Kapitel 120

94.6K 2.3K 1.5K
                                    

Freitag, 28. Juni

Einige Wochen ist die Klassenfahrt her, die mir als sehr intensiv im Kopf geblieben ist. Sie war nicht voller Streit und Diskussionen, wie auf der ersten Fahrt, sondern bestand hauptsächlich aus außergewöhnlichen Situationen zwischen Can und mir. Wenn wir alleine waren, dann war eine sehr starke Anziehungskraft in der Luft und ich musste mich sehr stark beherrschen, nicht irgendwie in Emotionen auszubrechen, außer an dem Tag, wo wir am Hafen waren - da konnte ich mir eine Träne nicht verkneifen. Es war einfach zu viel in meinem Kopf. Er ist an Elif vergeben, liebt sie wohl, aber behandelt mich mit solch einer starken Intensität. Er sagt, dass ich ihn verrückt mache, kann sich manchmal nicht beherrschen und wird eifersüchtig, was soll man da bitte denken? Er muss doch etwas für mich empfinden oder bilde ich mir das nur ein? Egal, bald ist es eh vorbei. Seufzend nehme ich mir meine Ohrhörer ab, als ich meine Freunde auf der Bank sehe. Ich laufe mit einem müden Lächeln auf sie zu und lasse mich neben Ramazan nieder. "Shana, du hast ja morgen Geburtstag, nicht wahr?", fragt mich Viyan ganz aufgeregt, weswegen ich misstrauisch nicke. "Ich kann leider nicht kommen, meine Mutter lässt mich nicht, kennst sie ja." Sie verdreht ihre Augen und stöhnt genervt auf, was mich umso verwirrter macht. "Ich hatte nicht einmal vor ihn zu feiern, was spielst du mir vor?" Viyan wird blasser, als sie schon ist. Ja, hier ist definitiv etwas im Busch. "Was ist hier los?" Ich schaue fragend durch die Runde, kriege aber keine Antwort. "Okay, dann nicht." Ich werde es schon irgendwie herausfinden.

Okay, ich habe zwar nicht herausgefunden, was Viyan und Saliha haben, doch das kann ja noch herausgefunden werden. "Soll ich dich nach Hause fahren? Deine Augen sind wieder gereizt. Komm, ich fahr dich." Can nimmt mir meinen Rucksack ab und läuft mit mir zu seinem Auto. Das läuft schon seit Wochen so. Er holt mich ab und fährt mich nach Hause, erinnert mich, dass ich meine Medikamente nehmen soll und aufpassen soll, was ich esse. Er will nicht, dass ich wegen den ganzen Unverträglichkeiten leide. Als ich ihn fragte, wieso ihn das alles so wichtig ist, meinte er nur, dass er sich verpflichtet fühlt, dass es mir gut gehen soll. Dabei verletzt er mich, weil er mir eben so gut tut. Ich kann nach drei Jahren, die wir gemeinsam verbracht haben nicht leugnen, dass ich etwas für ihn empfinde, nur lässt mein Stolz es nicht zu. Er hat eine Mauer um meine Gefühle gebaut und sagt mir, dass es nur eine Phase ist und manchmal denke ich darüber nach und gebe meinem Stolz recht. Ich werde ihn doch bald eh nicht mehr sehen, da ich nach Hamburg ziehen werde. "Shana, was ist los?", holt mich Can aus meinen Gedanken. Ich bemerke erst jetzt, dass wir schon vor meiner Straße sind. "Nichts." Ich schnalle mich ab und greife mir meine Tasche. "Ciao, Can." Ich lächele ihn an, was er erwidert. "Ich rufe dich heute um 23:55 Uhr an." Ich ziehe wegen der Genauigkeit meine Augenbrauen zusammen, nicke aber dann und gehe dann nach Hause. "Shana, dein Paket ist angekommen." Meine Mutter ist natürlich so neugierig und hat es schon aufgerissen. Mein Kleid ist da! Ich ziehe mir schnell meine Schuhe aus und reiße schon fast das Kleid aus der Hand meiner Mutter. Genau sowie ich es wollte. Es ist ein bordeauxrotes Neckholderkleid, welches am Oberkörper eng liegt und ab der Taille locker fällt. Es ist nichts Auffälliges, ist aber umso schöner. "Ich muss es anziehen!", quietsche ich schon fast und sprinte mit dem Kleid ins Zimmer. Ich komme mit dem Kleid etwas ins Kämpfen, doch kriege dann am Ende den Reisverschluss zu und betrachte mich zufrieden im Spiegel. "Perfekt", gebe ich selbstverliebt von mir und drehe mich. "Shana, zeig!", stürmt meine Mutter ins Zimmer und zieht grinsend die Augenbrauen hoch. "Mama, bitte keinen Spruch", flehe ich. "Mashallah! Meine Tochter ist so hübsch! Ich muss aufpassen, dass keine Mutter dich als Schwiegertochter auswählt bei der Zeugnisausgabe." Cans Mutter wird ja ebenfalls auf dem Abschluss sein. "Lass mich ein Foto machen." Sie hält ihr Handy bereit, während ich beschämt meinen Kopf wegdrehe. "Mama", gebe ich peinlich berührt von mir, während sie die Fotos schießt. "Die schicke ich deinen Tanten, die werden Augen machen!", trällert sie und latscht in die Küche. Ich setze mich auf mein Bett und muss sofort anfangen zu lächeln. Ich werde mit Can den Eröffnungstanz machen. Ich stelle es mir schon vor, wie wir beide Versuchen die Führung zu übernehmen. "Oh Gott", flüstere ich, während ich meine Wangen massiere, die vom ganzen Lächeln schmerzen. Ich fahre mir ein letztes Mal über mein Kleid, bevor ich dann in eine Leggings und ein zu großes T-Shirt schlüpfe. Das Kleid hänge ich sorgfältig auf und hänge es an die Tür, woraufhin ich mich aufs Bett fallen lasse und fernsehe. Meine Gedanken schweifen aber immer wieder zu Can. Dieser eine Tag in Barcelona, wo er mich gegen die Kabinenwand gedrückt hat. Gott, das war ein total berauschender Moment. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte, ich hatte ja anfangs nicht einmal die Kraft, um ihn wegzudrücken. Es war ein verrückter Moment und doch so intensiv. Ich will die Zeit vergeuden, bis Can mich anruft, da ich unbedingt seine Stimme hören will. Am besten wäre es, wenn ich jetzt anfange. In der Zwischenzeit habe ich staubgesaugt, Salat geschnippelt und mit Viyan und Saliha geschrieben, deren Kleider ebenfalls heute angekommen sind. Wir haben die ganze Zeit über unsere Kleider und den Ball geschrieben. Wir schreiben immer noch, aber über die Übernachtung am Sonntag in der Schule, bis ein Anruf mich unterbricht. Can ruft an.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt