DREI

232 24 6
                                    

Es war schwarz um sie herum. Kalt und finster und nass. Der Geruch von Verwesung hing in der Luft. Faenja hustete, drehte sich auf die Seite und spuckte Blut auf den Boden. Es war so stockdunkel, dass sie ihre Hand vor Augen nicht erkennen konnte. Sie fühlte nur den nassen, glitschigen Boden unter sich und feuchtes Holz in ihrem Rücken.

Ihre Kehle war trocken, ihre Mundwinkel wurden schmerzhaft eingerissen. Sie spürte ein raues Seil zwischen ihren Zähnen, dass ihr jeden Laut verbat und jedes Schlucken erschwerte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Atmen, dachte sie krampfhaft. Ein. Aus. Ein. Aus.

Faenja wollte sich aufrichten, aber sie konnte sich keinen Zentimeter bewegen. Ihre Hände waren hinter ihrem Rücken mit engen Metallketten an einen Balken gefesselt. Der blanke Stahl schnitt scharf in ihr Fleisch. Ein. Aus.

Was war nur passiert? Erschöpft sank sie zurück gegen das Holz in ihrem Rücken. Sie erinnerte sich an nichts. Ihr Kopf war leer. Wo war Erren?

Angst machte sich in ihr breit, lähmte jeden Muskel in ihrem Körper. Ein Schluchzen entwich ihren Lippen. Voller Verzweiflung kämpfte sie mit ihren Fesseln, aber sie zogen und zerrten an ihr, bis Faenja wieder keuchend in sich zusammensackte. Heiße Tränen rannen in Sturzbächen ihre Wange hinab.

"Bitte", flüsterte sie erstickt, "hilfe." Der Knebel in ihrem Mund machte jedes ihrer Worte zu verzweifelten Lauten ohne Belang.

"Erren?", schrie sie in die Finsternis. Sie wusste nicht einmal mehr, ob ihre Stimme nur in ihrem Kopf nach ihm rief, doch er antwortete nicht. Niemand antwortete ihr. Da war nur die höhnische Stille.

Kraftlos schloss sie die Augen, um den großen, dunkelhaarigen Räuber sehen zu können. Sie dachte an seine hellbraunen, ehrlichen Augen, an die raue Stimme, an das Gefühl von Geborgenheit, wenn er sie in seine starken Arme schloss.

"Man erzählt sich von der Schönheit der Prinzessin von Keldor."

Faenja zuckte zusammen. Die Stimme war dicht an ihrem Ohr, so nah, dass sie einen warmen Atem in ihrem Nacken spüren konnte.

Angsterfüllt riss sie den Kopf zur Seite. Doch wer auch immer hinter ihr stand, er ließ sich davon nicht beeindrucken. Gleich darauf spürte sie seine kalte Hand, die ihr eine Strähne hinters Ohr strich.

"Habt keine Angst, meine Kleine." Seine Stimme war so einfühlsam, dass Faenja beinahe würgen musste. Sie hätte dem Unbekannten am liebsten ins Gesicht gebrüllt, er solle gefälligst seine widerlichen Hände von ihr nehmen und verschwinden, aber sie ließ die Prozedur schweigend über sich ergehen. Wie angewurzelt saß sie da, schloss die Augen und zählte die Sekunden, bis endlich alles vorbei war. Bis sie aus diesem schrecklichen Traum erwachte, Erren neben sich liegen, der ihr einen bösen Blick zuwarf, weil sie ihn geweckt hatte.

Aber sie wachte nicht auf. Sie war gefangen in der ewigen Dunkelheit, die ihr jede Luft zum Atmen nahm und sie in ein schwarzes Loch zerrte.

Der Unbekannte wischte ihr sanft die Tränen von den Wangen, doch jede seiner Berührungen waren wie Nadelstiche auf Faenjas Haut.

"Fass mich nicht an!", wollte sie schreien, aber jedes ihrer Worte verklang, noch bevor es ihre Lippen verlassen hatte. Der Knebel zwischen ihren Zähnen machte es ihr unmöglich, zu sprechen. Es war, als fehlte ihr die Luft zum Atmen. Sie keuchte, ihre Augen brannten vom Weinen und sie schmeckte Blut in ihrem Mund.

"Vielleicht wird er Euch retten können, Euer Held." Ein lautes, dreckiges Lachen klang durch die Finsternis und hallte von den Wänden wieder. Faenja konnte seine Lippen an ihrem Ohr spüren. Sie fröstelte.

Im nächsten Augenblick entflammte hinter ihr ein Feuer. Die Fackel tauchte den fensterlosen Raum in ein gespenstisches Licht und Faenja ergriff die Möglichkeit, sich umzusehen. Sie war umgeben von modrigen, feuchten Holzwänden, bedeckt von Efeu und Spinnenweben. Die Tür musste hinter ihr liegen, denn sie konnte nirgends eine erkennen.

Der Mann trat einen Schritt vor, sodass sie in sein Gesicht sehen konnte. Die Flammen malten spielende Schatten auf seine blasse Haut. Er war groß und schlank, seine Augen hatten die Farbe von geschliffenem Bernstein, die pechschwarzen Haare waren an den Seiten kurz geschoren.

Faenja konnte ihren Blick nicht von ihm lösen. Der Mann ekelte sie an, doch zugleich hatte er etwas an sich, dass sie an Erren erinnerte. Irgendetwas lag in seinem Blick, eine tiefe Sehnsucht und Verletzlichkeit, die er zu verbergen versuchte. Doch da war dieses teuflische Grinsen, dass ihr Angst machte. Er war unberechenbar.

Ein Irrer.

Blut und AscheWhere stories live. Discover now