Kapitel 2

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Den gesamten Vormittag über würdigt Aiden mich keines Blickes. Er versucht nicht mal unauffällig zu mir rüber zu schielen um zu sehen wie ich jetzt aussehe. Immerhin waren es sechs Jahre. Sechs verdammte Jahre, die wir uns nicht gesehen haben. Kein Telefonat. Kein Brief. Kein Besuch.

Obwohl sich meine Gedanken nur so überschlagen, versuche ich trotzdem an der Vorstellung festzuhalten, dass unsere Freundschaft ihm genauso wichtig war wie mir. Wie könnte es denn auch anders sein. Wir waren unzertrennlich.

Als es endlich läutet, der Unterricht damit offiziell beendet ist, schnappe ich mir meinen Rucksack und versuche mich Aidens zügigem Schritt anzupassen. Die Kapuze seines Pullovers hat er sich über den Kopf gezogen und steuert den Ausgang an.

»Aiden warte doch bitte mal!«, rufe ich ihm nach, erhalte aber keine Antwort. Er muss mich gehört haben, da die anderen Schüler mich auch verwirrt von der Seite mustern. Ich beschleunige meinen Schritt, bis ich schließlich neben ihm her laufe.

»Bleib doch mal bitte stehen«, ordne ich schnaufend an und greife nach seinem Arm, weshalb er abrupt stehen bleibt.

»Was willst du?«, knurrt er kaum verständlich zwischen den zusammen gepressten Lippen. Er würdigt mich keines Blickes, zieht lediglich seinen Arm weg, als er bemerkt, dass meine Hand ihn immer noch festhält.

»Wieso bist du so?« Die Kapuze verdeckt sein Gesicht und ich trete einen Schritt näher an ihn heran um mich in sein Blickfeld zu drängen. Ich gehe leicht in die Knie, lege meinen Kopf ein wenig zur Seite und versuche in seinem Sichtfeld zu erscheinen. Penetrant suchen meine Augen seine, bis er mir nicht mehr ausweichen kann.

»Wie bin ich?« Jede einzelne Muskelpartie seines Gesichtes ist angespannt und ich bereite mich schon auf eine zurückweisende Reaktion vor.

»Du gehst mir aus dem Weg und redest nicht mit mir. So kenne ich dich gar nicht. Früher warst du nett zu mir.«

»Definiere nett. Mein Wortschatz kennt dieses Wort nicht.« Seine Augenbrauen hat er zusammen gezogen, sodass sie über der Nasenwurzel streng nach unten zeigen. Der Zorn steht ihm ins Gesicht geschrieben und mit jeder Sekunde verengt sich sein Blick.

»Willst du mich auf den Arm nehmen? Sprechen Freunde so miteinander?«

»Freunde?« Seine Stimme ändert die Frequenz, wird fester und lauter und seine Augen sind mittlerweile auch zusammen gekniffen. Sein Blick ist hart und die Hauptschlagader an seinem Hals pulsiert mit solch einer Intensität, dass sie sichtbar wird.

»Ja. Wir sind doch noch befreundet.« Ich versuche die gekippte Stimmung zu retten und an seinen Verstand zu appellieren, werde jedoch ziemlich schnell auf den harten Boden der Tatsachen geholt.

»Sind wir das?«, schnaubt er genervt und hebt fragend eine Augenbraue.

»Das dachte ich zumindest.« Ich lächle gespielt, um das Gefühl der Verzweiflung nicht zu offenbaren. Ich möchte meine Emotionen kaschieren und flüchte in den entgegengesetzten Gesichtsausdruck, um ihm kein Einblick hinter meine Fassade zu gewähren.

»Ich bin der Killer. Vergiss das nicht.« Obwohl seine Lippen aufeinander gepresst sind, kann ich dennoch deutlich erkennen, dass er seine Zähne zusammen gebissen hat. Sein angespanntes Gesicht gleicht jetzt einem Stein, und seine Wangenknochen ragen extrem hervor.

»Das ist mir egal.«

»Sollte es aber nicht. Und jetzt geh mir nicht auf den Sack und mach dich aus dem Staub. Du möchtest nicht erleben wie ich bin, wenn ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe. Wer weiß wie es für dich enden könnte.«

Er atmet angespannt aus. Das Grün seiner Iris ist so intensiv, dass es bedrohlich und angsteinflößend wirkt. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und sehe ihm benebelt hinterher. Bereits zum zweiten Mal schon lässt er mich einfach links liegen.

Aiden - gefährliche LiebeWhere stories live. Discover now