Yamsknollen 2.0

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Im Bett allein zu liegen war ungewohnt und Harry schlief verdammt schlecht. Er wälzte sich von links nach rechts und gab irgendwann einfach auf. Obwohl seine Augen vor Müdigkeit ganz trocken waren und er sie ständig reiben musste, schaffte er es nicht, einzuschlafen. Seine Gedanken waren bei Anton und bei Louis, sprangen zwischen den beiden Männern hin und her und waren einfach nicht ruhig zu kriegen. Wieso hatte sein Kopf keinen Ausschalter?

Er fühlte sich miserabel und stellte ständig sein Handeln infrage. Wieso war es ihm so leicht gefallen, diese Zeit mit Anton einfach zur Seite zu schieben? Sie waren einander wichtig und er liebte ihn doch. Hatte er vielleicht in Wirklichkeit gar nicht mehr so starke Gefühle für Louis wie er glaubte, sondern sah in ihm nur so etwas wie eine Herausforderung? Ein Test um seinen Marktwert zu erfahren? Oder war es das Unbekannte, was alles so prickelnd machte? Anton hatte ihm Stabilität und eine gewisse Konstante gegeben. Vielleicht war ihm nach zwei Jahren ein wenig langweilig geworden und er brauchte ein Abenteuer? Immerhin war er jetzt in einem Alter in der viele Männer so etwas wie die Midlife Crisis bekamen. Vielleicht hatte er die ja auch, ohne es wirklich bemerkt zu haben.

Er schlug die Bettdecke zurück, setzte sich hin und packte Antons Kissen. Der Geruch hielt ihn wach und er wollte den Bezug abziehen, doch dann vergrub er doch die Nase in dem Stoff. „Es tut mir Leid Honey...ich wollte dir nicht wehtun. Ich hab alles kaputt gemacht...", hauchte er und schluckte. Er bekam das Gesicht seines Ex, der ihn weinend und ungläubig angesehen hatte einfach nicht mehr aus dem Kopf. Mit dem Kissen an die Brust gepresst legte er sich wieder hin und schloss die Augen.

Schlaf fand er erst in den frühen Morgenstunden und Harry saß am nächsten Tag müde, mit Augenringen, die einem Vampir alle Ehre gemacht hätten, gegen 10 Uhr in seinem Büro, wo er seine Akten zusammensuchte. Heute stand zum Glück keine Operation an, denn er war sich nicht sicher, ob er nach dieser durchwachten Nacht in der Lage gewesen wäre, ordentlich zu arbeiten.

Wie in Trance arbeitete er seine Patienten ab, schrieb Nachbehandlungspläne und stellte Rezepte für die Physiotherapie aus. Nach der Visite am Nachmittag hatte er Pause und setzte sich in den Aufenthaltsraum, der glücklicherweise leer war. Heute wollte er Niemanden sehen und war wirklich froh darüber, seine Ruhe zu haben. Gerade stocherte er lustlos in seinem Essen herum, als Zayn hereinkam. „Hallo Harry", sagte er fröhlich und setzte sich zu ihm an den Tisch. „Was gibt's bei dir zu essen? Hoffentlich keine Yamsknollen. Die hatte Liam letztens wieder dabei...ekelhaft." - „Nein, das ist eine Süßkartoffel. Du kannst sie aber gerne haben, ich habe keinen Appetit", seufzte Harry und schob Zayn den Teller hin. „Ernsthaft? Du willst nichts?", Zayn holte sich eine Gabel und begann zu essen. „Danke." - „Bitte gern", seufzte Harry, lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster. Es schneite noch immer draußen. Vielleicht kam Anton auch erst im neuen Jahr zurück. Sein Bruder lebte fast an der Schottischen Grenze und sicherlich war der Schnee dort deutlich heftiger ausgefallen, als hier. „Geht's dir gut?", fragte Zayn irgendwann mit vollen Mund und musterte Harry fragend. „Blendend, danke." - „Sieht aber nicht so aus..." - „Ja, das könnte daran liegen, dass mein Freund mich an Weihnachten verlassen hat, weil ich...ach ist ja auch egal. Ich hatte jedenfalls kein sonderlich schönes Weihnachten." Es kostete ihn enorm viel Anstrengung, freundlich zu bleiben. „Sorry, ich hab's nicht so gemeint, also ich meine ich wollte nicht darauf rumreiten. Ich konnte ja nicht wissen...", entschuldigte sich der Pfleger rasch und machte Anstalten, aufzustehen, doch Harry streckte den Arm aus und hielt ihn zurück. „Nein, bleib bitte sitzen. Ich bin sowieso gleich mit der Pause durch und ich will dir deine nicht versauen. Ich hab's nicht so gemeint. Tut mir Leid."

In der Tür stieß er noch mit Niall zusammen, der ebenfalls Pause hatte und hörte nur noch, wie der Ire fragte: „Was ist denn mit ihm los?" - „Beziehung im Arsch", antwortete Zayn knapp, dann waren die beiden nicht mehr zu hören.

Ja, seine Beziehung war im Eimer und Harry alles andere als glücklich. Er hatte noch immer ein schlechtes Gewissen Anton gegenüber. In seinem Büro zog er das Handy aus der Schublade und schrieb ihm eine Nachricht:

>>Wie geht es dir? Es tut mir so Leid, was ich dir angetan habe<<

So schnell würde er keine Antwort bekommen und Harry schob das Handy zurück in die Schublade, bevor er sich seinen OP Berichten zuwandte, die er noch vervollständigen musste. Diese Arbeit würde die restliche Zeit des heutigen Tages in Anspruch nehmen und er war froh darüber, heute keinen Patienten mehr sehen zu müssen.

Gerade hatte er die zweite Medikamentenvergabe notiert, als es in seiner Schublade vibrierte. Harry zuckte zusammen und kramte schnell nach dem Handy. Anton hatte geantwortet und er traute sich einige Momente lang nicht, die Nachricht zu öffnen. Stattdessen saß er einfach nur da und starrte auf das Display. Was, wenn Anton schrieb, dass es ihm so schlecht ging, wie Harry sich fühlte? Würde er wieder weich werden und zu ihm zurückkommen?

Er holte tief Luft, kniff die Augen zusammen und öffnete die Nachricht.

>>Harry, ich möchte gerade keine Nachrichten von dir bekommen, ich hoffe, du kannst das verstehen. Um dich aber zu beruhigen will ich dir zumindest sagen, dass es mir soweit gut geht und ich bei meinem Bruder noch bis Neujahr bleiben werde.

Anton<<

Gut, das klang zumindest nicht ganz so dramatisch, dachte Harry und zuckte zusammen, als eine weitere Nachricht ankam. Sie war von Louis und wieder begann sein Herz zu rasen, als er den Namen auf dem Display las.

>>Niall hat mir gerade berichtet, dass deine Beziehung in die Brüche gegangen ist. Geht es dir gut? Brauchst du Jemanden zum Reden? Ich bin gerne für dich da, wenn du ein offenes Ohr brauchst

xxLouis<<

3 Years • Part IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt