Bruchlandung

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Danke für eure tolle Rückmeldung zum letzten Kapitel. Irgendwie hat mir Watty zwar nicht angezeigt wo genau eure Inline Kommis standen, aber ich konnte es mir zusammenreißen. Danke für eure tolle Unterstützung, ihr motiviert mich total!

Und jetzt geht's weiter mit einer Bruchlandung:)

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Der Brief von Anton hatte Harry ein wenig Ruhe gegeben. Zwar plagte ihn noch einige Wochen lang das schlechte Gewissen, doch Anton hatte durchklingen lassen, dass er den Weg frei machen würde, wenn es Harry glücklich machte. Ende Januar hatte er ab und zu mit ihm geschrieben und ihr Verhältnis hatte sich wieder ein klitzekleines bisschen angenähert. Harry fühlte sich nach und nach besser und als es Februar war freute er sich auf den Kongress.

Und auf Louis.

Obwohl Harry Kongresse in der Stadt liebte, weil es immer Leben in die City brachte, bis zu einem gewissen Grad waren sie einfach anstrengend. Bereits am Morgen hatte er lange gebraucht, um überhaupt in die Tiefgarage des Krankenhauses zu kommen, weil in den Straßen so viel los war.

Als er ausstieg kam gerade Liam mit dem Rad ebenfalls in die Tiefgarage gefahren und stellte es mit genervtem Gesichtsausdruck in den Fahrradständer. „Überall rennen Leute vor meinem Rad her, das ist echt anstrengend", seufzte er und fing Harrys Blick auf. „Dir gings genauso mit dem Auto oder? Vielleicht sollten wir die Tage einfach zu Fuß gehen, da sind wir schneller." Sie schlossen ihre Gefährte ab und gingen gemeinsam ins Treppenhaus. „Schaust du dir den Vortrag von Louis an?", fragte Liam und Harry nickte. „Auf jeden Fall. Nur deswegen bin ich hier." - „Und wirst du ihn auch ansprechen?", hakte Liam nach und hob eine Augenbraue. „Ja. Obwohl ich ein wenig Schiss habe, um ehrlich zu sein schon, aber ich freue mich auch auf ihn." Das war die Untertreibung des Jahrhunderts: er war so dermaßen nervös, dass er seit zwei Tagen schon nicht mehr richtig geschlafen hatte und auch Mahlzeiten bekam er nur schwer hinunter. Immer wieder malte er sich aus, wie es wohl werden würde, Louis endlich wieder zu sehen und ob seine Gefühle für ihn auch noch so stark waren, wenn sie einander gegenüber standen.

Der Kongress fand sowohl in der Stadthalle, als auch in einigen Räumlichkeiten des Krankenhauses statt. Shuttlebusse fuhren die Teilnehmer von einer Location zur anderen. Überall waren große Banner aufgestellt worden, die den Gästen den Weg wiesen und die Zeiten der verschiedenen Vorträge anzeigten. Harry wollte nur den von Louis besuchen, denn er hatte schließlich nebenbei auch noch seiner normalen Arbeit nachzugehen und wenig Zeit.

In der Eingangshalle trennten sich ihre Wege, denn Liam musste im Erdgeschoss Aquagymnastikunterricht geben. So bahnte sich Harry allein einen Weg durch die Patienten und Besucher des Kongresses.

Das Stimmengewirr gab ihm das Gefühl in einem geschäftigen Bienenstock zu sitzen und er war froh, als er Aufzug endlich in Sicht kam. Unablässig huschten seine Augen über die Leute um ihn her, auf der Suche nach einem ganz bestimmten Menschen, doch er fand Louis nicht.

Im Aufzug schrieb er ihm eine Nachricht und erkundigte sich danach, wo er sich gerade aufhielt. Louis antwortete, dass er in der Kongresshalle sei, aber am Nachmittag ins Krankenhaus kommen würde. Dort gäbe es einen Vortrag, der ihn interessierte. Harry musste leider zu dieser Zeit seine Visite durchführen und war deswegen etwas geknickt, weil sie sich verpassten. Hoffentlich erwischten sie sich heute trotzdem noch irgendwie. Die Spannung war kaum auszuhalten, und jetzt da er Louis bald auch noch im selben Gebäude wusste, war es noch schlimmer.

Nach der Visite stand nur noch Schreibkram an. Da Valentina nicht mehr da war, musste er alles selbst machen und hatte durch diese Arbeit auch schon einiges an Überstunden aufgehäuft, doch es ging nicht anders. Heute jedoch ließ Harry die Akten Akten sein, stapelte sie lediglich auf einen Haufen und machte sich dann nervös auf den Weg nach Unten. Vielleicht war Louis noch da. Er wollte ihn endlich sehen. Im Lift tippte Harry nervös mit den Fingern gegen die Wand des Aufzugs und sah immer wieder auf die Anzeige über der Tür, die langsam ein Stockwerk nach dem anderen passierte. Als das Ding zum dritten Mal anhielt, seufzte er genervt und schob sich dann an dem Krankenbett vorbei, das gerade in den Aufzug hineingebracht wurde.

Zu Fuß würde er schneller sein.

Harry betrat das Treppenhaus, das sich direkt neben dem Lift befand und ging mit schnellen Schritten weiter. Seine Schuhe quietschten in einem ziemlich nervigen Ton auf dem frisch gewischten Boden, als er um die Kurven bog.

In der Eingangshalle war es ziemlich still und ein Blick auf die Uhr zeigte Harry, dass der Vortrag gerade geendet hatte. Verärgert über das Schneckenthempo des Aufzuges beschleunigte er seine Schritte. Vielleicht war Louis irgendwo unter den Nachzüglern, die den Saal verlassen hatten und jetzt auf dem Weg zum Lunch waren. Trotz seiner Eile versuchte Harry, nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Eingangshalle zu wuseln. Immerhin war er Arzt und sollte sich eine gewisse Würde bewahren. Doch hier ging es nunmal um Louis und den wollte er nicht mehr verpassen. Er überholte eine Putzfrau, die mit einem großen Mob den Boden wischte und so die Spuren der vielen Kongressbesucher beseitigte, als ein Lachen an seine Ohren drang. Es könnte Louis gewesen sein und Harry drehte sich abrupt um.

Der nasse Boden gab ihm nicht genug Halt bei der Drehung und mit einem Knall wie von einer Peitsche landete er auf der Seite. „Ah!" Sofort schoss ihm ein Schmerz in sein ohnehin lädiertes Knie, der kaum auszuhalten war. Harry zog das Bein schnell an die Brust und umklammerte es mit beiden Händen. Es fühlte sich an, als ob man ihm mit einem Schraubenzieher die Kniescheibe aushebeln wollte. „Doctor, haben Sie sich was getan?", fragte die Putzfrau, die sofort herbeigeeilt war und kniete sich neben ihn auf den Boden. Sie sah ihn fragend an, doch Harry war nicht in der Lage zu antworten. Die Schmerzen waren so groß, dass sie alles überblendeten, was in seinem Umfeld passierte. „Wir brauchen einen Arzt!", rief sie in die Halle hinein und sofort kamen zwei Assistenzärzte gemeinsam mit dem Kollegen Dr Costello um die Ecke.

„Vorsicht, hier ist es glatt. Bitte übersehen Sie nicht auch die Schilder!", rief ihnen die Putzfrau zu. „Dr Styles, was ist mit Ihnen, können Sie aufstehen?" - „Ich hab mir das Kreuzband gerissen...", presste Harry hervor und ließ es zu, dass man ihn vorsichtig aufsetzte, wobei er sorgsam darauf achtete, das Knie nicht loszulassen. Er hatte es nach wie vor an die Brust gepresst und hielt es fest umklammert. „Sind Sie da sicher?" - „Ich bin Kniespezialist. Was denken Sie denn: natürlich bin ich mir sicher!", fauchte Harry und biss die Zähne zusammen. Es tat immer noch so verdammt weh. „Vielleicht röntgen wir das erstmal", schlug einer der Assistenten vor und Harry sagte nur: „Man kann ein gerissenes Kreuzband nur im MRT sehen. Haben Sie in der Uni geschlafen? Das ist wie schon gesagt, nicht nötig. Ich bin mir sicher, dass es durch ist. Es hat laut geknallt." Dr Costello schickte seinen Kollegen davon eine Trage zu besorgen, bevor Harry ihn noch weiter zur Schnecke machte und sagte dann dem anderen Assistenten: „Gehen Sie in die Chirurgie und holen Sie den Kollegen Norton. Er kann Sie operieren, Doctor. Wenn wir Glück haben, dann kriegt man das Band wieder gut zusammengenäht." Dr Costello löste die Umklammerung und bewegte Harrys Knie nun vorsichtig. „Nein, ich will Tomlinson", sagte Harry und ließ sich wieder auf den Boden sinken. Sein Knie pochte und fühlte sich an, als ob jemand es auf links gedreht hätte. „Tomlinson?", wiederholte Dr Costello und schüttelte den Kopf: „Sie wissen aber, dass der gerade viel unterwegs...." - „Ja, das weiß ich, aber ich will, dass er mein Knie mit seiner neuen Methode operiert. Und wenn es sein muss, dann werde ich warten, bis er Zeit hat."

Als der Assistent endlich zurückkam, ließ Harry sich nur widerwillig auf die Trage heben. Sie fuhren ihn in ein unbenutztes Krankenzimmer und eine Schwester half ihm dabei, die Hose auszuziehen. Harry seufzte, als er sah, wie geschwollen und heiß das Kniegelenk bereits war, doch die Schmerzen wurden langsam weniger. Er bekam eine Trombosespritze in den Bauch und einen Eisbeutel aufs Knie, dann musste er liegenbleiben und wartete ungeduldig darauf, dass man Louis fand und zu ihm brachte.

3 Years • Part IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt