Kapitel 1

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Mittwoch, 24. August

Okay! Heute ist es also soweit. Mein erster Tag an der neuen Schule. Heute mache ich oder versuche es, in drei Jahren mein Abitur so zu schaffen, dass ich ohne viele Probleme in mein Studium kommen kann. Heute werde ich meinem Medizinstudium einen Schritt näherkommen. Obwohl ich relativ pessimistisch veranlagt bin, will ich trotz dessen Ärztin werden. Wenn andere es schaffen, wieso sollte es bei mir nicht gelingen? Bei den vielen fehlenden Kompetenzen der Ärzte sollte es nicht allzu schwer sein, in ihre – korrigierten – Fußstapfen zu treten. Ich grinse jetzt schon, weil ich weiß, dass jemanden meine Art nicht passen wird. Wir haben 07:00 Uhr; allerhöchste Zeit, mich fertig zu machen. Würde ich nicht aus leichter Vorfreude und Aufregung schon jetzt in meiner Boyfriend-Jeans und beigem Oberteil vor dem Spiegel stehen und den taillierten Bund zurechtziehen, würde ich noch schlafen. Ich muss jetzt schon an meine Freundinnen denken, die sich sicherlich nach hübschen Jungs und der großen Liebe sehnen und muss deswegen wieder grinsen. Ich freue mich! Ich liebe die Schule! Ich hoffe einfach nur, dass ich eine lustige Stufe habe. Ich nehme meine goldene Kette zur Hand, sprühe mein liebstes Bodyspray auf, nehme meine Tasche und ziehe meine Jordan 11 Colombia an, die ich mir schon am Vortag rausgelegt habe.

Es sind nur fünf Minuten vergangen, also kann ich noch in Ruhe Kelloggs essen. Ich finde, ich habe meinen Körper trotz Laktoseintoleranz und diversen Allergien ziemlich gut im Griff habe. Sollte ich Ärztin werden, kann ich ja die Hypothese aufstellen, dass konstante Milchzufuhr zur Toleranz beitragen kann. Ich schreibe meinen Freundinnen, die in unserer Gruppe schon von ihren Liebesvorstellungen erzählen, kann mich so lachend von meinem wippenden Bein ablenken, bis ich zu Ende gegessen habe. Jetzt noch schnell ins Bad, Gesicht waschen und Zähne putzen und meine Locken durch Wasser und Kneten wieder in Schwung bringen. Sieht doch gut aus. Nur noch Feuchtigkeitscreme und ich perfekt und bereit für die Schule. Nun haben wir 07:18 Uhr, perfekt! In drei Minuten muss ich aus dem Haus, da der Bus um 07:31 Uhr kommt und es acht Minuten zur Haltestelle dauert. Dann sind es nur noch zwei Minuten bis der Bus kommt, falls er sich nicht verspätet. Im Aufzug muss ich schon vor Vorfreude auf den Tag grinsen. Keine Ahnung, wieso ich mich so sehr freue, aber ich kann mir die ganzen Abenteuer schon vorstellen, wenn meine Freundinnen und ich zusammen auf Ausflügen sind. Das Wetter ist gut, die Sonne scheint am hellblauen Himmel und vermittelt mir mit meiner Musik ein gutes Gefühl.

Die Busfahrt vergeht schnell. Ich bemerke sofort, dass die Leute im Bus auf meine neue Schule gehen, beachte sie aber wenig – soweit es mir möglich ist. Diese kleinen nervigen Kinder brauchen eine bessere Erziehung und man sollte es dringend in Erwägung ziehen, mehr Ersatzbusse zur Verfügung zu stellen, statt dafür zu sorgen, dass man zwischen Menschen und Trennwänden eingequetscht wird. Das wäre auch sicherlich eine Verbesserung der Arbeitsplätze der armen Mitarbeiter. Hoffentlich werden sich meine Freunde in der Schule schnell gut auskennen, denn ich werde es definitiv nicht tun, so gut, wie ich mich und meine Orientierungsstörung kenne. An der Schule angekommen, suche ich schon nach Saliha, Viyan und Cathleen. Ich begebe mich in das komplexe Gebäude, in dem ich die nächsten drei Jahre, fünfmal die Woche hingehen werde, wenn ich nicht sitzen bleibe, krank werde oder gar sterbe. Auf der Suche begegne ich Schülern aus meiner alten Schule, ignoriere sie aber. Ich kenne sie eh nur flüchtig, da macht das nichts. Außerdem wage ich zu bezweifeln, dass auch sie mich begrüßen wollen. Da ist das simple Ignorieren auf beiden Seiten besser als das Grübeln.

Mein Rücken ist gerade, die Schultern sind gestreckt, der Blick ist kühl nach vorne gerichtet. Voller Selbstsicherheit laufe ich den Gang runter, finde aber keiner meiner Freundinnen. Wo bleiben die denn? Gleich beginnt die erste Stunde! Saliha sollte wenigstens hier sein, da sie nicht weit von hier wohnt. Sie waren sogar vor mir wach. Es ist also unmöglich, dass sie zu spät kommen. Ich zücke mein Handy und schreibe in der Gruppe, wo sie bleiben und warte auf eine Antwort. Solange gehe ich einfach weiter, versuche mir potentielle Räume einzuprägen, die ich sowieso wieder vergessen werde. Die Schule hätte einen schöneren Anstrich verdient. Vielleicht wäre eine ganze Sanierung angemessen. Es wirkt durch die kahlen, angekritzelten Wände und der heruntergekommene Putz ein wenig bedürftig, aber bei den kleinen Blagen, die sich schon am frühen Morgen im Bus anpöbeln, hätte ich mir auch nichts Feudales vorstellen sollen - aber vielleicht etwas Schöneres. Aber damit komme ich klar. Wenigstens gibt es Heizungen. Das ist ja immerhin was. Auf meinem Weg erblicke ich im Augenwinkel eine Bande, die aus drei Jungen besteht, laufe aber gezielt weiter und beachte keinen von ihnen, bis einer anfängt zu reden.

"Die Hose ging wohl nicht breiter?"

Man kann die Ironie dieser Frage nur so herausschmecken. Kleiner Wichser. Langsam drehe ich mich um, ziehe eine Augenbraue leicht hoch, würdige nur kurz seinem Gesicht meinen Blick. Umso abschätziger begutachte ich seine Hose. Was denkt dieser Junge jetzt, wer er ist? "Deine Hose oder sollte ich Leggings sagen, ging wohl nicht noch enger?", erwidere ich in einem gefälscht freundlichen Ton. Mein Blick gleitet nur einen kurzen Moment genauso abwertend weiter nach unten. Air Jordan 4 Oreo, ganz okay, aber nicht so meins. Das schreibe ich sofort meinen Mädels. Er soll ruhig bemerken, dass er mir so egal ist, dass ich ihn nicht einmal beachten will, auch wenn ich mich mental auf eine zweite Runde vorbereite. Verbitterter Wichser! Für wen hältst du dich? Ich höre Gelächter und ein Schnauben, womöglich vom Jungen, der sich mit mir anlegt oder es zumindest versucht. Noch bevor er es wagt, etwas aus seinem Schandmaul anzusetzen, rede ich weiter. Als ob ich diesen Trottel zu Wort kommen lasse. "Anscheinend bekommt dein Gehirn, wegen deiner Leggings, zu wenig Blut, sodass du zu primitiv bist, um zu erkennen, dass das-", Dabei zeige ich in einem herablassenden Tonfall mit meiner freien Hand auf meine Hose. "eine Boyfriend-Jeans ist."Red noch einmal so mit mir und ich werde dich bis zu deinem Abschluss degradieren!

Ohne auf eine Antwort zu warten, gehe ich weiter. Seine schäbige Visage habe ich mir zum Glück nicht sofort in mein nachtragendes Gedächtnis eingeprägt. Nur hat die Sonne auf sein Gesicht geschienen, was seine Augen stark zum Leuchten gebracht hat. Überheblicher Mistkerl! Wollte er sich wirklich am ersten Tag cool aufspielen? Nicht mit mir! Gott, ich hasse ihn jetzt schon! Mir fallen jetzt noch hundert weitere Sprüche ein, die ich hätte drücken können, ohne seine Jeans verzerrt darzustellen. Na ja, es hat ja immerhin trotzdem gezogen. Er hat sich blamiert, ich habe gewonnen. Ich muss schmunzeln, als ich die Situation wieder in Gedanken abspielen lasse, werde aber schnell aus meinen Gedanken gezogen. Cathleen ruft an. "Shana, du kannst dich direkt wieder umdrehen." Ich drehe mich grinsend voller Vorfreude um und erblicke Cathleen und Saliha, die nur wenige Meter von diesem Trottel entfernt stehen. Ich laufe auf sie zu. Bevor Saliha etwas sagen kann, läutet die Schulglocke schon – oder soll ich Oberstufenglocke sagen? Passend dazu kommt auch endlich eine atemlose Viyan auf uns zu gerannt. Jetzt kann es so richtig losgehen. Unser Grinsen spricht für sich und wird noch größer, als wir den Klassenraum betreten.

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Bevor angefangen wird weiter zu lesen oder kommentiert wird, lest das Letzte, was ich geschrieben habe: Kleine Erklärungen (können alle lesen - kein Spoiler), vielleicht sind dann einige nachsichtiger, wenn sie wissen, warum es so geschrieben wurde. So erspart ihr mir euer Herumgeheule.

Oh und das wird einigen bei der Aussprache helfen: Can (geschrieben) Dschan (ausgesprochen). Nicht Kaan oder - um Gottes Willen - Ken oder sonstiges.

Spoiler werden gelöscht und wenn ich Lust habe auch geblockt :)

-Helo

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt