mich zu der riesigen Treppe im hinteren Teil der Halle, die direkt zu einer großen Flügeltür führt, hinter der sich wohl der besagte Salon befindet. Und dieser ist noch prachtvoller als der in meinem Zuhause. Die Erinnerung zerplatzt wie ein Luftballon, als ich unsanft auf einen Holzstuhl gedrückt werde und sich Schnüre in meine Haut schneiden. Wie verrückt geworden, werfe ich mich in alle Richtungen. Der Stuhl schwankt gefährlich und droht umzukippen, über meine Hände läuft Blut an den Stellen, an denen die Seile scheuern. Ich spüre keinen Schmerz. Zumindest keinen physischen. Bis etwas pranken-artiges mitten in meinem Gesicht landet.

<Du bist kein kleines Kind mehr! Sitz still, sonst sehe ich mich gezwungen härtere Maßnahmen zu ergreifen.> Therons Augen glitzern bei den letzten Worten wie die eines Geisteskranken. Der er ja auch ist. <Ich bin gekommen, um dir ein Angebot zu unterbreiten.> redet er weiter, als ich keinerlei Reaktion zeige. Wieder vergehen einige Sekunden. <Ich lasse dich leben, wenn du mir deine Macht gibst.>

<Sonst noch Wünsche?> spucke ich ihm entgegen. Blut aus meinem Mund befleckt nun sein königliches Gewand.

Die Frau, die sich vor nicht allzu langer Zeit noch meine Mutter nannte, verzieht angeekelt das Gesicht. Ihr eigen Fleisch und Blut hockt gefesselt und blutend vor ihr und sie? Sie macht sich scheinbar mehr Sorgen um die Flecken, die zurückbleiben werden.

Breit grinsend zeige ich ihr meine roten Zähne. <Angst vor den Bakterien, mein todkrankes Mütterchen?> Die letzten beiden Worte triefen nur so vor Ironie.

Lyssa zuckt zusammen, als hätte ich sie geschlagen. Naja, habe ich ja auch - verbal.

Das Gesicht meines Onkels läuft dunkelrot an, jedoch scheint er mir noch eine letzte Chance geben zu wollen, denn er atmet tief ein und aus, bevor er ein weiteres mal ansetzt. <Wir - deine Mutter und ich - wollen dich keinesfalls verletzen, weswegen ich dir gerne das Angebot noch einmal unterbreiten möchte. Du bist doch ein vernünftiges Mädchen, nicht wie dein Vater, der sich mutwillig in den Tod stürzte ...>

Kingdom of lost magicDonde viven las historias. Descúbrelo ahora