Kapitel 29 - Hopes and fears

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Leo Hollingworth

Ich stand neben meiner Schwester an der Absperrung und beobachtete Roxy, wie sie in den Parcours ritt. Danielle neben mir zappelte herum und war aufgeregt, als würde sie selbst jeden Moment in den Parcours müssen. Bei jedem Sprung den Roxy nahm hüpfte Danielle in die Luft und schnalzte mit ihrer Zunge. Ich wusste, dass sie in Roxy eine Schwester sah, sie hatte sie von Anfang an gemocht. Ich lächelte über Danielles Benehmen als plötzlich ein Raunen durch die Zuschauer ging. Schnell sah ich auf und sah gerade noch wie Roxy über den Kopf des schwarzen Pferdes katapultiert wurde. Bei dem entsetzlichen Krachen das entstand, als ihr Kopf gegen die Stangen des nächsten Sprungs knallte, duckte ich mich unter der Absperrung hindurch und rannte los. Ich musste zu ihr, so schnell wie möglich. Einen der Security-Männer, die eigentlich für die Sicherheit sorgen sollten, schubste ich grob beiseite da er mich hatte aufhalten wollen. Im Rennen sah ich, wie der schwere Pferdekörper Roxys Sturzbahn folgte und sie unter sich begrub.

„Roxy!", Danielle brüllte hinter mir hysterisch. Ich wusste, dass sie mir folgte. Was in diesem Moment in meinem Inneren vor sich ging, war unglaublich. Es war die blanke Angst, die mich antrieb. War sie tot? Da sah ich, dass sie den schweren Pferdekörper von sich schob, der Rappe war gerade aufgestanden, als ich ihren Schrei hörte. Ich wollte und konnte mir nicht vorstellen, wie groß ihre Schmerzen waren. Als ich bei ihr ankam zog ich sie sofort zu mir. Sie war wach, sah aber abwesend aus. Über ihr Gesicht lief so viel Blut, ich hatte keine Ahnung woher es kam, ich hielt sie einfach nur fest. Ich hatte seit Jahren nicht mehr geweint. Doch an diesem Tag tat ich es. Die Schluchzer, die aus meiner Kehle drangen, konnte ich nicht kontrollieren, ich hielt Roxy in meinen Armen. Ich zitterte, noch nie in meinem Leben hatte ich so viel Angst wie in diesem Moment. Und dann, ohne dass ich etwas hätte tun können, entglitt sie mir. Ihre Augen schlossen sich, ihr Atem wurde ruhiger, bis er gar nicht mehr zu hören war...

Ich wehrte mich noch nicht einmal, als die Sanitäter mich von ihrem Körper weg zogen. Ich ließ es einfach geschehen. Alle Hoffnung schwand, alles wurde dunkel. Es war mir egal, dass Danielle neben mir einen Nervenzusammenbruch hatte, dass sogar mein Vater weinte und dass der schwarze Hengst, gerade eine Frau umrannte, die ihn nur hatte festhalten wollen. Wie in Trance starrte ich dem großen Tier nach. Es rannte, rannte in Richtung Ausgang, in Richtung Freiheit. Als der Hengst kurz ins Schleudern geriet, da seine Hufeisen auf dem Asphalt rutschten, entdeckte ich Samuel Miller. Er stand hinter der Abschrankung und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen...

***

Die trotz ihrer erst 25 Jahre erfahrene Springreiterin Roxanne Fleming stürzte beim gestrigen Qualifikationsspringen zur Auswahl der englischen Nationalmannschaft schwer. Voyeur, der achtjährige Hengst, der Richard Hollingworth gehört, blieb unverletzt.

Beim letzten Hindernis, einer Kombination, stürzte der Rappe während der Landung. Fleming hatte keine Chance. Nachdem sie gegen den Aussprung der Kombination geschleudert wurde und sich dabei schwere Kopfverletzungen zu zog, wurde sie kurz darauf unter dem Körper des Hengstes Voyeur begraben. Die anwesenden Sanitäter handelten schnell, binnen weniger Minuten landete der Rettungshubschrauber auf dem Gelände des Reitgeländes. Jedoch vergingen mehrere Minuten bis die verunglückte Reiterin so stabil war, dass sie in den Rettungshubschrauber verbracht werden konnte.

Die Richter sind schockiert: „Das haben wir nicht kommen sehen!". Auch Rick Cromwell, der Trainer der nun feststehenden Nationalmannschaft Englands, sprach sein Mitleid aus.

„Es tut mir sehr leid, was Roxanne passiert ist. Und es tut mir leid, dass sie kein Mitglied der Nationalmannschaft ist.", so Cromwell.

Fassungslos. Das war das Wort, welches wohl gerade am ehesten auf meinen Gemütszustand zutraf. Oder wütend, wütend traf es wohl noch besser. Seit Stunden saß ich neben Danielle und meinem Vater auf den ungemütlichen Plastikstühlen in der Notaufnahme. Außer den scheußlichen mintgrün gestrichenen Wänden, den Plastikblumen und dem noch scheußlicheren kotzgrünen Linoleumboden, gab es hier nicht viel anzuschauen. An der Wand hing ein kleiner Fernseher. Doch meine Aufmerksamkeit auf diesen zu legen würde mich noch viel wütender machen. Stündlich zeigten sie die Bilder. Roxys Sturz und der Rettungshubschrauber. Es machte mich wahnsinnig, diese Bilder immer wieder ansehen zu müssen, als könnte ich sie irgendwann aus meinem Kopf bekommen... Niemals würde ich den Anblick von Roxys blutüberströmten Gesicht vergessen, oder wie sie mich verzweifelt ansah. Größere Angst hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt. Jedes Mal, wenn die schrecklichen Bilder wieder über den alten Fernseher flimmerten, schluchzte Danielle leise neben mir. Mein Vater starrte mit großen Augen das Gerät an. Ich verstand nicht, wie er diese Szene immer und immer wieder sehen konnte. Ich fokussierte meinen Blick wieder auf die mintgrüne, scheußliche Wand. Es war relativ ruhig in der Notaufnahme. Eine junge Frau war mit ihrem Freund hier. Er hatte sich wohl den Arm gebrochen oder so, doch es interessierte mich nicht. Hin und wieder eilten Ärzte und Krankenschwestern an uns vorbei. Ihre hässlichen Gesundheitslatschen quietschten bei jedem ihrer Schritte unangenehm und raubten mir den letzten Nerv. Seit fünf Stunden lag Roxy im OP und keiner besaß die Güte uns zu sagen wie es um sie stand. „Nur die Familie!", so war ihre Argumentation. Doch Roxys Familie war in Kanada.

Ich sah erst auf als ich eilige, rennende Schritte hörte. Kurz darauf kamen Josh und Luke schlitternd um die Ecke gebogen.

„Wie geht es ihr?"

„Wo ist sie?"

„Wir wären schon eher hier gewesen, aber Joshs Karre hat den Geist aufgegeben!"

Die beiden waren völlig außer Atem, mit weit aufgerissenen Augen starrten sie uns erwartungsvoll an. Ich zuckte nur mit den Schultern und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Ich war nicht in der Lage zu sprechen. Danielle sprang schluchzend auf und fiel Josh um den Hals. Er schlang seine Arme um ihren zitternden Körper und drückte sie fest an sich. Mein Dad starrte noch immer völlig fassungslos den Fernseher an.

„Sie wird operiert. Die Ärzte wollen uns nicht sagen, was mit ihr ist.", Die Stimme meines Vaters klang monoton und leise. Nachdem er mich vorher aufhalten musste, als ich auf einen der Ärzte losgehen wollte, weil dieses Arschloch uns keine Auskunft geben wollte, hatte er sich auf den weißen Plastikstuhl gesetzt und den Blick nicht mehr vom Fernseher abgewandt.

„Operiert?", Luke, der gerade eben schon blass ausgesehen hatte, wurde noch blasser.

Ich nickte schwach da es sonst keiner für nötig hielt auf Lukes Frage zu reagieren.

„Weiß... weiß ihre Familie Bescheid?", fragte Josh, der ebenfalls mit den Tränen kämpfte. Ich schüttelte wieder meinen Kopf.

„Ich erledige das!", Danielle löste sich schniefend von Josh und lief langsam den Gang entlang, um draußen telefonieren zu können. Unaufgefordert folgte Josh meiner Schwester. Ich hatte keine Ahnung, wie lange die beiden weg gewesen waren. Ich hatte mich nicht gerührt seit sie gegangen waren. Ich sah erst auf, als Danielle, die plötzlich direkt vor mir stand und mich ansprach. Völlig fertig sah ich ihr in die vom vielen Weinen geröteten Augen.

„Ich habe Roxys Mum gesprochen.", sagte sie mit heiserer Stimme. Ich antwortete nicht, wartete nur ab.

„Sie kommt her.", ich nickte als Zeichen, dass ich verstanden hatte. Trotzdem würde noch mehr als ein ganzer Tag vorbei gehen, bis Roxys Mutter hier wäre. So lange würden wir hier sitzen bleiben müssen und keiner würde uns sagen was mit dem Mädchen das ich liebte war.


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