Tick Tack

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Nach zweieinhalb Stunden kam Harry in den Aufwachraum. Weil es schon so spät am Abend war und außer ihm kein Patient mehr eine OP gehabt hatte, war er der einzige dort. Er blieb unter Beobachtung der Schwester, bis Louis sich umgezogen hatte und sie ablöste. Auf einem Stuhl sitzend, behielt er ihn im Auge und sah ab und zu auf die Uhr. Es war 22:30.

Harry regte sich lange Zeit überhaupt nicht. Der Anästhesist hatte es gut gemeint, weil er seinem Chef Schmerzen ersparen wollte und Louis wartete ungeduldig auf die erste Bewegung.

Doch sie ließ lange auf sich warten. Zu lange. Nachdem fast eine Stunde lang nichts geschehen war, obwohl Louis ihn ständig anstupste und mit ihm sprach, wurde er nervös. Er klingelte den Anästhesisten zu sich. „Wie viel haben Sie ihn gegeben?", fragte Louis und deutete auf Harry. „Die ganz normale Dosis. Er sollte längst wieder wach sein", antwortete der Kollege, trat an das Bett heran und sah auf Harry hinunter und dann auf die Uhr. „Die OP ist seit einer Stunde beendet...zeigt er gar keine Reaktion? Als wir ihn noch auf Reflexe getestet haben, hat doch zumindest das geklappt." Ja, das war richtig. Jeder Patient wurde noch im Operationssaal auf seine Reflexe getestet, bevor man ihn entließ. So auch Harry und sowohl das Schlucken, als auch die Atmung und der Hustenreflex hatten funktioniert. Normalerweise war das ein gutes Zeichen, doch eine Stunde zum Aufwachen zu benötigen, war unüblich. „Ich sage auf der Intensivstation Bescheid, dass wir ihn bringen. Es wird besser sein, wenn er so lange überwacht bleibt, bis wir sicher sein können, dass wirklich alles gut ist." Der Kollege rauschte davon und Louis blieb allein zurück. Aus Erfahrung wusste er, dass manche Patienten länger brauchten, um aufzuwachen, daher war er noch nicht vollständig in Panik, doch er hatte sich eigentlich gewünscht, dass Harry schnell wieder auf den Beinen war. „Harry!", sagte er laut und griff nach der schlaffen Hand. „Harry du musst aufwachen, ich weiß, dass das sicherlich gerade anstrengend für dich ist, aber sonst muss ich dich auf die Intensivstation überweisen...bitte..." Unablässig strich er ihm über die Hand und sprach mit ihm, doch von dem Mann kam keine Reaktion. Der Monitor neben dem Bett piepte regelmäßig und Louis sah auf Harrys Brustkorb, der sich sehr langsam hob und senkte. Die Schmerzmittel verlangsamten die Atmung um ein vielfaches und Louis zählte sieben Sekunden, bis Harry wieder Luft holte. Das war eindeutig zu langsam. Hoffentlich brauchte er einfach nur länger, um aus der Narkose wieder aufzuwachen und sie hatten nichts falsch gemacht. Louis stupste Harry erneut an und ging im Kopf rasch alles durch, was sie unternommen hatten, doch einen Fehler in der Behandlung konnte er nicht finden.

Die Tür schob sich wieder auf und der Kollegen kam zurück. Zayn im Schlepptau, der besorgt dreinblickte. „Er wacht nicht auf?", fragte er Louis besorgt und trat an das Bett heran. „Nein, bisher nicht." Mit geübten Handgriffen löste Zayn die Bremsen und Louis schob den Überwachungsmonitor, dann ging es hinaus auf den Flur, wo nun um diese Uhrzeit nichts mehr los war. Die Intensivstation lag ganz in der Nähe und sie mussten nicht einmal einen Aufzug benutzen. Die Kollegen dort waren bereits informiert worden und hatten ein Zimmer vorbereitet. „Hallo Dr Tomlinson", sagte eine der Nachtschwestern und öffnete ihnen eine Tür.

Der Raum war groß und Zayn stellte das Bett an eine Wand. „Er atmet zu langsam. Wir brauchen Sauerstoff", forderte Louis und die Schwester öffnete eine sterile Packung, entnahm ihr einen Schlauch, den sie Harry übers Gesicht legte und der ihn mit Sauerstoff versorgen sollte. Zayn klemmte Harry wieder an einen Pulsmesser an und trat dann zurück. „Das wird schon wieder, mach dir keine Gedanken", versuchte er ihn aufzumundern und Louis nickte. „Ja, normalerweise sollte er spätestens in zwei Stunden wieder fit sein. Selbst wenn Patienten länger brauchen, ist es nach drei Stunden auf jeden Fall vorbei." Zayn nickte, verschränkte die Arme und sagte nachdenklich: „Was, wenn er nach drei Stunden..." - „Daran will ich gar nicht denken."

Louis Mund war ganz trocken und er blinzelte kaum, während er allein im Zimmer saß und Harry beobachtete. Hoffentlich ging alles gut. Immer wieder testete er die Reflexe und bekam positive Resonanz, was seine Sorge ein wenig milderte. Er war hundemüde und nickte mehrmals fast ein, konnte sich aber soweit beherrschen, ganz einzuschlafen. Eine der Nachtschwestern brachte ihm zweimal einen Espresso.

Der Zeiger der Uhr rückte tickend weiter und endlich um 23:52 Uhr zuckte ein Augenlid.

Louis fuhr hoch kontrollierte Harrys Atmung erneut und stupste ihn ab und zu an, um ihn ein wenig schneller wach zu bekommen. Der Monitor piepte regelmäßig und Harrys Brust hob und senkte sich langsam, doch selbstständig. Jetzt konnte es wirklich nicht mehr allzu lange dauern.

3 Years • Part IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt