5| Atemlosigkeit

7.4K 309 57
                                    

„Hey, was haben wir gleich?", fragte ich Ash und Dean, die neben mir durch die Gänge liefen. Der erste Tag war bereits vergangen und somit begann für uns bereits der nächste. Es fühlte sich jetzt bereits an, als hätten wir nie Ferien gehabt.

„Ich habe Kunst, ihr beide solltet Theater haben. Die neuen Schüler sollen auch ab heute dabei sein! Ich bin schon so aufgeregt! Wie sie wohl sind? Und hoffentlich sind gleich welche in meinem Kurs. Ich will wissen, wie sie aussehen und sind und warum sie hier sind! Vor allem der Sohn von den Williams! Ach, so nebenbei, habt ihr heute schon Mel gesehen?", antwortete mir Ashley, für ihre Verhältnisse, ruhig.

Kurz erwähnte ich, sie am Tag zuvor getroffen zu haben, aber damit ließen wir das Thema auch fallen. Ash wusste, was ich von Mel hielt, aber ich akzeptierte ihre Freundschaft. Wäre auch mies wenn nicht.

Sie war schließlich von unserer kleinen Gruppe – in der nur noch Phillip fehlte, welcher zurzeit jedoch krank war – wohl die Beliebteste von uns.

Nicht verwunderlich, denn sie war eine wahre Schönheit mit ihren blonden Naturlocken, die engelsgleich bis unter ihre Brust verliefen und den eisblauen Augen, die den Jungs förmlich den Kopf verdrehten. Ebenso war sie aber auch die einzige von uns, die sich in der Aufmerksamkeit badete und den anderen Meinungen immer recht sein wollte.

„Hey, da drüben ist Kristina, ich geh mal zu ihr. Ich hab mit ihr Kunst und muss später dann nicht alleine zum Kunstgebäude. Man sieht sich in der Pause und viel Spaß. Und wehe, Leute, wehe ihr könnt mir später nichts zu den Neuen sagen! Bye", verabschiedete die Blondine sich mit einer knappen Umarmung von uns und eilte dann zu einer Gruppe von Mädchen, die vor dem Wasserspender stand.

-

„Wie jedes Jahr werden wir am Ende des Halbjahres ein Theater aufführen, meine Lieben, darum bitte ich euch, mit einer eindeutigen Meldung abzustimmen, welches Stück wir spielen wollen. Da stehen uns einmal Dornröschen zur Verfügung, ebenso Romeo und Julia und natürlich Cinderella.

Die Geschichten werden wir selbstverständlich alle moderner gestalten, eventuell sogar Tanzszenen oder Singszenen einsetzen, vorausgesetzt, jemand kann hier tanzen oder singen. Irgendwelche Fragen? Nein. Gut, dann können wir ja anfangen, das Offensichtliche zu klären."

Unsere Lehrerin, dessen spanischen Namen ich mir nicht merken konnte, zog wirklich knallhart durch. Aber sie erinnerte mich leicht an eine Ente, da ihre Lippen ziemlich unnatürlich abstanden.

Nennen wir sie Miss Duck. Auf jeden Fall merkte man, dass sie das nicht das erste Mal tat und darum wusste, wie man mit Schülern umzugehen hatte und wie sie mit uns anfangen sollte, damit wir uns einfanden.

Wir mussten uns in einem Kreis auf dem Boden setzen und wurden dann gefragt, was wir für eine Charaktereigenschaft wir hätten, die wir als Rolle gut umsetzen könnten.

Erst jetzt fiel mir auf, dass wir doch recht wenige waren. Nachdem ich durchgezählt hatte, bemerkte ich, dass wir gerade einmal vier Mädchen und sieben Jungs waren. Persönlich hätte ich mit viel mehr Schülern gerechnet.

Ein Blick durch die Reihen zeigte mir, dass ich zwei Mädchen vom Sehen her kannte, das eine jedoch neu hier aussah.

Ich konnte nicht direkt sagen, was es war, aber irgendwas klingelte in mir, als ich sie sah. Aber nicht in dem Sinne, dass ich sie von irgendwoher kannte, sondern, dass sie ein großes Geheimnis mit sich trug und dass sie bereits mehr erlebt hatte, als es für ihr Alter angemessen sein sollte.

Genau wie du.

Gott, mein inneres Ich sollte mal die Klappe halten. Ich wusste auch ohne Anmerkungen, dass mein Leben in den letzten Jahren scheiße lief. Ich verkrampfte mich leicht, doch zwang mich selbst, meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne zu lenken.

Ein Blick auf ihre Tasche verriet mir, dass sie wahrscheinlich Liz hieß, weil es auf einem Schlüsselanhänger draufstand. Sie hatte lavendelfarbene Haare und dunkelblaue Augen. Die Kombination sah einfach so geil an ihr aus, dass ich nicht anders konnte, als sie eine Zeit anzustarren. Dazu hatte sie noch ein so wunderschönes Modelgesicht. Ich war nicht direkt neidisch auf ihr Aussehen, aber bewundern tat ich sie schon.

Aber Aussehen war nun einmal nicht alles. Ich hasste es, wenn man alles auf die Oberflächlichkeit beschränkte. Das war einfach ein richtig, richtig niedriges Niveau und darum beschloss ich, ihr gegenüber neutral zu sein. Wenn sie scheiße zu mir war, würde ich sie vermeiden, wenn sie nett war, würde ich mich freuen, mich mit ihr anzufreunden.

Ich wendete meinen Blick schließlich doch ab und realisierte, dass mein werter, bester Freund sie ebenfalls anstarrte, jedoch sehr viel auffälliger. Um Dean ein paar Peinlichkeiten zu ersparen, stupste ich ihn kurz an. Daraufhin hatte er mich kurz angeblickt und sich ihr mit einem "Was?" wieder gewidmet.

Ich verdrehte nur einmal kurz meine braunen Augen – es war schließlich seine eigene Schuld, wenn er am Ende als ein Stalker abgeklatscht werden würde – und ließ meinen Blick weitergleiten. Mit mir wären dann die vier Mädchen komplett.

Abgesehen von Dean hatte ich dann noch sechs weitere Jungs gezählt.

Den ersten kannte ich; er war vor längerer Zeit in meiner Klasse gewesen. Er hatte kurze, blonde Haare und graue Augen, war schlaksig vom Körperbau und hatte einige Pickel an der Stirn. Aber wenn man ihn kennenlernte war er einer der liebsten Personen, wie man kennenlernen konnte.

Neben ihm saß einer seiner Kumpels, welchen ich ebenfalls vom Sehen kannte. Der dritte Junge in der Runde war tatsächlich Jack, welcher mir in dem Moment auch entgegengrinste. Jetzt fiel mir auch Logan auf, welcher auf Jacks Schulter eingenickt war und im Halbschlaf eine Haarsträhne vor seinem Gesicht dauernd wegpustete, wenn er ausatmete.

Leicht kichernd winkte ich ihm leicht zu, woraufhin er mir einen gespielt arroganten Blick schenkte.

Bevor ich zu den letzten beiden Jungs kommen konnte, wurde Logans Name aufgesagt. Dieser reagierte anfangs natürlich nicht, aber Jack half da – liebenswert, wie er war – nach, indem er seine Schulter ruckartig wegzog.

Logan fiel daraufhin nach vorne, zuckte aber noch rechtzeitig hoch, bevor er wegen seines Gleichgewichtes vollkommen umgefallen wäre. Sein hektisches Händefuchteln war dennoch ziemlich amüsant, sodass die meisten hier im Saal auflachten, ebenso ich. Nicht allzu lieb, wenn man seinen verwirrten Blick beachtete und sein unauffälliges Sabber-Wegwischen. Hmm, lecker.

"Logan, deinen Charakter und dein Schauspieltalent, bitte!", forderte Miss Duck ihn ein weiteres Mal auf. Logan fasste sich schnell und antwortete, mit einem spitzbübischen Grinsen in die Runde:

"Ich bin eine recht unsichere Person, aber bin echt ein Profischauspieler. Wissen Sie, ich kann gar nichts, aber im Schauspielern bin ich richtig geil, das verspreche ich ihnen! Jeder liebt mich und alle wollen Autogramme, bevor ich überhaupt auf die Bühne gehe. Jeder weiß, wenn ich da bin, ohne mich gesehen zu haben, weil ich so eine tolle Ausstrahlung habe. Aber wie gesagt, mein Selbstbewusstsein ist wirklich sehr... niedrig."

"Was er damit sagen will, ist, dass er gerne die arrogante Rolle spielen will, weil sie ihn perfekt wiederspiegelt", unterbrach Jack ihn, woraufhin ich mir mein Lachen zurückhalten musste. Auch alle anderen lachten leise. Naja, fast alle. Neben mir saßen die letzten zwei Jungs, dessen Beine wirklich unglaublich lang erschienen.

Als mein Blick wie automatisch zu ihren Gesichtern hochfuhr blieb mir die Luft weg.

Ich vergaß zu atmen, vergaß, wie man Luft holte. War einfach vom Hocker gehauen.

Please, not again ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt