•NACHBARN•

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Ich stelle das Bild auf den Schreibtisch. Die leeren Kartons falte ich zusammen und lehne sie gegen mein Bett. Ich höre die Klingel läuten. Verwundert horche ich auf. Wer sollte uns besuchen? Wir kennen noch keinen. Ich schlage mir mit der Hand auf die Stirn. Die Nachbarn. Sicherlich wollen sie sich vorstellen.

Neugierig öffne ich dir Tür und gehe auf leisen Sohlen den Gang entlang bis zur Treppe und gehe ein paar Treppen herunter. Nur so weit, dass ich nicht gesehen werde. Ich höre wie Dad die Tür öffnet. Zum Vorschein kommt ein Ehepaar.

„Guten Tag. Wir sind die Robinsons und wohnen gleich neben ihnen. Wir haben gesehen, wie sie ein paar Umzugskartons rein getragen haben. Mein Name ist Laura Robinson." Die Frau reicht meinem Vater die Hand. Er schüttelt sie höflich. „Und der Mann neben mir ist Patrick Robinson, mein Ehemann." Sie zeigt auf einen Mann mit schwarzen, kurzen Haaren und dunkelgrünen Augen. Sie selbst trägt ihre hellbraunen Haare in großen Wellen, welche an ihren Schultern herunterhängen. „Freut mich sie beide kennen zu lernen. Ich bin Henry Leaves, der neue Besitzer des Hauses. Ich bin gerade mit meiner Tochter hier eingezogen", er macht eine kurze Pause, „Wie wäre es, wenn sie in einer Stunde zu uns zum Essen kommen? So können wir uns gleich näher kennen lernen."

Ich verziehe das Gesicht. Seit wann lädt mein Vater, Menschen ein, welche wir nicht kennen? Das ist untypisch für ihn. Sonst ist er Fremden gegenüber distanziert. Hofft er auf mehr Abwechslung? Oder das er durch sie eine neue Liebschaft kennenlernt? Wenn das der Fall wäre, müsste er erst an mir vorbei.

„Oh, das wäre wunderbar. Wir bringen unseren Sohn mit. Wir wollen dann auch nicht weiter stören. Kommen Sie in Ruhe an. Nochmals Willkommen in unserer Nachbarschaft." Sie nicken sich noch einmal zu, ehe sie sich umdrehen und aus meinem Sichtfeld verschwinden. Er schließt die Tür hinter sich und dreht sich um.

„Violet, komm runter und hilf mir den Rest in der Küche auszuräumen und decke bitte anschließend den Tisch für unsere Gäste, während ich ein paar Lebensmittel hole."

Überrascht, dass er mich bemerkt hat, gehe ich die restlichen Stufen hinunter. "Woher wusstest du, dass ich da war?"

Er sieht mich mit einem Schmunzeln an. "Du bist laut, wenn du die Treppe hinunter gehst."

Dad legt einen Arm um mich. "Ich denke wir werden uns gut mit den Nachbarn verstehen. Was meinst du?"

"Dir ist bewusst, dass wir diese Personen erst eine Minute kennen. Sie könnten auch Mörder sein." Ich schaue ihn skeptisch an.

Er drückt mich fest an sich. "Ich habe dich lieb, meine Kleine."

Ich löse seinen Arm von mir und hole mir einen Karton aus dem Flur und fange an ihn auszupacken. Nachdem ich das ganze Geschirr in die Schränke geräumt habe, decke ich den Tisch und versuche es so ästhetisch wie möglich aussehen zu lassen. Nachdem ich fertig bin, trete ich raus auf die Terrasse. Unauffällig schaue ich zu unseren Nachbarn. Ich sehe niemanden in den Fenstern des Hauses. Also gehe ich wieder rein und schalte den Fernseher an. Aus Langerweile schaue ich ein paar Folgen von der „Bachelor". Eins steht schon einmal fest, der Bachelor von Australien hat mir optisch besser gefallen.

Ich merke nicht, wie die Tür aufgeht und jemand den Flur entlangläuft. Tüten werden in der Küche abgestellt. Ich stehe auf, schalte den Fernseher aus und laufe zu meinem Dad. Er packt die Lebensmittel auf den Tresen. Eier, Milch, Brot, Salat, Wurst- und Käsespezialitäten, verschiedene Gemüse und Obstsorten. Dazu noch Tiefkühlkost und gefrorene Hähnchenteile. Er geht erneut aus dem Haus und kommt mit einer weiteren Tüte zurück. Daraus holt er Spirituosen und Säfte.

Ich packe die Lebensmittel in den Kühlschrank. Mein Dad bereitet währenddessen den Salat mit Hähnchen-Fleisch und Paprika zu. Als Highlight legt er Nüsse und Preiselbeeren drauf. Ich schneide das Brot in Scheiben und drapiere es zusammen mit den Käse- und Wurstspezialitäten auf ein Brett. Den Salat sowie das Brett stelle ich auf den Tisch.

Es klingelt an der Tür. „Kannst du bitte die Tür öffnen?" fragt er, während er letzte Vorkehrungen trifft.

Mit murmeln gehe ich zur Tür und öffne sie. Es sind nicht das Ehepaar von vorhin. Ein Junge mir hellbraunen Haaren steht mir gegenüber. Sein Gesicht ziert ein kleines Lächeln. Die dunklen, braunen Augen strahlen mir entgegen.

"Hey, ich bin Noah."

"Violet."

„Meine Eltern kommen gleich dazu", sagt er und schaut mich immer noch an. Unweigerlich kaue ich auf meiner Unterlippe und wippe hin und her.

„Dann komm herein. Essen ist schon fertig." Ich trete aus der Tür und lasse ihn herein. Seine Eltern kommen wenige Minuten später zur Tür. Höflich begrüße ich sie.

Nachdem auch mein Dad die Nachbarn begrüßt hat, setzten wir uns an den Tisch. Gegenüber von mir sitzen Laura und Patrick. Noah hat sich neben mich gesetzt. Am Tischende sitzt mein Dad, welcher uns alle mit einem großen Lächeln ansieht.

„Ich möchte gern anstoßen." Patrick erhebt das Wort und wir folgen seiner Anweisung. "Auf unsere neuen Nachbarn. Mögen wir eine gute Freundschaft hegen und pflegen."

Wir stoßen mit den Gläsern an. Mein Dad zwinkert mir zu. Verwirrt schaue ich ihn an. Warum zwinkert er mir zu? Es wird langsam unheimlich. Er soll damit aufhören. Es kann auch peinlich werden und ich hoffe nicht, dass es so weit kommt. Während des Essens kommt das Thema Schule auf. Eltern können anscheinend, über kein anderes Thema reden als dieses.

"Violet, erzähl. Gehst du zukünftig auch auf die Goodwin High?"

Ich schaue zu Laura. „Ich glaube schon", antworte ich ihr.

"Ah, das ist aber schön. Noah besucht ebenfalls die Schule. Da kennst du wenigstens jemanden und der erste Tag an der Schule wird dir nicht so schwerfallen."

„Naja ich bin es gewöhnt. Von daher werde ich auch das meistern." Gebe ich neutral als Antwort wieder.

Das nächste Thema wird aufgegriffen. London. Meinen Geburtsort. Es werden die stereotypischen Fragen gestellt, welche mir schon zum Hals raushängen. Regnet es die ganze Zeit? Habt ihr auch warme Temperaturen? Hattest du eine Schuluniform? Habt ihr die Queen gesehen? Trinkt ihr schwarzen Tee mit Milch und Zucker? Es werden alle Klischees hinterfragt. Ich schalte auf stumm und lasse meinen Dad antworten. Darauf habe ich keine Lust. In Australien war es einigermaßen normal gewesen. Hier eskaliert es gerade.

Nachdem die Teller leer sind, räume ich freiwillig die Teller in die Spülmaschine und werde dafür von meinem Dad gelobt, während die Laura ihren Sohn tadelt und meint, er soll an mir ein Beispiel nehmen. Dad tauscht die Gläser gegen Weingläser aus und öffnet eine Flasche Rotwein. Ich mache mir Wasser heiß und hole einen Teebeutel aus dem Schrank. Noah zu fragen, ob er etwas anderes will, übersteigt meine soziale Batterie.

Eigentlich will ich mich nur in mein Zimmer verkriechen und allein sein. Einen Film schauen, Schokolade essen und Schauspieler, die viel zu alt für mich sind anschmachten. Leider stehen mir Noah und seiner Familie im Weg.

Zwischen Surfboards & CheerleadingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt