35. Kapitel - home sweet home

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„Das liegt dir nahe! Einfach weglaufen, wenn dir was nicht passt! Da hab ich schon wieder genug, dich heute mit nach Hause zu nehmen!", empfing mich meine Mutter wütend. Sie hatte die Hände in ihre Seiten gestützt und sah mich tadelnd an. Ich zuckte entschuldigend die Schultern. „Pack deine Sachen. Wir fahren gleich.", fügte sie trocken hinzu. Mir stieg die Hitze ins Gesicht, ich freute mich, endlich wieder nach Hause zu können. Ich erkannte das Verhalten meiner Mutter zwar kaum wieder, war mir aber sicher das ausblenden zu können. Ich stieg die Treppen hinauf und öffnete die Tür zu dem Gästezimmer. Ich hoffte genau wie letztes Mal, dieses Zimmer nie wieder betreten zu müssen. Ich packte meine Kleidung in meine Tasche und stopfte auch mein Schulzeug hinein. Dann bückte ich mich und kroch halb unters Bett. Zwischen einer dicken Staubschicht lagen meine zerbrochenen Pokale. Ich zog sie vorsichtig hervor und strich den Staub grob weg. Dann legte ich auch sie in meine Tasche. Und plötzlich kam ich mir schrecklich überflüssig vor. Keiner wollte mich, sie reichten mich einfach herum wie es ihnen gerade passte. Ich biss die Zähne zusammen und richtete mich auf. Egal, Hauptsache weg von hier!

Betrübt kam ich die Treppen hinunter, mein Vater nahm mir die Tasche ab und brachte sie ins Auto. Meine Mutter verabschiedete sich gerade von Peter. Sie gab mir einen Stoß mit dem Ellbogen. „Bedank dich!", zischte sie dann und folgte meinem Vater ins Auto. Unschlüssig stand ich vor meinem Onkel, der mich angrinste. Ich straffte meine Schultern und blickte ihm direkt in die Augen. „Und Tschüss!", sagte ich, drehte mich um und war auch schon am Auto angelangt. Als ich mich hinter den Fahrersitz setzte schloss sich die Tür des Hauses. Hoffentlich musste ich nie wieder über diese Türschwelle gehen. Ich schnallte mich an und mein Vater ließ den Motor an.

Eine weile fuhren wir schweigend zurück. Schließlich blickte mein Vater im Rückspiegel zu mir. „Wir möchten, dass du dich bei uns nicht selbst in die Arme schneidest. Und wir möchten, dass du isst. Ich habe dich kaum wiedererkannt, du hast die Figur einer zehnjährigen.", seine Stimme klang eindringlich. Ich nickte nur und lächelte gequält. Ich wollte ihm nichts versprechen, denn ich wusste, ich würde es brechen. Der Rest der Fahrt verlief wieder schweigend, einzig das Radio dudelte vor sich hin. Als mein Vater in die Einfahrt fuhr, überkam mich ein wohlig heimisches Gefühl. Endlich war ich wieder zu Hause. Ich sprang aus dem Auto und nahm meine Tasche aus dem Kofferraum. Mein Vater fuhr das Auto in die Garage und meine Mutter schloss das Haus auf. Sie lächelte dabei sogar schwach. Ich ging direkt die Stufen nach oben in mein Zimmer und stellte die Tasche vor meinen Schrank. Dann drehte ich mich im Kreis und sog jedes kleine Detail meines Zimmers auf. Ich hatte es so vermisst. Schließlich ließ ich mich auf mein Bett fallen und atmete den Geruch meiner Bettwäsche ein. Nie wieder wollte ich von hier fort, nie wieder.

Ich war gerade dabei, meine Tasche auszuräumen, als mein Vater mich zum Essen rief. Sofort würde ich nervös. Ein Vorteil bei Peter war gewesen, dass er nie von mir verlangte, zu essen. Aber das war auch schon der einzige Vorteil. Ich warf einen kritischen Blick in meinen Wandspiegel, bevor ich nach unten ging. Ich setzte mich auf meinen Platz und beäugte misstrauisch die Töpfe. Meine Eltern kochten phantastisch, keine Frage. Aber mich würgte es bei dem Anblick der dampfenden Töpfe dennoch. Doch ich tat meinen Eltern den Gefallen und aß. Wenn auch sehr langsam und nicht viel, aber ich aß. Und das war die Hauptsache. Mein Vater lächelte mir immer wieder aufmunternd zu, gab sich aber Mühe mich sonst nicht großartig zu beachten. Ich war ihm sehr dankbar, denn ich hasste es, wenn mich jemand beim Essen beobachtete.

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