Wachsende Zweifel

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Die Zeit in London ging viel zu schnell vorbei und ehe Harry sich versah, war es Sonntagabend und er stand wieder am Bahnhof. „Baby ich will nicht, dass du gehst." Jetzt war es nun an Louis, zu jammern und er klammerte sich an Harrys Jacke fest. „Glaub mir, ich würde dich am liebsten mitnehmen", seufzte er und erwiderte die Umarmung liebevoll. Sie verabschiedeten sich nun schon gefühlt seit Stunden. Bereits am Morgen war es damit losgegangen, dass sie zweimal miteinander geschlafen hatten, als würden sie einen Vorrat an Gefühlen und Empfindungen ansammeln wollen. „Es ist nicht mehr lange. Noch drei Wochen, wenn man es genau nimmt. Das schaffen wir auch noch." Harry hoffte zwar, dass diese Worte, den Abschied ein wenig leichter machten, doch das klappte nicht. Louis festigte seinen Griff nur noch mehr und drückte das Gesicht gegen Harrys Brust. „Hm du riechst so gut", seufzte er und Harry bückte sich kurzerhand zu seinem Koffer. Er zog ein gebrauchtes T-Shirt heraus und drückte es Louis in die Hand. „Willst du es behalten, bis du nach Hause kommst?", fragte er und Louis sah fragend zwischen Harry und dem T-Shirt hin und her und schluckte. Gut, vielleicht war das jetzt doch ein wenig zu doof gewesen und Harry wollte Louis das Shirt wieder aus der Hand nehmen. „Ach vergiss es, das war ne blöde Idee von mir. Sowas machen doch nur Teenager." Doch Louis hielt es fest: „Nein, ich meine das ist toll. Ich hab nur gerade gezögert, weil du sagtest, dass ich bald nach Hause komme...es ist schön, wenn du von unserem Zuhause sprichst. Das klingt alles so unreal und ich hätte es mir damals niemals träumen lassen, dass wir einmal zusammenziehen. Von einer Beziehung einmal ganz zu schweigen. Ohje jetzt muss ich aufhören zu reden, sonst heule ich gleich." Louis blinzelte, sah dann an die Decke und atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen.

„Wir sehen uns bald", wiederholte Harry ruhig. Er strich Louis über das Gesicht und lächelte ihn aufmunternd an. „Wenn du am Tag deines Umzuges nicht so viel schleppen möchtest, dann kannst du mir ja schon einige Sachen vorab per Post schicken." - „Das ist eine gute Idee", schniefte Louis und lächelte dann. „Es ist ja wirklich nicht mehr lange." Sein Blick huschte an Harry vorbei auf die großen Anzeigetafeln im Bahnhof und er umarmte ihn noch ein letztes Mal: „Du musst los, dein Zug geht in zehn Minuten." - „Ich liebe dich, Louis", raunte Harry ihm ins Ohr und spürte, dass Louis nickte und ein ich liebe dich zurück flüsterte. Ein letzter Kuss, dann musste Harry wirklich los. Nachdem er die Drehkreuze passiert hatte, winkte er noch ein mal und bog dann um die Ecke. Louis war nun nicht mehr zu sehen und er atmete tief durch. Abschiede waren grässlich und er war wirklich froh, es jetzt hinter sich zu haben.

Zuhause würde er die Wohnung schon mal für zwei Personen herrichten und Platz im Kleiderschrank schaffen, dann ginge die Wartezeit auf Louis sicherlich auch schnell vorbei.

Außerdem durfte er ab der kommenden Woche wieder Vollzeit arbeiten und Harry hatte schon jetzt ein wenig Stress, wenn er daran dachte, was da alles auf ihn zukommen würde. Denn in den Wochen seit der OP war doch einiges liegengeblieben – vor allem Patienten, die von ihm hatten operiert werden wollen und ihren Termin deswegen verschoben hatten.

Mit dem Operieren war das so eine Sache, dachte Harry, als er am nächsten Tag im OP Saal stand und sich ein neues Knie vornahm. Eigentlich war alles wie immer, doch in sich fühlte er eine Unruhe. Lag es daran, dass er nun vier Wochen lang kein Skalpell in der Hand gehabt hatte und glaubte, seine Arbeit verlernt zu haben? Oder waren es die Metallbuttons, die auf dem Nebentisch bereitlagen und nur darauf warteten, eingebaut zu werden. Harry sah immer wieder auf die kleinen Knöpfe, die er zur Verankerung benutzte und zum ersten Mal in seiner ganzen Karriere als Arzt, war er sich nicht mehr sicher, ob das, was er tat eigentlich richtig war. Er wusste, dass es ene neue, bessere und dauerhaft patientenfreundlichere Methode gab und schraubte immer noch Metall in Körper? Das konnte irgendwie nicht sein. Das war, als würde Liam als Veganer in einer Metzgerei arbeiten. „Dr Styles, ist alles in Ordnung?", fragte der Assistent und sah ihn misstrauisch an. Harry hielt inne, sah zu den Knöpfen und nickte: „Ja, alles bestens." Dann setzte er den Schnitt und begann zu arbeiten. Im Kopf jedoch fasste er im Laufe der Operation einen Entschluss.

Sobald Louis hier war. Würde er sich von ihm das Verfahren zeigen lassen und ebenso auf Schrauben, Klammern und Buttons verzichten. Noch nie im Leben war ihm passiert, dass er seine eigene Arbeitsweise anzweifelte, doch nun, da er eine bessere am eigenen Leib erfahren hatte, konnte er seine nicht mehr würdig genug vertreten.

Trotzdem machte er die anstehenden OPs wie geplant, tat sich jedoch jedes Mal sehr schwer damit.

An den Abenden, wenn er Zuhause auf der Couch lag, informierte er sich über die Methode von Louis, las Aufsätze und Berichte, die er verfasst und veröffentlicht hatte und arbeitete sich in das Thema ein. Drei Wochen hatte er ja noch und wenn Louis hier war, dann wollte Harry über so viel Grundwissen verfügen wie möglich, sodass Louis ihm die Methode nur noch zeigen musste. Zu seinem Glück schickte Louis in den folgenden Tagen den ersten Umzugskarton per Kurier und der enthielt zu Harrys Freude eine Menge Bücher und Unterlagen zu All-Press-Fit.

Er packte alles aus und stellte es in den Teil des Bücherregals, das einmal Antons Sachen beherbergt hatte, dann rief er Louis an. „Hey ich wollte dir nur sagen, dass deine Unterlagen angekommen sind", sagte er und Louis am anderen Ende der Leitung, schien erleichtert: „Oh zum Glück. Ich war mir nicht sicher, ob das mit dem Kurier eine so gute Idee war. Der Mann der das abgeholt hat, sah nicht sonderlich vertrauenerweckend aus." - „Der Typ, der es hier abgeliefert hat auch nicht", lachte Harry. „Hör mal, kann ich mir deine Aufschriebe mal durchlesen? Ich glaube ich kann nicht weiter mit meinen OP Methoden arbeiten. Ich würde gerne von dir lernen."

Stille am anderen Ende der Leitung.

„Louis?", fragte Harry und hörte nur ein lautes Ausatmen. „Wow, du hast mich gerade ernsthaft gefragt, ob ich dir etwas zeigen kann? Ich bin sprachlos..." Tatsächlich klang Louis vollkommen überfordert und Harry wünschte sich, das Festnetz hätte einen Bildschirm. Zu gerne hätte er das Gesicht seines Freundes gesehen. „...ich meine, ich wollte immer so gut sein, wie du und jetzt fragst du mich um Rat, das ist....das ist Wahnsinn." - „Nun, du wolltest der Beste werden, weißt du noch?", fragte Harry und setzte dann ruhig hinterher: „Und ich glaube, dass du das geschafft hast, Louis."

3 Years • Part IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt