Kapitel 26

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Can

Ihre Angst konnte man ihr aus den Augen lesen. Sie war diese fünf Monate von nichts belastet. Belastet zu sein ist nicht gut. Das fühlt sich nicht gut an. Sie hat sich nicht unterkriegen lassen. Aber die Angst, ihr Trauma war in ihr, nur unbemerkt. Ich wusste es. Es ist wie eine Art posttraumatisches Erlebnis. Shana hat das alles wieder erlebt. Ich weiß, wie sich sowas anfühlt. Das ist nicht schön. Wäre sie nicht da, wäre Cihans Nase gebrochen. Ich habe Cihan, während diesen fünf Monaten oft verprügelt, nur damit er Shana nicht zu nahekommt. Immer habe ich etwas mitbekommen und bin auf ihn los gegangen. Allein, wenn Shanas Name seinen Mund verlassen hat, bin ich zu ihm gegangen, aber ohne meine Freunde. Nur ich darf ihn deswegen schlagen. Aber Shana weiß und wird niemals was davon wissen. Nicht, dass sie sich etwas dabei denkt. Sie so panisch zusehen, hat mich schon in irgendeiner Art und Weise berührt. Ich wollte sie irgendwie in den Arm nehmen. Als ihre Freundin, ich glaube, sie heißt Kathrin, Shana in den Arm genommen hat, war sie leblos. Sie stand unter Schock. Keine Reaktion zeigte sie, nur ihre Augen, die das Geschehene mitverfolgten, waren ein Zeichen, dass sie noch lebt. Ich kenne mich da etwas aus. Das ist ein ekeliges Gefühl. Als Malik und Ramazan sie in den Arm nehmen wollten, ist sie zurückgewichen. Zum Glück. Ich weiß, es sind meine Freunde, meine Brüder, aber trotzdem war ich erleichtert, dass Shana sie nicht bei sich haben wollte. Mit Ramazan werde ich vielleicht noch reden. Wieso? Weil er sie umarmt und sie sich freut? Ihr Gesicht strahlt immer so, wenn er bei ihr ist.

Ob sie Gefühle für ihn hat? Ich habe gesehen, wie Malik sie in den Arm gezogen hat heute. Wenn ich das tun würde, würde sie mir etwas antun? Wieso lässt sie es überhaupt zu? Wo ist der Unterschied zwischen meinen Freunden und mir? "Can, alles okay?", zieht mich Malik aus meinen Gedanken. Ich schaue zu ihm und zu Ramazan. Sein Kopf hat was abbekommen. "Alles in Ordnung bei euch?" Dabei schaue ich besorgt zu Ramazan, der nun anfängt zu lächeln. "Als ob mir sowas, etwas anhaben kann. Ich bitte dich, Baby." Immer noch der Alte. Ich könnte Cihan umbringen, weil er Ramazan verletzt hat. Niemand tut meinen Brüdern etwas an! Eine andere Freundin von Shana bietet ihm ein Taschentuch an, da er etwas aus der Schläfe blutet. Das sieht nicht gut aus. Es muss sicherlich genäht werden. "Danke, Saliha", bedankt sich Ramazan. "Saliha? Wie weit ist Shana gekommen?" Nicht das ihr was passiert ist. "Can, ich glaube es ist besser, wenn sie alleine ist", meint Malik ruhig. "Nein. Sie darf nicht alleine sein!" Ich spanne mich wieder an. Ich bin immer noch sauer. "Doch. Sie möchte jetzt alleine sein", stimmt Ramazan Malik zu. "ICH HABE NEIN GESAGT!", schreie ich und haute mit meiner linken Faust gegen die Glasscheibe der Haltestelle öfters ein. Shanas Freunde zucken zusammen. Meine sind schon daran gewöhnt. Ich darf nicht komplett ausrasten, das endet nicht gut. Es endet niemals gut. Ich habe mich doch gebessert. Kein Zuschlagen.

"Sie darf nicht alleine sein", murmele ich. "Bei Gott, ich lasse dieses Mädchen nicht alleine", knurre ich. "Was, wenn ihr etwas passiert? Was, wenn Cihan da ist, wo sie ist?", sage ich etwas deutlicher und zittere vor Wut und schlage wieder gegen die Scheibe, bis mich jemand zurückzieht. Aleyna, die hat mir noch gefehlt. Sofort schubse ich sie weg von mir und laufe los. Ich muss Shana finden. Ich kriege sonst keine Ruhe. "Wo ist sie hingelaufen?", frage ich ruhig. Saliha erklärt mir, wo sie hingelaufen ist. Sofort begebe ich mich auf den Weg. Ich laufe. Nicht, dass sie denkt, ich renne ihr hinterher. Was wird das hier dann? Ich will ihr nur klar machen, dass ich recht hatte, mehr nicht. Hör doch auf zu lügen. Shana hatte nur ein paar Minuten Vorsprung. Ich weiß, dass sie langsam ist. Ich laufe an einigen kleinen Läden vorbei, bis ein Park kommt. Mehrere Meter vor mir erkenne ich eine zierliche Gestalt. Ihre geglätteten Haare, die von dunkelbraun zu dunkelblond verlaufen, sind zu einem Zopf gebunden und schwingen hin und her. Das Dunkelblond steht ihr. Ihr schwarzer Mantel ist fest um sie gebunden. Ich renne etwas, damit ich gleich bei ihr bin. Zum Glück ist hier keiner. Niemand, der uns stören kann. Hinter ihr angekommen, drehe ich sie an ihrer linken Schulter um. Sie schaut mich geschockt an. Shana zieht sich aus meiner Berührung zurück. Hat sie Angst? Hat sie wirklich Angst vor mir? Denkt sie, dass ich ihr etwas antun würde. Falls du mich erwürgen willst, musst du deine Hand hier anlegen. Ihr Blick war da so leer. So kalt, dass ich eine Gänsehaut bekam. Das mochte ich nicht. Ihr jetziger Blick erschreckt mich etwas. Sie hat wirklich Angst. Ich habe auf einmal vergessen, was ich sagen wollte.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt