Tag 16 // Tag 15

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Tag 16

Ich erwachte in der Notaufnahme. Es war irgendwas nach ein Uhr morgens, als ich die Augen aufschlug und das rege Treiben in der Ambulanz betrachtete. Ein Sauerstoffschlauch steckte mir in der Nase, aber ich hatte nicht einmal die Lust, ihn mir herauszureißen, wie ich es sonst immer tat. Ich hörte das Piepen der Monitore und fühlte mich seltsam zuhause.

Als ich meinen Blick schweifen ließ, entdeckte ich Mum, die neben meiner Liege auf einem Stuhl saß. Sobald sie bemerkte, dass ich wach war, legte sie ihre Tasche auf den Boden und beugte sich zu mir.

»Du bist wach, mein Schatz«, hauchte sie und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Dann lehnte sie sich wieder zurück und sah mich an.

»Wie geht es dir?«, fragte sie ernst. Ich schluckte und räusperte mich kurz.

»Es geht«, sagte ich, dabei versuchte ich ein Stück auf der Liege hochzurutschen und mich aufzusetzen. »Was ist genau passiert?« Mum lächelte mich mitleidig an.

»Kyle hat nur gesagt, dass du auf der Party einen Anfall hattest. Du bist vor Schmerzen ohnmächtig geworden. Deine Freunde haben daraufhin den Krankenwagen gerufen. Die Sanitäter haben dich hierhergebracht. Dr. Harper hat heute zum Glück Dienst. Er hat dich gleich in Empfang genommen aber recht schnell festgestellt, dass dir nicht viel fehlt. Du brauchst Ruhe, hat er gemeint.«

»Wo ist er? Kyle, meine ich«, krächzte ich.

»Er ist mit deinem Dad unterwegs. Sie holen Kaffee«, erklärte mir Mum. Liebevoll strich sie mir mit der Hand die verschwitzten Haare aus dem Gesicht.

»Oh Gott. Dad wird ihn lynchen«, klagte ich und schloss erschöpft die Augen. Ich wusste auch so, dass Mum den Kopf schüttelte.

»Nein, wir vertrauen ihm. Dass du einen Anfall hattest, das konnte niemand ahnen. Es ist, wie es ist, Jo.« Ich schlug die Augen auf und sah meine Mutter an. Dann lächelte ich traurig.

»Ja, so ist mein Leben.«

Nach einer Weile kamen Kyle und mein Vater wieder. Ich bat meine Eltern, uns allein zu lassen, dann rutschte ich auf der Liege ein Stück und Kyle zwängte sich darauf. Er nahm mich in den Arm und ich lehnte mich ausgelaugt an ihn.

»Es tut mir leid«, murmelte ich und spielte mit einem Knopf seines hellblauen Hemdes. Kyle fasste mit seiner Hand danach und hielt meine Finger fest.

»Du musst dich nicht entschuldigen, Jo«, gab er mir zu verstehen. Ich schwieg kurz.

»Ich habe aber irgendwie das Gefühl, es zu müssen«, sagte ich noch leiser. »Ich bereite euch allen so viele Umstände.« Kyle spielte gedankenlos mit meinen Haaren.

»Du musst aufhören, dich schuldig zu fühlen. Wir sind deine Familie, Jo und wir alle lieben dich. Nimm es an. Es ist wie damals, als wir auf dem Dach saßen. Kurz nachdem du bei mir zuhause auf der Party umgekippt bist. Da hast du mir erzählt, was mit dir los ist, und wir haben über Nathalie gesprochen, erinnerst du dich? Hier ist es genau das Gleiche. Du kannst dich immer schlecht fühlen, wenn man sich um dich kümmert oder du akzeptierst es, bist unendlich dankbar und lebst ein Stück leichter, Jo. Nimm es bitte an«, flehte Kyle.

»Okay«, murmelte ich und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. »Es haben mich alle gesehen, oder?«

»Ja«, gab Kyle zu. Und plötzlich weinte ich.

»Jo?«, fragte Kyle panisch. Dann zog er mich ein Stück nach oben zu sich heran und schlang seine Arme um meinen Hals. Sacht wiegte er mich hin und her. »Süße, was ist los? Rede mit mir.« Aber ich heulte einfach weiter. Ich schluchzte und flennte und war so tief drin in meiner Heulerei, dass ich kein Wort herausbekam. In ein paar Minuten würde ich mit Kyle sprechen können, aber im Moment? Da wollte ich einfach mal hemmungslos schluchzen.

The Bucket ListWo Geschichten leben. Entdecke jetzt