Kapitel 36

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Donnerstag, 8. Februar

Wie heute wohl der Tag sein wird? Ich stehe gleich vor dem Komplex, den ich noch viele weitere Jahre sehen werde und in denen noch viele Ereignisse geschehen werden. Einfach schnell rein und den Unterricht totschlagen, mehr nicht. Die zwei Stunden Spanisch sind gut. Das Thema fällt mir leicht. Gerade haben wir fünf Minuten Pause. Ich setze mich zu Viyan, da wir sonst unterschiedlich sitzen. Ich sitze eigentlich immer vorne, sie eher mittig. "Wo sind Malik und so?", fragt Viyan und schnurrt Maliks Namen. "Weiß ich nicht", murmele ich. Später erzähle ich es ihr oder morgen. Ich habe gerade gar keine Lust über das, was gestern passiert ist, zu reden. "Locker trifft sich Malik gerade mit einem Mädchen. Ich hoffe es nicht! Sonst. Ist. Sein. Schwanz. Ab!", sagt Viyan und fährt bei jedem Wort aggressiv über ihren College-Block. Sie ist in ihn verknallt. Sie sagt zwar, dass er nur gut aussieht, aber da ist mehr. Malik ist aber wirklich gut aussehend, das muss man sagen. Vor allem seine wunderschönen blau-grünen Augen. Sie sind manchmal minzblau und grün. Keine Ahnung, es ist irgendwie eine Mischung aus beiden. Und ich? Ich habe einfach braune Augen. Wären sie ganz dunkel könnte man sagen, dass sie schwarz wären, aber nein: sie sind ganz normal braun. "Shana! Er soll mich anschauen! Ich bin hübsch!" Verzweifelt fährt sich Viyan durch ihre mittellangen, glatten, schwarzen Haare, während ihre großen, braunen Augen, die mit Eyeliner und Mascara bedeckt sind, mich wehleidig anschauen. "Na ja, du und hübsch?", ziehe ich meinen Satz fragend in die Länge, weswegen sie mich auf Kurdisch beleidigt, woraufhin ich lache. "Und wie läuft es mit dir und Can?" Dabei guckt sie mich dreckig grinsend an und wackelt mit ihren Augenbrauen.

"Erzähle ich später", sage ich augenverdrehend und seufze. Nach den zwei Spanischstunden laufen wir, beziehungsweise ich auf den Hof, da ich immer als erste raus gehe und erblicke Ramazan und Malik mit einem KFC-Bucket und Rosen. Wieso und warum? Ich schaue sie verwirrt an, als sie mir nonverbal deuten, zu ihnen zu kommen. Zögernd und mit zusammengezogenen Augenbrauen laufe ich auf die beiden zu und verschränke meine Arme vor der Brust. Beide ziehen mich in eine innige Umarmung. Rechts Malik, links Ramazan, erwidern tue ich aber nicht. Sie erdrücken mich fast. Ich würde was sagen, aber sie riechen gut und sind muskulös. Welches Mädchen würde das denn nicht genießen? "Verzeihst du uns?", murmeln die beiden synchron in meine Ohren. Oh wie süß! Sowas Süßes habe ich noch nie erlebt, wirklich noch nie! Ich kann mir ein glückliches Lächeln nicht länger unterdrücken. Da hält mein Nachtragen auch nicht mehr mit, also erwidere ich die Umarmung, was die Jungs noch mehr freut und sie noch fester zudrücken. "Ihr erdrückt mich", presse ich hervor, weswegen die Jungs mich mit einem süßen Lächeln beiderseits loslassen. Gott, wie goldig! "Seid ihr wegen dem Bucket nicht zu Spanisch gekommen?", frage ich vorwurfsvoll. Beide nicken brav. "Ihr hättet Unterrichtsstoff verpassen können!" Seit der zehnten Klasse ist mir die Schule doppelt und dreifach so wichtig, wie zuvor. "Wir kriegen sowieso am Ende mit, was im Unterricht gemacht wurde und jetzt komm und iss. Wir wissen, dass du KFC liebst", lacht Ramazan. "Ihr esst mit", fordere ich, was sie dann auch tun. Als Cathleen und die anderen kommen, setzen sie sich ebenfalls zu uns, essen aber nicht, da Saliha und Viyan keine Schärfe vertragen und weil Cathleen einen Ernährungsplan einhält. "Shana, du freust dich ja richtig über das Hähnchen", sagt Malik. Wäre es doch nur wärmer, dann wäre es perfekt. Ich hasse diese Kälte. Der Sommer soll schneller kommen. Ich gebe mich auch für eine Zeit mit dem Frühling zufrieden. Wir essen, reden und albern während der Pause herum, bis Ramazan etwas anspricht. "Shana, ich will dir erklären, dass du das mit uns missverstanden hast. Wir wollten dich niemals als Wetteinsatz benutzen. Es war nur eine kranke Idee von Can, glaub uns bitte", spricht er ernst und sanft, nachdem wir die KFC-Reste entsorgt haben. Ich fahre über die Blüten der rosa Rosen, während die Mädchen entsetzt die Luft einziehen und die Jungs mich abwartend angucken. Ich atme einmal tief ein.

"Okay", seufze ich. Sofort springt Ramazan auf mich und zerdrückt mich wieder einmal. Malik lächelt mich nur süß an. "Das werden wir feiern", trällert Ramazan, während er sich hin und her schaukelt. Da ich immer noch in seinen Armen liege, werde ich mit geschüttelt. Gerade habe ich so gute Laune, schon kommt Can - der Verursacher - her. Hätte er nicht so atemberaubende Augen, würde ich gar nicht auf ihn achten, aber manchmal muss ich einfach hinschielen. Immer noch bin ich in Ramazans Armen, löse mich aber dann, da es mir irgendwie unangenehm geworden ist. "Wo warst du?", fragt Malik Can. "Aleyna", antwortet dieser genervt. "Was wollte sie wieder?", fragt Ramazan diesmal. "Ich soll ihr was in Chemie beibringen." "Apropos Chemie, wann sollen wir für Chemie lernen?", fragt mich Ramazan. "Heute, morgen, mir egal." Ich höre ein leises Schnauben. Can, wer sonst? "Problem?", frage ich kurz gebunden, schaue ihn aber nicht an. "Bald. Bald hast du ein Problem." "Ach wirklich? Was denn für eins?" Ich lächele amüsiert. "Wirst du schon sehen in Berlin." Ich fange an zu lachen. "Also gestern hattest du ein Problem. Sei dir nicht so sicher, dass du sofort gewinnst, denn gestern war ich die eindeutige Gewinnerin", sage ich stolz. "Was ist gestern passiert?", will Cathleen argwöhnisch wissen. Viyan sieht irgendwie sauer aus, ob das wohl daran liegt, dass ich von Malik umarmt wurde? "Shana hat mich geküsst." WAS? Alle am Tisch schauen geschockt, ziehen die Luft ein und rufen ein entsetztes Was? von sich. Das hat er jetzt nicht gesagt. Es ist plötzlich sehr warm. Zu warm. "Ich wusste es!", brüllt Viyan. "Warst du gerade eben nicht noch sauer? Kannst du es vielleicht wieder sein?", fauche ich. Gott, wie peinlich!

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt