4. Kapitel - Verplappert

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Wir schlendern in den nahegelegenen Park. In der Morgensonne werfen die Bäume lange Schatten, die ersten Jogger und Spaziergänger sind unterwegs und ich schildere Leah erneut meinen Traum.

Sie kennt ihn mittlerweile genauso gut wie ich. So oft habe ich ihn ihr bereits erzählt. Trotzdem wird sie nicht müde, mir auch bei der tausendsten Wiederholung mitleidsvolle Blicke zu schenken.

Noch mitfühlender schaut sie jedoch, als ich für sie meine Séance mit Frau Schmidt zusammenfasse.

„Ach, Runi", sagt sie, stoppt und wirft ihren leeren Kaffeebecher über eine so große Distanz zielsicher in einen Mülleimer, dass selbst Dirk Nowitzki anerkennend dreingeschaut hätte. „Warum tust du dir das immer wieder an? Du hast doch selbst gar keine Freude an diesen Dingen, und wenn du endlich mal Geld verdienst, wäre es jede deiner Séancen illegal, solange du nur gut rätst und nicht wirklich auf deine Gabe zugreifst. War es nicht so?"

„Was soll ich denn machen?", frage ich und zucke mit den Schultern. „Meine Familie erwartet von mir, dass ich endlich was zustande bringe. Es war nie eine Option, dass ich etwas anderes werden könnte als Seherin. Ein wertvolles Mitglied der Zu.n.f.T. Und irgendwie möchte ich es ja auch. Immerhin ist meine Familie und die Zu.n.f.T. alles, was ich habe."

„Nicht alles! Du hast auch mich", fällt Leah mir ins Wort. „Und unter uns gesagt, eine Person, die dich mag, wie du wirklich bist, ist wertvoller als zwanzig eigentümliche Zünfte zusammen. Und dazu noch diese seltsamen Regeln. Who cares?"

Erschrocken fahre ich herum. Immer, wenn jemand kritisch über die Zu.n.f.T. spricht, habe ich sofort die Befürchtung, dass meine Mutter aus irgendeiner Hecke springt, alle Regeln der Zu.n.f.T rezitiert und der Person mindestens ein so unheilvolles Ereignis in der Zukunft vorhersagt, dass diese nie wieder ruhig schlafen kann. Und wenig Schlaf kann schlauchen. Ich weiß, wovon ich rede.

„Es sind die einzigen Leute, die einen nicht komisch anstarren, wenn man erzählt, aus was für einer Familie man kommt. Die Zu.n.f.T. ist der einzige Zusammenschluss, in dem wir so sein können, wie wir sind und ganz offen über alles reden können, ohne verurteilt zu werden", entgegne ich und merke selbst, wie lahm es klingt.

Meine Freundin stupst mich in die Seite. „Außer man heißt Runa von Videus."

Ich lächle sie an. „Ach, Leah. Was würde ich nur ohne dich machen?"

„Vierundzwanzigsieben Trübsal blasen, nehme ich an. Und ununterbrochen und ohne Widerspruch die Loblieder deiner Familie über die Zunft rezitieren. Oh die Zunft, oh die Zunft, sie steckt doch so voll Vernunft", reimt Leah vor sich hin und fasst sich theatralisch ans Herz.

Ich kann nicht anders, als in ihr Lachen einzustimmen. „Da sind aber ein paar mehr Punkte im Namen der Zu.n.f.T."

„Aber darauf reimt sich dann nichts mehr, wobei doch: Zu n f T, deine Regeln sind nicht ok!"

„Haha, Leah, ich wusste gar nicht, dass du so viel poetisches Talent hast, wenn du irgendwann keine Lust mehr auf deinen Job in der Bank hast, kannst du Witzebücher schreiben, oder so!"

Sie winkt ab. „Ach was. Die brauchen mich. Sonst arbeitet dort ja nur ein Haufen Trauerklöße." Sie nickt in Richtung eines jungen Mannes, der mit aufgeschlagener Zeitung auf einer Parkbank etwa hundert Meter vor uns sitzt. Er muss um die vierundzwanzig Jahre alt sein und sieht von oben bis unten perfekt gestriegelt aus. Als wäre er einer schlechten Kaugummiwerbung entsprungen. Leicht gelockte, mittellange, braune Haare, die mit so viel Gel versehen sind, dass sich nicht eine Strähne im sanften Sommerwind bewegt. Dazu eine schwarz umrandete Brille, blaue Krawatte und ein dunkler Anzug, der sicher mehr gekostet hat, als ich in drei Séancen mir Frau Schmidt verdienen würde. Wenn sie denn bezahlt hätte. „Der da zum Beispiel. Das ist Simon Simons."

(Ver-)SehenWhere stories live. Discover now