2| Blütende Kirschbäume

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Nachdem wir uns aufgetrennt hatten, weil ich alleine den Kurs Latein belegt hatte, während die anderen beiden jetzt eine Naturwissenschaft hatten, lief ich zu dem Klassenraum. Das erste, was mir auffiel, waren die leeren Gänge, was aber wahrscheinlich daran lag, dass die meisten Schüler noch draußen waren und sich über die Ferien unterhielten. Umso angenehmer würde es werden, wenn ich erst einmal alleine im Klassenraum sein werde, denn so hatte ich ein bisschen Zeit, mich wieder an die Schule zu gewöhnen.

Wie ich es mir auch gedacht hatte, war ich die erste im Klassenraum. Aber das war mir mehr als recht, wenigstens konnte ich mir in Ruhe einen Platz aussuchen. Der Klassenraum bestand aus vier Reihen, wobei eine Reihe aus vier Doppeltischen bestand, jeweils zwei auf der linken und rechten Seite.

Ich beschloss mich dazu, mich in die zweite Reihe zu setzen, da ich es bevorzugte, dem Lehrer zuzuhören.

Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich die Tür aufgehen hörte. Stimmenwirrwarr durchdrang den Raum und von überall hörte man Getuschel, Gelächter und das nervige Geräusch, wenn Stühle zurückgezogen wurden. Doch ich schenkte ihnen wenig Beachtung. Stattdessen ließ ich meinen Blick aus dem Fenster gleiten, wo er an den Kirschbäumen hängen blieb. So fingen die Bäume an, endlich Früchte zu tragen. Noch immer hatte ich den Sinn der Pflanzen nicht herausgefunden.

Man durfte sich ihr nicht mehr als 5 Metern nähern. Selbst Kameras wurden angebracht und das nicht einmal mit einem wirklichen Grund.

Die Kirschbäume waren im entferntesten Sinne eine Repräsentation der Schule, aber keiner wusste genau warum. Es wurde gesagt, dass die Gründerin dieser Schule diesen Baum vor Jahrhunderten eingepflanzt haben soll, als sie im Sterben lag, aber wer glaubte bitte daran?

„Der Kirschbaum ist schön, finden sie nicht, Miss Lanster?", wurden meine Gedanken unterbrochen und ein Blick zu der Stimme zeigte mir, dass es mein neuer, jedoch nicht unbekannter Lateinlehrer war, Mr. Davis. Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit, weil er unser indirekter Nachbar war. Indirekt deswegen, weil neben uns ein leer stehendes Haus stand und neben diesem wohnte nun einmal Mr. Davis mit seiner kleinen Tochter Emily, wenn er mit seiner Frau unterwegs war.

„Natürlich, sie kennen doch meine Vorliebe für Kirschen, Mr. Davis", grinste ich ihn an und betonte dabei absichtlich seinen Namen, weil er es hasste, von mir so genannt zu werden. Er bevorzugte es, wenn ich ihn Adam nannte, da ich ihn schon immer so genannt hatte. Genau genommen müsste ich dort elf oder zwölf gewesen sein. Kurz nachdem mein Leben einen harten Schlag entgegen nehmen musste.

Innerlich schüttelte ich den Kopf. Es war vorbei. Seit mehr als fünf Jahren. Ich sollte langsam damit abschließen.

Aber abschließen ist immer leichter gesagt als getan.

Nachdem Adam sich wieder gesetzt hatte, widmete ich mich wieder der Umgebung. Ein Blick durch den Raum verriet mir, dass die meisten Plätze nun schon besetzt waren. Lediglich die hinterste Reihe war noch komplett frei, andere Reihen nur teilweise.

In der dritten Reihe, also die hinter mir, hatten bisher einige Mädchen Platz genommen, wobei die zwei Doppeltische an der Seite der Tür alle ziemlich nach zickigen Cheerleadern aussahen. Hinter mir waren noch zwei Doppeltische frei. In meiner Reihe waren überraschenderweise alle Plätze besetzt.

An meinem Doppeltisch hatte ein Junge Platz genommen, der mir aber recht wenig Beachtung schenkte. Ich hatte ihn noch nicht richtig betrachten können, da er sich ununterbrochen mit seinen Sitznachbarn unterhielt, denn - zu meinem Bedauern - saßen beinahe nur Jungs in meiner Reihe. Lediglich auf der anderen Seite saßen am Doppeltisch zwei Mädchen.

Und da ich mich nicht über den ganzen Raum hinweg mit jemandem unterhalten wollte, konnte ich eine Freundschaft mit ihnen theoretisch ganz vergessen, außer, wir müssten bei einer Gruppenarbeit zusammen agieren. Und das wäre ein ziemlich großes Klischee.

Nachdem ich gemerkt hatte, dass der Stuhl neben mir besetzt worden war, hatte ich natürlich sofort zu ihm geblickt, aber da hatte er mir bereits den Rücken zugekehrt. Lediglich seine breiten, trainierten Schultern, als auch sein rechter Arm, welchen er auf den Stuhl angelehnt hatte, wie auch seine blonden Haare waren in meinem Blickfeld zu sehen.

Ich hatte ihn bisher noch nie in der Schule gesehen, musste ich zugeben. Er könnte also durchaus ein neuer Schüler sein. Aber andererseits musste ich zugeben, dass ich auch keiner von den Schülern war, die jeden inspizierte, geschweige denn, jeden hier kannte.

„Du kannst gerne ein Foto machen, dann musst du mich nicht mehr so offensichtlich anstarren."

Verwirrt riss ich mich von meinen Gedanken los und nahm meine Sicht wieder wahr, nur, um zu bemerken, dass sich ein gewisser Junge zu mir umgedreht hatte, um mich anzugrinsen. Seine blauen Augen lachten mich neckend aus, doch sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er es nicht böse gemeint hatte.

Und augenblicklich spürte ich die Sympathie ihm gegenüber ansteigen.

Please, not again ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt