FÜNFUNDFÜNFZIG oder wie Elaine von einer Stadt überrascht wurde

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Jahrelang hatte Elaine immer gesagt, dass sie die Welt sehen wollte und das mit ihren eigenen Augen. Gleichzeitig konnte sie, schon seitdem sie ein kleines Kind war, das typische Verhalten von Touristen nur schwer aushalten. Vielleicht war es ihre eingeschränkte Sichtweise, da sie selbst bis zu ihrer Australienreise selbst noch nie im Ausland gewesen war, doch für sie war es einfach unvorstellbar gewesen, dass sie selbst irgendwann mal diese typische Touristen sein würde. Eigentlich war das auch nichts schlimmes, zumindest war dies nun, nachdem sie selbst schon mehrfach durch die Straßen einer unbekannten Stadt gelaufen war, ihre Meinung. Dennoch hatte sie sich bis heute darum bemüht zumindest auf den ersten Blick hin eben nicht wie eine Fremde auszusehen. So hatte sie niemals einen bescheuerten Rucksack auf dem Rücken oder eine dieser hässlichen Bauchtaschen um den Bauch. Heute aber hatte Raphael ihr einen Rucksack aufgequatscht.
Zwar teilten sie sich einen, sodass sie ihn nur die Hälfte der Zeit selbst tragen musste, aber das komische Gefühl breitete sich zu Beginn trotzdem in ihr aus. Es war fast so, als würde sich ihr Körper gegen das Gepäckstück sträuben. Sie lächelte gequält auf, als sie das Gewicht zum ersten Mal auf ihrem Rücken zu spüren bekam.
Gleichzeitig wollte sie sich nicht beschweren, denn irgendwie hatte Elaine das Gefühl Raphael schon viel zu viel zugemutet zu haben. Immer wieder fragte sie sich, wie er sich wohl verhalten würde, wenn er die Wahrheit hinter ihrer Liste herausfinden würde. Egal welches Szenario sie in ihren Gedanken durchspielte, sie kam stets auf ein negatives Ergebnis und fühlte sich gleichzeitig dadurch in ihrer Handlungsweise unterstützt. Sie konnte es einfach nicht riskieren, dass Raphael vor ihrem Todestag die Wahrheit erfuhr. Das würde nämlich einfach alles zerstören.
Der feine Regen, welcher sie in den ersten paar Tagen ihrer Reise zu begleiten schien, passte irgendwie perfekt zu ihrer Laune. Leider war das eher mittelmäßige Wetter nicht so schön für ihr erstes Ziel. Die Stadt New York wurde durch die grauen Wolken nur noch grauer, als sie durch die ganzen Hochhäuser so oder so schon war.
Erst am vierten Tag klärte sich der Himmer auf und so entschieden sich die beiden jungen Reisenden endlich einmal auf das Empire State Building zu steigen und die Aussicht von dort oben zu genießen. Schon am frühen Morgen stellten sie sich in die Schlange und warteten darauf endlich einmal die Sicht von oben genießen zu können. Elaine freute sich endlich einmal eines der klischee Bilder von der Stadt zu sehen, denn bisher hatte die Stadt noch nicht so wirklich überzeugt. Für sie war New York irgendwie ein bisschen zu hektisch. Jeder um sie herum schien keine Zeit für irgendetwas zu besitzen und die angenehme Ruhe, welche sie in Paris erlebt hatte, fehlte komplett.
Natürlich wusste sie schon vorher, dass man New York und Paris nur schlecht mit einander vergleichen konnte, dennoch vermisste sie ihr normales Reisegefühl. In Australien war sie gefühlt immer von ihrer Umgebung überwältigt gewesen, in Paris hatte sie sich in die Stadt verliebt und in Afrika war ihr das Herz aufgrund der lieben Menschen dort jede Minute aufs Neue aufgegangen. Hier in Amerika fühlte sie nichts dergleichen. Doch vielleich würde das Empire State Building daran etwas ändern.
Die letzten Tage hatten sie mit durch die Stadt laufen verbracht. So hatten sie schon sehr viel von der Stadt gesehen und viele Dinge natürlich mithilfe von Kameras festgehalten, aber wirklich atemberaubend waren ihre Erlebniss nach Elaine nicht gewesen. Möglicherweise war sie nicht wirklich für New York geschaffen. Wahrscheinlich war ihr diese Hektik einfach zu ungemütlich.
Raphael hingegen schien in dieser Unruhe regelrecht aufzublühen. Seit dem ersten Tag in der Stadt hatte er schon tausende von Fotos geschossen und bei ihm merkte man sofort auf den ersten Blick hin, wie sehr er es genoss hier zu sein. Das Empire State Building war für ihn nicht der Grundstein seines Erlebnisses, sondern die Kirsche ganz oben auf der Torte.
Sein Finger lag schon auf dem Auslöser für seine Kamera und langsam steckte er auch seine Begleiterin zumindest ein kleines bisschen mit seiner Laune an. Auch auf Elaines Lippen legte sich ein kleines Lächeln, als der Aufzug nach oben fuhr. Ob dies wegen dem bevorstehenden Event oder eigentlich nur wegen Raphael passierte, konnte niemand wissen.
Wenn man sie fragen würde, wäre die Antwort wohl eher Raphael, denn in den letzten Wochen reichte seine Anwesenheit meistens schon aus, um ihre Laune zu heben. Dann spürte sie ein leichtes Kribbeln im Magen und das Lächeln setzte sich auf ihre Lippen.
Auch wenn ihr dies schon länger aufgefallen war, so vermied sie es dennoch länger als unbedingt notwenig über diese Reaktionen auf ihn nachzudenken.
Als die Türen des Fahrstuhles sich öffneten, griff sie instiktiv nach Raphaels Hand und gemeinsam liefen sie nach draußen. Die Sicht war fantastisch und kurz klappte Elaines Mund auf.
Ein kleines bisschen hatte dieser Ausblick es geschafft sie für sich zu gewinnen. Raphael hingegen war einfach nur hellauf begeistert. Am liebsten wäre er wohl den ganzen Tag dort oben geblieben, aber er hatte selbst eingesehen, dass eineinhalb Stunden auf dem Dach ausreichten. Seine Begleiterin zitterte leicht, da der Wind dort oben schon relativ stark wehte und war erleichtert wieder in das geschützte Innere des Aufzuges steigen zu können.
Die Sonne empfing sie paar Minuten später wieder auf dem Boden zwischen den ganzen Hochhäusern. Eine weitere Attraktion hatten sie noch für den Tag geplant, doch die Fähre zur Freiheitsstatue würden sie erst in den Abendstunden nehmen, sodass sie den ganzen Tag nichts zu tun hatten.
So schlenderten sie entspannt durch die belebten Straßen und ließen sich im Central Park auf der Wiese nieder. Als ihre Uhren dann die gewünschte Zeit anzeigten, machten sie sich auf zur Fähre.
Die untergehende Sonne ließ die Skyline von der großen Stadt noch viel schöner aussehen, als sie so oder so schon war. Genau in dem Moment, als Elaine an der Rehling der Fähre stand und auf die Stadt blickte, wusste sie, dass auch New York sie heimlich gefesselt hatte.
Die Stadt hatte es geschafft sie in ihren Bann zu ziehen und das nur an einem einzigen Tag.

How I would like to say GoodbyeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt