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»Was sehen Sie?«, fragte mich Dr. Grayson. Ich saß wie immer auf diesem weinroten Sessel, doch um mich herum war alles schwarz, nur er und ich wurden ein wenig durch das grelle Licht erhellt. Was war hier los? Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas sagen würde, doch ich vermisste den mich depressiv machenden alten Raum.

»Wie bitte?«, fragte ich ein wenig perplex. Er lachte leise und zeigte mir sein offenes Lächeln, welches seine monströsen Zähne zur Schau stellte. Das wirklich Merkwürdige war jedoch, dass ich mich nicht daran erinnern konnte ihn jemals lachen gesehen zu haben.

»Schließen Sie Ihre Augen und sagen Sie mir was Sie sehen.« Was sollte das bewirken? Ich bekam allmählich ein Mulmiges Gefühl im Magen, denn sonst redete er nie so mit mir.

Ich schloss langsam meine Augen. Ich sah rein gar nichts bis auf endgültige Dunkelheit. Es war sogar ein wenig beruhigend einfach nichts zu sehen. Wenn es nur so mit meinen Gefühlen gewesen wäre, es hätte mir Vieles erspart.

»Kannst du mich vielleicht mal ansehen, wenn ich da bin? Immerhin bin ich nicht freiwillig hier.«, hörte ich ausgerechnet sie reden. Mein Herz begann sofort zu rasen und ich riss hoffnungsvoll meine Augen auf. Dort saß sie genau auf Dr. Graysons Platz. Sie war nicht wie in meinen Erinnerungen. Ihre Haut war bleich, ihre Lippen blau, ihr Haar voll Laub. Ihre Augen jedoch fixierten mich genau, ich erkannte den Hass in ihnen.

»Lucy«, hauchte ich, wobei mir die Tränen in die Augen stiegen. Warum war sie hier? Ich hatte sie doch tot im Sarg liegen sehen! Was wenn es nicht stimmte? Vielleicht war alles eine riesen Lüge, um mich zu testen. Meine Mundwinkel verzogen sich sofort zu einem breiten Grinsen. Sie lebte.

»Werde nicht sentimental Kathrine. Sieh mich doch mal an! Ohne dich wäre ich nie gesprungen, wenn du dich nicht nur für dich selbst interessieren würdest, hättest du es gemerkt und ich wäre nie-«

»Es tut mir leid, ich wollte das nie.«, unterbrach ich sie flehend, wobei mein Lächeln sofort verschwand. Ich verstand es nicht. Wie konnte sie tot sein, jedoch gleichzeitig genau vor mir sitzen? Das ergab keinen Sinn.

»Ach ja? Das sieht für mich und für alle anderen ganz anders aus. Wieso musste ich sterben und nicht du, hm?«, fragte sie heranlassend. Ich spürte wie die Tränen an meinen Wangen herabliefen. Das durfte nicht sein, ich konnte ihr keine Antwort auf ihre Frage geben. Gab es die denn überhaupt?

»Das kann ich dir nicht sagen, aber bitte hör mir zu, es tut-«

»Dir Leid? Das bringt mich auch nicht zurück. Merk es dir gut, es ist alles deine Schuld gewesen, nicht meine oder die der anderen, allein deine.«

Ich fuhr mit Tränen in den Augen aus meinem Schlaf. Es war ein Traum, es war nicht real. Es war nicht Lucy, nur ein Albtraum. Ich kannte ihn aber noch nicht, sonst war es immer derselbe mit ihr auf dieser Brücke. Er wäre mir lieber gewesen als dieser. Ich wischte mir die Tränen weg und sah dann auf meine Uhr. Der Wecker würde ohnehin gleich klingeln, da konnte ich mich gleich fertig machen. Manchmal fragte ich mich wie es wohl gewesen wäre, hätte ich sie nie kennen gelernt. Würde es mir dann besser gehen? Wahrscheinlich, aber ich hätte zu viel verpasst. Wer wären meine Freunde gewesen? Hätte ich Grace, Nick und Jonah überhaupt kennen gelernt? Immerhin war es Lucy, die mich auf die Idee gebracht hatte der Schülerband beizutreten. Ich erinnerte mich noch genau an ihr stundenlanges Betteln.

»Ach komm schon! Du musst bitte, ich flehe dich sogar an, siehst du?«, redete sie auf mich ein. Ich lachte leise in mich hinein, während ich meine Bücher in den Spind warf. Sie hatte zuletzt so gebettelt, als sie mit mir in den FreeFall- Tower wollte, als wir im Freizeitpark waren. Ich war wirklich mit ihr reingegangen, konnte danach aber kaum noch laufen vor Adrenalin.

Die Stille nach dirDonde viven las historias. Descúbrelo ahora