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Lena sah sie nur ein Mal ganz kurz an, achtete dann aber doch lieber auf den Weg, um nicht zu stolpern. Dabei blieb ihr aber fast die Luft weg, denn diese garstige Kallila war dieses wirklich wunderschöne Mädchen das Kyl gestern geschlagen und angekrischen hatte, weil der ihren Vater getötet hatte.
Vielleicht war sie ja auch nur deshalb so biestig... sie war traurig... und sicher auch hasserfüllt.
Schnell verkniff sich Lena jede weitere Regung, stieg möglichst anmutig, so wie eben gerade Kitoma aus dem Wasser und sah sich tatsächlich dort oben noch mit weiteren Mädchen konfrontiert, die sie entgeistert anstarrten, geschockt wirkten oder einfach nur fassungslos.
Kitoma ging nun gelassen an den Mädchen vorbei zu den Handtüchern, nahm sich auf dem Weg auch noch frische Kleidung mit und grüßte die übrigen Mädchen höflich, bevor sie durch den Perlenvorhang entschwand. Lena aber konnte es sich einfach nicht verkneifen noch einmal kehrt zu machen.
In das Handtuch gewickelt und neue Sachen im Arm ging sie noch einmal zu dem wunderschönen Mädchen zurück und betrachtete sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf, beinahe traurig, weil das schöne junge Mädchen wohl niemals wirklich ihre Freundin sein wollte und würde.
„Es tut mir leid dass du deinen Vater verloren hast, Kallila. Du bist sicher sehr wütend auf Kyl und das währe ich an deiner Stelle auch. Aber deswegen Kitoma anzugreifen ist nicht sehr nett. Sie hatte damit schließlich nichts zu tun. Und ...Wenn ich wüsste was das Kammerberufen bedeutet, hätte ich Kylianders Mutter Kitoma garantiert schon da reinberufen, schließlich kann sie mir am besten sagen was sie früher so als Hochlady gemacht hat. Ich selbst kenne noch nicht einmal diese Welt oder war schon mal irgendwo anders in Takolia außer hier.
Und warum du denkst dass ich ihr vielleicht nicht zuhören würde, wenn sie mir davon erzählt was andere über mich lästern, weiß ich auch nicht, aber vermutlich denkst du ja, du bist so schön, dass dich jeder auf der Stelle lieb hat und nur zu gerne in deiner Nähe ist, nicht wahr?
Das solltest du dir vielleicht aber noch einmal gut überlegen, das so zu sehen. Denn Schönheit vergeht, hat meine Großmutter immer zu mir gesagt. Und wenn du dann nicht Leute um dich hast die dich um deiner selbst willen lieben, mögen und gerne in deiner Nähe sein wollen, dann wist du vermutlich so enden wie meine Großtante Isabelle. Die wurde nur 74 Jahre alt, hat nie Besuch bekommen, weil sie so garstig war, Kinder hasste und Männer verabscheute. Keiner hat sie gemocht und sie hatte natürlich auch gar keinen Mann oder eigene Kinder. Dafür aber eine sehr, sehr hässliche Warze mitten auf der Nase, - genau da!", zeigte sie dem Mädchen an ihrer eigenen Nase wo die Warze gesessen hatte. „Meine Großmutter sagte immer zu mir, das schwarze, dunkle und fiese in ihr hätte sich wohl in späteren Jahren sichtlich nach außen gekehrt. Das war Gott der das so gemacht hat.
Die Götter hören nämlich zu und sehen alles, auch wenn sie meistens fieserweise nicht eingreifen wenn Unrecht passiert. - Mach also bitte nicht den selben Fehler wie meine Tante.", schloss sie die Rede an das verdutzt guckende Mädchen und sah statt dessen die nahe stehenden, jungen Frauen traurig an, die ihrem Blick auch alle verlegen auswichen. „Ich hätte wirklich gerne richtige Freundinnen auf dieser Welt. Es ist schade das jeder hier davon ausgeht dass das mit mir, weil ich jetzt ja Hochlady bin, nur gehen kann wenn man selbst edel oder eine Lady, eine Freundin einer solchen oder sonst was Besonderes ist.
Die Sache ist nur eben die, das ich mich selbst tatsächlich gar nicht besonders finde, das ich selbst auch gar nichts Besonderes bin und absolut keiner ist das, nirgendwo und auf keiner Welt. Mann ist einfach nur da, so wie man gerade ist, ob nun schön oder nicht schön. Und ich bin eigentlich auch nur ein ganz normaler Mensch. Und wenn meine zukünftige Freundin hässlich wäre wie die Nacht und arm wie eine Kirchenmaus, wenn sie den fiesesten verbrecherischsten Vater aller Zeiten hätte oder überhaupt keine Eltern, wenn sie... was weiß ich... eine Samurai-Gildach wäre die aber echte Gefühle haben kann und fröhlich ist und gut und treu und nett und lieb und wenn sie dann da ist, wenn ich sie wirklich brauchte..." sie hielt kurz inne und atmete hilflos fühlend aus bevor sie nun bekräftigend nickte.
„- Dann würde ich das alles und noch viel mehr auch für sie und mit ihr sein wollen. Es würde mir nichts ausmachen, wer sie ist oder was ihr Status ist, Hauptsache sie hat eine gute Seele und meint es ebenso gut mit mir, wie ich es auch mit ihr meinen möchte. So eine Freundin wünsche ich mir und nicht ... Zerstreuung und Spiele. Ich hatte auch so eine Freundin, noch vor einer Woche zu Hause auf der Erde, doch jetzt ist sie wahrscheinlich tot oder von den Maskenkriegern verschleppt worden, eine Gefangene, geschlagen, vergewaltigt und vielleicht gerade lieber tot als noch am Leben. Und ich bin jetzt hier und muss mich erst noch zurecht finden.
Doch das heißt nicht, dass ich einer nett bittenden Mutter verweigere ihrem kleinen süßen Baby etwas vorzusingen oder einen Namensvorschlag zu machen. Und ich wurde nett darum gebeten. Ob diese Familie nun gut ist oder schlecht, arm oder reich. Sie sind Tak oder? Und ich lebe nun bei den Tak. Ich werde jeden Einzelnen von ihnen genau so behandeln wie ich auch selbst gerne behandelt werden möchte, freundlich, höflich und mit Respekt. Und vielleicht finde ich ja dabei ein oder zwei gute Freundinnen, die es wirklich auch selbst gut mit mir meinen und nicht nur diesen seltsamen Stirnreif auf meinem Kopf sehen, der eigentlich rein gar nichts bedeutet. - Oder doch... das schon, nämlich das man sehr, sehr viel Verantwortung trägt und sehr, sehr vielen Leuten helfen muss und helfen kann, wenn man nur einfach mal Willens und bereit dazu ist.", schloss sie und sah noch einmal im Kreis herum, doch die Mädchen schienen sich nun sichtlich noch unwohler zu fühlen und sahen sie gar nicht mehr an.

Lena ging leise seufzend und mit nun ebenfalls gesenktem Kopf zum Perlenvorhang hinüber und hindurch. Kitoma saß dort auf der Bank, bereits fertig angezogen und sah sie auf eine völlig neue Art und Weise an. Sehr ernsthaft und sehr eindringlich.
„Du hast mir heute schon zum zweiten Mal ein Bild gezeichnet von einer Hochlady die ihres Amtes würdig ist, Lena. Ich bin stolz darauf dass du meinen Sohn erwählst hast. Er hat großes Glück und wir anderen Tak nicht minder.", sagte sie sehr gesetzt und fast schon zeremoniell zu ihr.
Lena aber sah sie nicht an und trocknete sich nur stumm ab. Zog sich die frischen Sachen an, mit einem diesmal dunkelbraunen Überkleid, einfachster Art. Es hatte sogar einen kleinen Flicken am Rock und Kitoma wollte gerade empört protestieren, dass das nicht die angemessene Kleidung für eine Hochlady sei, doch dann ließ sie es bleiben, als sie bemerkte dass Lena den Flicken sehr wohl bemerkt hatte aber nur sachte grienend darüber strich und sah ihr statt dessen weiter stumm dabei zu, wie sie aus dem einfachen, geflickten Gewand etwas strahlendes, gutes entstehen ließ, schlicht indem sie es trug. Sie ordnete die Schnürungen so präzise, dass es Kitoma verwunderte, machte selbst aus dem Ankleiden fast eine kleine Zeremonie, wie sie sich bewegte und dabei leise summte und ihr Haar dass allmählich trocknete zu einem Schopf drehte und diesen über die rechte Schulter hinab zog und zupfte, um die Locken gleich wieder etwas herauszuziehen.

Kitoma bewegte sich stumm mit ihr mit, reichte ihr eine Bürste mit weit gesetzten Zinken die man erst gestern für ihre Locken gefertigt hatte und sie kämmte sich mit einem dankbaren Lächeln und einem neuerlichen leisen Summen die langen Flechten aus, während sie sich dabei im Spiegel betrachtete.
Kitoma fragte sich unwillkürlich was sie da sah, weil sie manchmal so seltsam forschend die Augenbrauen hob oder sich kurz zugriente, dann wieder eine lustige Fratze schnitt. Auf jeden Fall konnte sie wohl nicht erkennen wie anmutig und schön sie war.
Schöner sogar noch als die edle und von allen verehrte Kallila, mit ihrer so reinweißen Haut und dem roten Haar und den strahlenden blauen Augen, die sich selbst nicht dafür aber alle anderen Wesen um sich herum im rechten Licht sehen konnten.
„Darf ich dein Haar für dich trocknen, meine Amna?", fragte Kitoma sie schließlich milde und hob eine Hand.

Lena nickte nur lächelnd und sie zog ihr wie schon ihr Sohn auf einmal alle Nässe aus den nun wundersam groß wallenden Locken heraus. Lena kämmte sie gleich wieder aus, bis die Locken länger wurden und noch größer, bis es nur mehr Wellen waren.
„Ich glaub so wird's gehen!", sagte sie zu ihrem Spiegelbild und grinste sich noch einmal selbst fröhlich zu, bevor sie in den Umhang schlüpfte den Kitoma ihr bereits entgegen hielt.
„Danke Kitoma... Ich meine natürlich Kitti. Entschuldigung ich mache immer so viele dumme Fehler. Meine Mutter hat auch immer gesagt ich würde zu viel reden und zu wenig zuhören. Das muss ich noch üben.", tadelte sie sich selbst und Kitoma war einmal mehr über ihre Sicht der Dinge überrascht. „Ach, Lena, hörst du noch mehr zu und bist dabei so weise und gut - selbst zu deinen Feinden, die dir böses wollen - dann weiß ich nicht ob Takolia dich jemals wieder gehen oder selbst im hohen Alter sterben lassen kann.
Weißt du? Mein Sohn hat wohl recht wenn er behauptet wir brauchen eine neue Sicht auf alle Dinge.
Die alte Sicht war nicht immer gut. Also gehe
du deinen Weg und folge den Worten derer die dich zu diesem besonderen Menschen gemacht haben, der sich aber selbst nicht für etwas besonderes hält. Heute Abend treffen sich alle Tak an den Klippen um das Triad zu feiern und die Worte des Hochlords zu hören die allen Tak gelten die auf Takolia leben. Sei du nur du selbst, steh aufrecht neben ihm und halte den Kopf gehoben. Das ist alles was ich dir dazu sagen will. Den Rest wirst du mit deinen unfehlbaren Instinkten gewiss selbst schaffen, meine Tochter."
Lena lächelte gequält als sie der älteren Frau durch den Korridor nach draußen folgte.
„Unfehlbare Instinkte? Ich und was ganz besonderes? Ich wünschte sie könnten sich mal mit meiner Mutter darüber unterhalten, Kitty, wie sie mich hier sehen. Sie war nie so ganz zufrieden mit mir. Hat ständig geschimpft aber ich war ja auch faul, und unordentlich und... Hu, mein Gürtel! Der Dolch!", drehte Lena sich abrupt um und rannte zurück in den Raum durchwühlte den Kleiderkorb aber sie fand den Gürtel nicht mehr, noch ihr altes lila Kleid.
- Oh Shit!

Takolia - Zwischen Schicksal und GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt