7. Kapitel - Schmerz

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Ich lag auf dem Rücken und starrte stur an die Decke, die Tränen liefen mir unangenehm den Hals hinunter und versickerten in meinen Haaren. Ich vermisste sie so, es machte mich so fertig, meine Eltern leiden zu sehen. Ich bereue es, die Rede bei ihrer Beerdigung nicht gehalten zu haben. Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich konnte nicht anders und schrie laut auf vor Schmerz, immer und immer wieder. Ich bekam kaum Luft und drehte mich zur Seite. Schon bald war mein Kissen komplett nass und ich konnte nicht mehr weinen, sondern lag nur stumm da, ab und zu ein Schluchzen und ein heftig bebender Körper. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich meinen Vater nicht bemerkte. Als er dann seine Hand auf meinen Rücken legte, zuckte ich zusammen. Ich rollte mich auf die andere Seite und setzte mich auf. Er nahm mich in den Arm. „Es..es tut-tu so weeh!", wimmerte ich und wurde durch einige Schluchzer unterbrochen. Er drückte mich fest an sich. „Ja, es tut weh. Aber es war besser für Charly, sie hat sehr gelitten.", beruhigte er mich. Ich stöhnte vor Schmerz auf und rang nach Luft. „Ich-ich war in ihrem Z-Zimmer", sagte ich stockend. Mein Vater sah mich unbeholfen an und ich sah, wie er mit den Tränen kämpfte. Ein Kampf, den er letztendlich verlor. Genau wie Charly ihren Kampf gegen den Krebs verlor. Bei dem Gedanken daran begann ich wieder vor Schmerz zu wimmern. Und so saßen wir da, beide heulend auf meinem Bett und meine Mutter bedrückt und sprachlos im Türrahmen. Mein Vater löste sich von mir und strich mir mit der Hand über die Wangen. Ich fiel erschöpft auf den Rücken und er ging auf meine Mutter zu. Sie schlossen die Tür und gingen nach unten. Ich lag noch lange wach, so lange, dass ich aufstand und zu meinen Eltern gehen wollte, aber auf der obersten Treppenstufe inne hielt. „... einfach aus dem Haus gegangen", hörte ich meine Mutter sagen. „Sie hat das erste mal wegen Charly geweint.", warf mein Vater ein. Ich hielt den Atem an. Mir gefiel nicht, wie häufig sie in letzter Zeit über mich redeten und wie häufig ich sie dabei auch noch erwischte. Wahrscheinlich redeten sie noch viel häufiger über mich. „Meinst du, wir sollten mit ihr zu einem Therapeuten gehen?", fragte mein Vater vorsichtig. Ich hörte meine Mutter schnauben. „Nein, das ist sicher nur eine Phase. Da muss man sich doch schämen, wenn man mit der Tochter zum Therapeuten geht." Nachdem mein Vater darauf nichts erwiderte, schnappte ich nach Luft. Sie schämen sich für mich. Die Worte hallten in meinem Kopf wieder und wieder. Sie schämen sich für mich. Es schnürte mir die Kehle zu. Ich ging zurück in mein Zimmer und rollte mich in meinem Bett zusammen. Sie schämen sich für mich. Ich biss in mein Kissen und vergrub mein Gesicht darin. Dann schrie ich aus voller Kraft, ich schrie bis mir der Hals schmerzte. Und auch danach schrie ich noch. Meine Schreie wurden durch das Kissen erstickt und ich hörte erst auf, als ich nur noch krächzen konnte. Doch ich fühlte mich nicht besser. Sie schämen sich für mich. Ich biss die Zähne zusammen und schlug mit voller Kraft gegen die Wand. Ein dumpfer Schlag war zu hören und meine Knöchel liefen rot an. Sie taten sehr weh und langsam beruhigte ich mich und die Worte in meinem Kopf verschwanden. Als morgens mein Wecker klingelte, hatte ich nicht geschlafen. Während ich meinen Rucksack mit nach unten nahm, fiel mir siedend heiß das Training nach der Schule ein. Scheiße, das hatte ich komplett vergessen. Ich schmiss meine Basketballschuhe und das Trikot in meine Sporttasche und stellte sie neben den Rucksack. Dann begrüßte ich meine Eltern flüchtig und riss die Kühlschranktür auf, ich brauchte unbedingt Energie, das Training war wichtig. Ich schloss den Kühlschrank wieder, drehte mich suchend im Kreis und stopfte alles in mich hinein, was ich nur fand. Zwei Brötchen, eine Scheibe ungetoasteten Toast, eine Banane, noch mehr Toast und einen Donut. Mein Magen schmerzte und ich verzog das Gesicht. Ich verabschiedete mich rasch von meinen Eltern und stürzte aus dem Haus. Kurz vor der Bushaltestelle, Mareike hatte mir schon gewinkt, rebellierte mein Magen und ich übergab mich in das Gebüsch.

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