Gefangen in der Simulation

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Vor mir steht eine Reihe von Monitoren. Auf jeden ist ein anderer Teil der Stadt zu sehen. Der Zaun. Die Zentrale. Das Erdgeschoss des Gebäudes. Die Straßen im Viertel der Altruan, wo noch immer Soldaten patrouillieren.

Auf einem der Bildschirme läuft ein Programmtext. Er überträgt die Simulation, eine komplizierte Liste von Befehlen, die an die Ferox draußen geht. Und ich muss darauf aufpassen, dass alles so läuft wie es soll.

Ich sitze auf einem Drehstuhl vor den Monitoren und überwache alles.

"Tobias", sagt plötzlich jemand hinter mir.

Ich drehe den Kopf und sehe das Mädchen mit gerunzelter Stirn an. Woher kennt sie meinen richtigen Namen? Ich stehe auf und ziele mit meiner Waffe auf sie. Sie ist mein Gegner und niemand darf den Kontrollraum betreten.

"Waffe fallen lassen", fordere ich sie auf.

"Tobias du befindest dich in einer Simulation", sagt sie nun und benutzt meinen Namen.

Doch ich gehe darauf nicht ein, achte nicht auf ihre Worte.

"Lass die Waffe fallen, sonst schieße ich", erkläre ich ihr kühl. Sie bückt sich und legt langsam die Pistole auf den Boden.

Sie ist zu langsam.

"Lass die Waffe fallen", schreie ich sie ungeduldig an.

„Das habe ich", erklärt sie mir leise.

Dann stürzt sie sich auf mich und packt mich am Handgelenk. Damit hatte ich nicht gerechnet, also drücke ich schnell den Abzug. Sie duckt sie und die Kugel fliegt über ihren Kopf und schlägt in der Wand hinter ihr ein.

Sie versetzt mir einen Tritt in die Rippen und versucht meine Arme auf den Rücken zu drehen. Sie schafft es und ich lasse meine Waffe fallen. Nein, ich muss sie aufhalten. Das Programm hat oberste Priorität.

Sie greift nach der Waffe, doch bevor ihre Finger sie erreichen, packe ich sie und schleudere sie von mir. Kurz blitzt ein Bild von diesem Mädchen und mir an einer Schlucht auf. Wir küssen uns. Ich runzele die Stirn und konzentriere mich wieder. Ich versetze ihr einen Kinnhaken und ihr Kopf fliegt zur Seite.

Mit dem Fuß schießt sie die Waffe weg, aus meiner Reichweite. Sie gibt nicht auf, sie ist zäh. Dann tritt sie mir in den Bauch.

Ich fasse sie am Fuß und ziehe sie von den Beinen. Sie fällt. Ich trete nach ihr, aber sie rollt sich auf die Knie und greift nach der Waffe. Ich zerre sie an den Haaren beiseite, knalle sie gegen die Wand.

„Tobias", sagt sie wieder, diesmal flehentlicher.

Es rührt irgendwas in mir und wieder sehe ich sie vormeinen Inneren. Ich lockere meinen Griff und versuche diese Gedanken loszuwerden, doch sie überschwemmen sich. Immer wieder sehe ich sie. Diese Augen sind überall.

Da rollt sie sich schon herum und versetzt mir einen Tritt. Ihr Haar entgleitet meinen Griff, dann nimmt sie die Waffe an sich und richtet den Schaft auf mich.

„Tobias. Ich weiß, in dir steht noch der alte Tobias", sagt sie und ich schlucke.

Diese Stimme...

Sie steht auf und kommt auf mich zu.

„Tobias, bitte. Bitte Schau mich an." ihre Stimme hallt in mir nach und irgendwas regt sich in mir, ich bewege mich auf sie zu.

Von ihrem Gesicht laufen Tränen über ihre Wangen, was soll das?

„Schau mich an, Tobias, bitte!", ruft sie nun und ich kann die Verzweiflung in ihrer Stimme hören.

Sie hält die Waffe weiterhin in der Hand, doch sie scheint unschlüssig zu sein. Und dann drückt sie sie mir einfach in die Hand. Sie hat es verstanden. Sie darf nicht hier sein. Ich halte ihr die Waffe an die Stirn.

Sie weint nicht mehr, doch ihre Augen sind noch rot. Sie legt mir eine Hand auf die Brust. Mein Herz schlägt ein bisschen schneller, doch ich kann ihm nicht befehlen, damit aufzuhören. Das muss aufhören!

Ich spanne den Abzug. Doch weiter komme ich nicht. Denn da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. In meinem inneren drängt mich etwas dazu, die Waffe herunter zu nehmen.

Tris.

Sie ist es. Ich darf sie nicht verletzen, aber es ist meine Aufgabe.

„Tobias. Ich bin es", sagt sie nun wieder und geht einen Schritt auf mich zu.

Ich starre sie an, während sie mich umarmt. Mein Herz schlägt immer schneller. In meinem Inneren tobt ein Kampf und dann habe ich das Gefühl, als würde man einen Schalter umlegen. Klirrend fällt die Pistole auf den Boden.

Ich packe sie an den Schultern so fest ich kann, meine Finger graben sich in ihre Schultern. Oh Gott, fast hätte ich sie getötet. Ich hätte sie...Ich kann gar nicht klar denken und ziehe sie einfach an mich.

„Tris..."ich presse meinen Mund auf ihren und schlinge meine Arme um sie.

Sie lebt. Das letzte Mal als ich sie gesehen habe, waren wir bei Jeanine. Ich drücke sie so fest an mich, wie möglich, streichele über ihren Rücken.

Ich zittere am ganzen Leib, erinnere mich an all die Momente. Ich habe sie nicht erkannt, wie konnte das sein.

Dann lasse ich sie los und sehe sie einfach nur an. Ich küsse ihre Stirn, die Wangen und schließlich wieder ihre Lippen. Als ich mich von ihr löse, entfährt mir ein Schluchzen. Ich küsse sie wieder und wieder, kann gar nicht damit aufhören.

Ich weine. Ohne es zu bemerken, kullern die Tränen an meinen Wangen hinunter. Sie drückt sich an meine Brust und fängt auch an zu weinen.

„Wie hast du das gemacht?", fragt sie mich atemlos.

„Ich weiß es nicht. Ich habe nur deine Stimme gehört", erkläre ich ihr und ziehe sie wieder an mich.

Divergent: Fours Sicht *Abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt