Tag 87 // Tag 85

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Tag 87

Der beste Zeitpunkt ist immer jetzt. Wer das gesagt hat, weiß ich nicht, aber es stimmte. Mein Leben war mittlerweile zu kurz, um ernsthaft als Leben bezeichnet werden zu können.

Als ich nach dem Essen nach Hause kam, kotzte ich es wieder aus und besänftigte meinen mäkeligen Magen mit etwas stillem Wasser. Die besorgten Blicke meiner Mutter tat ich mit einem entschuldigten Lächeln ab. Mein Dad saß am Esstisch und las die Zeitung, weil er dafür am Morgen keine Zeit mehr gefunden hatte. Auch sein Blick sah nicht gerade wie eine Reise nach Disneyland aus. Ich ignorierte ihre Blicke und flüchtete nach oben in mein Zimmer. Mortem wartete dort auf mich. Er saß auf meinem Schreibtischstuhl und drehte sich um die eigene Achse.

»Wie war dein Date?«, fragte er.

»Es war kein Date«, meinte ich abfällig und schmiss meine Jacke in die Ecke.

»Wenn du es sagst«, erwiderte er und schmunzelte, während er sich weiter um sich selbst drehte. Ich ignorierte ihn und stellte mich vor den Spiegel. Mein Gesicht war eingefallen und meine Augen lagen tief in den Höhlen. Mortem hörte auf, sich zu drehen, und beobachtete mich. Ich begegnete seinem Blick im Spiegel und fasste einen Entschluss.

»Drei Monate«, sagte ich und nickte einmal bestätigend. »Mir bleiben noch drei Monate, die die besten meines Lebens werden sollen.« Ich wandte mich zu Mortem um und stemmte meine Hände in die Hüften. »Und du wirst mich nicht daran hindern.«

»Ich hindere dich an gar nichts, Jo. Ich bin einfach nur da.«

Entschlossen zog ich mir am nächsten Morgen die Jacke über und stapfte zum Auto. Ich würde leben und ich würde jede Minute auskosten. Und ich war zu ehrgeizig, um mich dem Tod kampflos zu ergeben. Nur dass der Kampf mein Leben sein würde.

In der Schule marschierte ich schnurstracks auf Kyle zu, der sich mit einem Freund unterhielt.

»Du. Mitkommen!«, forderte ich und rauschte zwischen die beiden. Kyle sah mich irritiert an.

»Was willst du denn jetzt?«, fragte er und zog wütend die Augenbrauen zusammen. Ich lächelte gefährlich.

»Es tut mir wirklich leid, euer absolut unintelligentes Gespräch zu unterbrechen, aber ich denke, der Bedarf an minderbemittelten Themen dürfte auch nach dem Training noch gedeckt sein.« Dann zerrte ich Kyle in den nächstbesten Raum. Der Computerraum, der zum Glück unabgeschlossen und leer war.

»Bist du komplett bescheuert?«, zischte Kyle, aber ich ignorierte ihn und kam gleich zur Sache.

»Wenn dir deine Note lieb ist, dann wirst du dir jetzt anhören, was ich zu sagen habe«, warnte ich ihn und sah Kyle herausfordernd an. Er biss die Zähne zusammen und warf mir einen bösen Blick nach dem anderen zu. Ich lächelte.

»Schön.« Kyle bedeutete mir, fortzufahren.

»Du wirst mir helfen, all die Dinge zu tun, die ich tun will, bevor ich-«, sterbe, »-zwanzig werde.« Ich schluckte. »Und im Gegenzug garantiere ich dir eine Topnote im Kreativen Schreiben.« Kyle sah mich an, als wäre ich geisteskrank.

»Ist das dein Ernst?«, fragte er und lachte im nächsten Moment. Ich dagegen verschränkte die Arme und warf ihm meinen besten bösen Blick zu, den ich von Zoey gelernt hatte. Abwartend zog ich die Augenbrauen hoch. Kyle verschluckte sich und sah mich erschrocken an.

»Ich werde nicht Babysitter für dich spielen«, stellte er klar und schüttelte ablehnend den Kopf. Als er Anstalten machte, zu gehen, stellte ich mich ihm in den Weg.

»Wenn du mir nicht hilfst, dann werde ich dafür sorgen, dass du im Kreativen Schreiben durchfällst. Dann wird dir selbst dein kleines Sportstipendium nichts nützen«, drohte ich und streckte demonstrativ das Kinn in die Höhe. Kyle schnaubte.

The Bucket ListWo Geschichten leben. Entdecke jetzt