Kapitel 102

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Montag, 11. März

Can

Heute werde ich mich bei Shana entschuldigen. Na ja, ich werde es zumindest versuchen. Ich bin irgendwie nervös. Soll ich es gleich machen? Oder nach der Schule? Ich habe keine Ahnung, wann und wie ich es machen soll. "Vergiss nicht, was du heute machen musst", erinnert Malik mich, als ich versuche einzuparken. Wie könnte ich es bloß vergessen? "Ich denke an nichts anderes", seufze ich. Niemals hätte ich gedacht, dass es so schwer sein kann, sich zu entschuldigen. Wir steigen aus und sofort bemerke ich, dass es warm und sonnig ist. Das heißt, dass Shana gut gelaunt sein muss, da sie die Wärme liebt. Das ist doch schon mal ein gutes Zeichen oder? Wir laufen über den Parkplatz, auf den Hof, wo wir schon vom weiten Shana sehen können, die mit ihrem ganzen Körper gestikuliert. Wütend scheint sie nicht auszusehen. "Machst du es gleich?", fragt mich Ramazan, woraufhin ich den Kopf schüttele. "Ich glaube, wenn wir alleine sind, irgendwie, irgendwann." Wir laufen auf Shana und ihre Freundinnen zu, wo wir uns gegenseitig begrüßen. Viyan und Saliha gebe ich wie immer die Hand und halte dann auch Shana meine Hand hin, was sie überrascht schauen lässt. Sie schaut mich verwirrt an und schüttelt dann mit einem festen Händedruck meine Hand. Shana schaut zu ihren Freundinnen, die überrascht schauen und zuckt mit ihren Schultern. Wäre ich nicht mehr hier, würde sie glaube ich sofort irgendwelche Theorien aufstellen. Ihre Haare sind wieder lockig und sehen deswegen kürzer aus, als am Freitag. Ihre längliche und lockere Jeansjacke, die an einigen Stellen zerfetzt ist, lässt sie, dank ihrer Locken, noch rebellischer wirken, doch ein Blick auf ihre Wangen oder auf ihre Hände reichen, um sie als harmlos abzustempeln. Sie hat diese weiße Hose an, die ihren Kurven fantastisch schmeichelt, nur leider geht die Jacke über ihren Hintern, weswegen ich ihn mir nicht ansehen kann. Sie macht eine ruckartige Bewegung, was dazu führt, dass ich ihren signifikanten Duft riechen kann. Er hat etwas fruchtiges an sich, ist aber eher süß. Er passt zu ihr. Du starrst. Erst jetzt erwache ich aus meiner Starre und drehe mich heimlich zu Ramazan und Malik, die mich grinsend anschauen. "Ich will auch grinsen", mischt sich Shana ein. "Kannst du, aber dann kriege ich Schläge", kommt es kokett von Ramazan, der mit seinen Augenbrauen wackelt. Ich schaue zu Shana, die verdutzt guckt und dann mit ihrer Schulter zuckt. Das macht sie oft. "Lasst uns rein gehen", sagt Shana und läuft in das Gebäude. Im Deutschunterricht arbeite ich nicht, sondern überlege, ob mir Shana verzeihen wird. Soll ich sie jetzt fragen? Nein, das wäre doch unpassend, aber wann dann? Was, wenn sie Nein sagen wird? Habe ich sie dann endgültig verloren? Gott, wenn sie Nein sagt, dann hat sie meinen Stolz endgültig zerbrochen. In letzter Zeit denke ich viel über sie nach. Sie hat mich schon von Anfang an fasziniert, nur wollte ich es damals nicht wahrhaben. Ihre impulsiven Entscheidungen, ihre Wortwahl, ihre Hemmungslosigkeit, wenn sie jemanden etwas beweisen will, einfach alles ist so besonders an ihr. Ich mag sie, sehr. Ich würde zu gern wissen, wie sie es geschafft hat, sich so tief in meinen Kopf zu setzten, ohne mir Beachtung zu schenken. Wie? Wie soll das gehen? Ich drehe mich nach hinten zu meinem Rucksack und hole mir meine Wasserflasche raus. Der eigentliche Grund ist, dass ich dann Shana sehen kann, die hinter mir sitzt und an ihrem Kugelschreiber kaut, bevor sie weiter schreibt und ihren Kopf dazu bewegt. Als sie den Satz dann scheinbar zu Ende geschrieben hat, lächelt sie zufrieden und schaut mich dann an. Sie hat dich beim Starren erwischt, du Kranker. Schnell wende ich meinen Blick von ihren braunen Augen ab und hole mir meine Wasserflasche aus, woraufhin ich mich wieder nach vorne drehe und trinke. Trink deine Blamage runter. Ich trinke ein zweites Mal und drehe mich um, um die Flasche wieder in die Tasche zu packen. Ich sehe hoch und sehe, wie Shana mich verwirrt mustert. Na toll, jetzt denkt sie, ich bin ein Spanner. Ich schüttele gespielt unwissend den Kopf, was dazu führt, dass sich ihre Augenbrauen fester zusammenziehen, fuck. Ich drehe mich ertappt um und schaue mir die Aufgaben an, die ich eh nicht machen werde. Was soll ich die ganzen Stunden machen, wenn ich an nichts anderes, als an Shana denken muss? Ich muss mich so schnell wie möglich entschuldigen, sonst platzt mein Kopf noch.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt