Tag 27 // Tag 23

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Tag 27

Zwei Tage später fuhr ich in die Schule, um endlich meinen Spind zu räumen und vollends als Schülerin von dieser Schule zu verschwinden. Direktor White hatte gestern bei uns angerufen und meine Eltern gebeten, dass ich bitte meine restlichen Sachen aufräumen sollte. Also fuhr ich heute in die Schule. Die dritte Stunde war gerade zu Ende, als ich zum Eingang herein schlenderte. Natürlich starrte mich sofort jeder an. Ich war einige Zeit nicht mehr hier gewesen. Da konnte man schon mal vergessen, wie man aussah.

Ohne die anderen zu beachten, ging ich zu meinem Schließfach. Ich ließ mir Zeit, immerhin drängte mich nichts. Das Eingeben der Nummern für das Zahlenschloss fühlte sich vertraut an. Diese drei Zahlen hätte ich selbst im Delirium noch herunterbeten können.

In meinem Spind standen noch ein paar Bücher, die ich zwar mit in den Unterricht genommen, aber schlussendlich nie benutzt hatte. Ich fand ein Buch, was ich in Mathe immer gelesen hatte und sogar ein Schmierblatt mit alten Kritzeleien. Die Bücher stopfte ich in meinen Rucksack, die alten Blätter warf ich in den Müll. Als ich einen weiteren Stapel Schmierblätter anpackte, fiel mir eine Zeichnung von Logan auf, die er in der Mittagspause von mir gemacht hatte. Es war nur eine Skizze mit Bleistift, sehr einfach gehalten mit klaren Linien und ohne viel Details. Aber man erkannte unverkennbar, wer die Person sein sollte. Ich zupfte das Blatt aus dem Stapel und steckte es mir kurzerhand zwischen die Lippen, weil ich keine Hände frei hatte. Dann entledigte ich mich dem restlichen Zeug. Nun war mein Spind leer und nichts deutete darauf hin, dass er irgendwann mal mir gehört hatte. Und ich merkte, wie sehr mich dieser Gedanke störte.

Ich sah mich um und stellte fest, dass es mittlerweile leer auf dem Gang war. Die vierte Stunde hatte begonnen. Ich sah nach links und dann nach rechts und ehe ich mich versah, hatte ich einen Stift in der Hand. Und dann tat ich etwas, was ich noch nie getan hatte. Ich bemalte mein Schließfach.

Mein Arm verschwand fast vollständig in dem grauen Spind, als ich mit dem Stift an die hintere Innenwand Logans Bild abmalte. Es gelang mir sogar ganz gut. Und dann, um das Bild komplett zu machen, schrieb ich darüber: Jo war hier.

Dann knallte ich mein Schließfach zu und ging. Ich würde es nie wieder öffnen.

Als Nächstes lief ich in das Sekretariat. Ich gab der Dame an der Theke meine Bücher. Sie brauchte nicht nach meinem Namen zu fragen. Auch sie starrte und wusste.

»Wollen Sie noch mal mit Direktor White sprechen?«, fragte sie zaghaft. Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, danke. Ich muss weiter.« Ich verabschiedete mich und ging. Direktor White stand nicht auf der Liste der Leute, von denen ich mich verabschieden wollte.

Aber es gab jemanden, an den ich noch letzte Worte zu richten hatte. Kurzerhand kam ich vor dem Klassenzimmer von Mrs Dickinson zum Stehen. Sie müsste jetzt eigentlich eine Freistunde haben, aber ich klopfte dennoch an. Als ihr »Herein« ertönte, trat ich ein.

»Jo«, sagte sie. Mehr nicht. Ich lächelte sie dankbar an.

»Hallo, Mrs Dickinson«, begrüßte ich sie und schloss die Tür hinter mir. Sie lehnte sich zurück und schob ihre Lesebrille zurück ins Haar. Sie sah aus wie immer. Brille auf dem Kopf, das Haar hinten mit einer großen Spange befestigt. Sie trug weite Gewänder mit Blumenmuster, eine Perlenkette und nur einen Ohrring. Ich hatte sie vermisst.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte sie schließlich.

»Ich habe meine Geschichte noch nicht abgegeben«, sagte ich. Mrs Dickinson schmunzelte.

»Nun, so taktlos das auch ist, zu sagen: Du bist hier keine Schülerin mehr, Jo.« Jetzt schmunzelte ich.

»Ich nicht, aber mein Partner Kyle Thompson ist auf diese Note angewiesen.« Ich lehnte mich über den Tisch etwas zu ihr vor. »Und wir beide wissen doch, dass er meine begabte Ader braucht.« Jetzt lachte Mrs Dickinson.

The Bucket ListWo Geschichten leben. Entdecke jetzt