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Wie aus dem nichts begann Stefanie zu weinen. Völlig überfordert und überwältigt saß sie in diesem viel zu steril eingerichteten Zimmer, was förmlich nach Krankenhaus schrie. Alles war ihr zu viel und alles schien so surreal, dass das Chaos nur so aus ihr heraussprudelte. Draußen dämmerte es bereits und obwohl die Geburt schon ein paar Stunden her war konnte sie den Moment noch nicht greifen. Ihr Kopf war voll und überfordert mit all den Eindrücken, die es zu verarbeiten galt. In diesem Augenblick kam Thomas durch die Tür geschlichen, dessen Blick zuerst auf Stefanie fiel, die abwesend aus dem Fenster sah. Die Tränen zeichneten noch immer Spuren auf ihrem Gesicht. Erst als Thomas sie an der Schulter berührte bemerkte sie seine Anwesenheit. Völlig fertig ließ sie sich in seine Arme fallen, weinte an seiner Brust und verarbeitete all die Sekunden, Minuten und Stunden, die wie ein Wimpernschlag an ihr vorbei gerauscht waren. Die Geburt war viel schneller verlaufen als gedacht. Vor nicht einmal 12 Stunden saß Stefanie auf der Couch und sah sich mit Thomas alte Kinderbilder der beiden an, philosophierten über ihr Baby, während Steff gelegentlich ein paar Wehen veratmete und ihr Körper sich allmählich auf die Geburt einstellte. Auf dem Weg ins Krankenhaus hatte Thomas keine Mühen gescheut das Gaspedal voll auszureizen, denn für seine Freundin wurde es von Minute zu Minute intensiver und schmerzhafter. Immer wieder schloss sie ihre Augen und versuchte ruhig zu atmen, sich auf ihren Körper zu fokussieren. Im Krankenhaus angekommen war sie nicht einmal mehr fähig dazu gewesen eigenständig zu laufen, weshalb sie auf direktem Weg mit dem Rollstuhl in den Kreissaal verfrachtet wurde, wo die Untersuchung zeigte, dass ihr Körper so gut wie bereit für die bevorstehende Geburt war. Alles lief wie im Zeitraffer ab. Ein Augenblick jagte den Nächsten und eh sie sich versah setzten die Presswehen ein. Obwohl sie das Gefühl hatte innerlich zu zerreißen, gab sie ihr bestes um ihrem Sohn den Weg zur Welt zu verschaffen. Als ihr Kind endlich auf ihre Brust gelegt wurde schien die Welt still zu stehen. Sie war wie betäubt. Das einzige was sie mitbekam war der Schrei ihres Kindes. Oskars erster Schrei, der so kräftig und wunderschön war, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Thomas' Lippen, die ihre Stirn berührten, bildeten den nächsten Bruchteil ihrer Erinnerung, woraufhin so ziemlich alles ausgelöscht war. Das Einzige was sie jetzt nur noch spürte war Glück und bedingungslose Liebe einem Wesen gegenüber, dass sie 39 Wochen in ihrem Bauch getragen hatte. Sie konnte ihm förmlich beim Wachsen zusehen und auch seine Tritte waren schon in ihrem Bauch einzigartig gewesen. Die Leere in ihr, die jetzt präsent war ließ sie verwirrt zurück. Sie musste sich immer noch an ihren Bauch gewöhnen, der nun ohne Kind zurückblieb. Wenn Oskar nicht bei ihr war, fehlte ihr etwas.
Sie begann sich fester an Thomas zu klammern, während sie ihre Gefühle allmählich in den Griff bekam und wieder fähig war zu sprechen. Obwohl die Bilder immer noch wie eingebrannt in ihrem Kopf hämmerten, riss sie sich zusammen. „Gibst du ihn mir?", krächzte sie und sah zu Thomas auf. Sanft ließ er sie sofort los, stand auf und ging um das Bett herum, um zu dem kleinen Bündel Leben zu gelangen, dass separat in einem Bettchen schlief. Als wäre er Porzellan, nahm er seinen Sohn samt der weichen Elefantendecke hoch und bettete ihn in seine Arme. Und das war er auch. Wie Porzellan. Oskar war das kostbarste und zerbrechlichste was Thomas je in seinem Leben berühren durfte. Noch nie zuvor hatte er solch eine Liebe für etwas empfunden, was er nicht einmal 24 Stunden kannte. Er konnte kaum seine Augen von ihm abwenden, als er langsam zu Stefanie ging und ihn ihr vorsichtig überreichte. Behutsam legte sie ihn in ihre Armbeuge und hatte nur Augen für ihn. Ihren Sohn, auf den sie viel zu lange warten musste. Der das größte Geschenk war, was sie mit Thomas teilte. Ihr kleines Wunder ließ sie jegliche Strapazen der Geburt vergessen und ihre Augen waren nicht dazu fähig sich von Oskar abzuwenden. Gerade lehnte sie sich zurück und somit wieder in Thomas' Arme, da er sich erneut neben sie gelegt hatte. Zusammen betrachteten sie nun das allererste Mal seit der Geburt ihren Sohn genauer, sogen jeden Millimeter seines kleinen Körpers auf, während er friedlich schlief. „Er sieht aus wie dein Ebenbild.", flüsterte Thomas, der seinen Kopf auf ihrem abgelegt hatte, während sie sich von seinen Armen halten ließ. „Ich finde er hat ein paar charakteristische Merkmale von uns beiden. Da ist uns eine gute Mischung gelungen.", lächelte sie, als sie mit ihren Fingern vorsichtig sein kleines Gesicht umrandete. Unweigerlich schossen ihr erneut die Tränen in die Augen, was wahrscheinlich den völlig durcheinander geratenen Hormonen zu Grunde lag. Sie bahnten sich ihren Weg über ihre Wangen ohne dass Stefanie etwas dagegen tun konnte. Sanft legte Thomas eine Hand an ihre Wange und zwang sie ihn anzusehen, woraufhin er sich zu ihr beugte und sanft seine Lippen auf ihre legte. Sie genoss den Kuss, schätzte Thomas für sein Verständnis und konnte glücklicher nicht sein endlich den Traum des Paares in ihren Händen zu halten. Das, was sie sich so lange Zeit gewünscht hatten, was sie jedoch beinahe ihre Beziehung kostete und gleichzeitig die Band gefährdet hatte. Doch all diese Risiken waren es wert endlich ihr kleines, perfektes Baby in den Händen zu halten. Das Ergebnis von unendlicher Liebe, Stärke und Durchhaltevermögen. Noch nie im Leben hatten sowohl Stefanie und Thomas das Gefühl etwas so unendlich lieben zu können wie Oskar. Diese bedingungslose Liebe war neu, doch erfüllte die Beiden mit einem Strahlen, was sie wohl so schnell nicht mehr verlieren würden. Vorerst genossen sie noch die Zeit zu dritt, bevor dann endlich auch die beiden Onkel des Kleinen ihn sehen durften, welche schon unruhig zuhause warteten, da solch ein Wunder nicht alle Tage innerhalb der Band das Licht der Welt erblickte.

unfulfilled dreams (a Thoffi story)Where stories live. Discover now