Kapitel 38

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Heute war das Schicksal wohl dagegen, dass ich Nahrung zu mir nahm.
Nach dem Gespräch mit Sirius war ich viel zu aufgewühlt gewesen, als dass ich irgendetwas runterbekommen hätte, also hatte ich das Mittagessen auch ausfallen lassen.
Mary, Marlene und Dorcas hatten nach mir gesucht und gefragt, was los sei. Ich sagte einfach, ich hätte mich noch nicht ganz von meinem Besensturz erholt, woraufhin sie sich mit mir aufs Sofa gekuschelt hatten und wir einfach über dies und jenes geredet hatten.
Ich war froh, mal unwichtigen Tratsch zu hören und nicht weltbewegende Dinge zu erfahren. Außerdem war es schön gewesen, mal wieder Zeit mit den drei Mädels zu verbringen.
Denn, ganz ehrlich? Jungs auf Dauer waren scheiße.
Man(n) warf uns weiblichen Wesen ständig vor, unlogisch und impulsiv zu sein, aber wir hatten wenigstens überhaupt eine Art von Logik: Die Mädchenlogik.
Wen interessierte es schon, dass diese Logik komplett unlogisch war und auch Frauen andere Frauen nicht verstanden und am wenigsten sich selbst?
Die Logik existierte und das war alles was zählte.
Jungs dagegen hatten nicht mal eine Logik vorzuweisen, sie waren schlicht und einfach dämlich.
Doch weil ich mindestens genauso dämlich war, beschloss ich, mich auf den Weg in den Krankenflügel zu machen und James ein weiteres Mal um Verzeihung zu bitten.
Zwar sträubte sich alles in mir dagegen, denn mein Stolz konnte es einfach nicht einsehen, dass ich mich schon wieder bei diesem dämlichen Vertreter der männlichen Art entschuldigen musste, und das, obwohl ich ihm nur seinen verdammten Arsch gerettet hatte, aber nun ja. Manchmal musste eben auch eine Lily Evans von ihrem hohen Ross herabsteigen.
Leider.
Den ganzen Weg durch das Schloss fragte ich mich, wie zur Hölle ich mich eigentlich immer in solche Scheiße hineinritt. Es war ja nicht so, als würde ich Ärger suchen, er fand mich nur einfach immer wieder.
Ganz toll. Normale Menschen wurden von ihrem Glück überrascht oder stolperten so ganz nebenbei mal über ihre große Liebe, und ich?
Ich musste mich 24/7 bei einem blöden Jungen entschuldigen, der sich rein theoretisch eigentlich bei mir entschuldigen sollte.
Das Leben war und blieb kompliziert. Und es verpasste einem mit Vergnügen Arschtritte – und zwar einem nach dem anderen.
Heiliger Kürbiskuchen, worüber philosophierte ich eigentlich schon wieder? Ich war wirklich komplett durchgeknallt. Vielleicht würde ich demnächst meine Tage bekommen.
Den Bauchschmerzen nach zu urteilen, ja. Andererseits könnte das auch einfach die Aufregung sein.
Ich beschloss, dass mir das für den Moment egal war, denn inzwischen war ich vor den großen Türen, die zum Krankenflügel führten, angekommen.
Ich nahm all meinen Gryffindor- Mut zusammen und trat ein.

James war wach und sah dank Magie und einer überaus talentierten Krankenschwester wieder einigermaßen unversehrt aus: etwas blasser als sonst, mit noch zerzausteren Haaren –sofern das überhaupt möglich war- und dicken Augenringen, aber im Vergleich zu letzter Nacht war er kerngesund.
Leider musste ich mir zugestehen, dass ich nur schwer der Versuchung widerstehen konnte, zu seinem Bett zu rennen und ihm in die Arme zu fallen, um hemmungslos zu schluchzen. Nennt mich ein emotionales Stück Drachenmist, aber nun ja. Ich war ein hormongesteuertes Teenager- Mädchen.
Stattdessen näherte ich mich seinem Bett langsam und vorsichtig, und zog mir so leise wie möglich einen Stuhl heran.
James sah von dem Buch, das er gerade gelesen hatte – Quidditch im Wandel der Zeiten, was auch sonst- auf, und starrte mich durch seine Brille mit gerunzelter Stirn an.
Ich starrte zurück, bis es mir unangenehm wurde. Verlegen senkte ich meinen Blick auf meine Hände, die ich im Schoß verschränkt hielt.
Aus dem Augenwinkel verfolgte ich, wie James eine Ecke in eine Seite des Buches knickte – womit er quasi sein Todesurteil unterschrieb, denn jeder kannte doch die strenge Madam Pince- und es auf seinen Nachttisch legte.
Mit einem kleinen Seufzer lehnte er sich zurück in die einladenden Kissen und begann zu sprechen: „Lily Evans, du schaffst es wirklich immer wieder, dich in jeden möglichen Mist reinzureiten."
Genau mein Gedanke Potter, vielen Dank auch.
Ich hasste es, wenn Leute mir genau die Kritik aussprachen, die ich mir selbst schon gegeben hatte. Ich brauchte mir den Mist nicht zwei Mal anzuhören!
Aus diesem Grund schaute ich auf und fauchte James an: „Jetzt här mal, ohne mich wärst du gestern einfach verblutet!"
Er legte die Stirn missbilligend in Falten.
„Evans, mach mich nicht wütend, das ist nicht gut für meine Genesung."
„Scheiß' doch auf deine Genesung", knurrte ich, allerdings so leise, dass er es unmöglich hätte hören können. Bockig verschränkte ich meine Arme vor der Brust und schob mein Kinn vor.
Finster erwiderte ich James' Blick.
„Hör endlich auf, mich bei meinem Nachnamen zu nennen."
Damit hatte er nicht gerechnet. Seine Mimik schaltete von „Ich ziehe die Augenbrauen so sehr zusammen, bis ich eine Monobraue habe" zu „Ich ziehe die Augenbrauen so sehr in die Höhe, dass sie im All verschwinden".
„Wieso das denn?"
„Weil es mich eben stört." Seine Augenbrauen wanderten noch ein wenig höher. Schnell wechselte ich das Thema.
„Also, du bist sauer auf mich?"
Wow, Lily. Ganz schlaue Aktion. Immer mit der Tür ins Haus fallen. Ich wollte ja geradezu, dass er mich anschrie und mir Vorwürfe machte.
Nun war es an James mich zu überraschen.
Er antwortete nicht sofort und sah auch nicht unbedingt sauer aus. Normalerweise hätte er sofort angefangen, mich mit Beschuldigungen zu überhäufen, da war ich mir sicher. Verwundert beobachtete ich, wie er sich mit einer erschöpften Geste das Haar aus der Stirn strich und nachdenklich an mir vorbei ins Leere starrte.
Es vergingen ein paar Momente des Schweigens, bis er schließlich antwortete.
„Ich war sauer auf dich, Evans. Sehr sogar."
Ich unterdrückte mit Mühe ein Schnauben.
James fixierte mich mit seinen haselnussbraunen Augen.
„Lily, du brauchst gar nicht mit dieser bockigen Tour zu kommen. Du musst einfach verstehen, dass dich das gestern Nacht verdammt nochmal nichts anging und dass es verdammt nochmal gefährlich war und du dir wer weiß was hättest antun können. Halt dich doch einfach aus unseren Angelegenheiten raus, bitte!"
Ich öffnete empört den Mund und war drauf und dran, ihm mal die Meinung zu geigen, denn wer hatte denn hier in meinem Tagebuch gelesen?! Er sollte mir hier nichts von Angelegenheiten, die mich nichts angingen, erzählen!
Aber ich sagte nichts, denn irgendwo tief in mir flüsterte eine kleine Stimme: Sei einfach still, er macht sich doch nur Sorgen um dich.
Also hielt ich die Klappe und ließ James fortfahren.
„Aber andererseits ist es jetzt sowieso zu spät. Ich muss zugeben, ich bin momentan nicht sonderlich gut auf dich zu sprechen, aber ich bin mir sicher, dass du Remus' Geheimnis gut behüten wirst, und falls doch nicht, werden wir schon Mittel und Wege finden, dich zum Schweigen zu bringen. Das klingt vielleicht hart, aber Moony gehört zu meinen besten Freunden, und ich hasse es, wenn den Menschen, die mir etwas bedeuten, etwas angetan wird."
Sein Blick war mehr als durchdringend, während er das sagte, und irgendwie lösten seine Worte ein enges Gefühl in meiner Brust aus, welches mir die Luft zum Atmen nahm und mich meine Antwort nur krächzen ließ: „Natürlich ist euer Geheimnis bei mir sicher."
James nickte abwesend. Seine Augen huschten unruhig durchs Zimmer und ich konnte sehen, wie seine Finger sich kurz verkrampften, während er die Bettdecke fest umklammert hielt.
„Na ja, dann hab ich dir nichts mehr zu sagen."
Ich nickte und stand langsam auf.
Ich war schon fast wieder aus der Tür, als er mich nochmal zurückrief.
„Lily!" 
Ich starrte ihn an. 
Leise fügte er hinzu: „Danke."


Die Regel - Lily& James Ff ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt