Kapitel 1 - Toni

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Kapitel 1 - Toni

Das Wasser umfängt mich wie weiche Seide. Den Aufschlag auf das tosende Meer habe ich nicht gespürt und auch jetzt empfinde ich nichts als die Erlösung. Erlösung, weil ich endlich meinen Körper in das salzige Nass tauchen kann, welches mir mein Leben lang verwehrt wurde. Die magische Anziehung, die das Wasser des Schwarzen Meeres, auf dem ich mit der AIDA unterwegs war, auf mich ausübte, weicht einem Gefühl völligen Friedens. Achtzehn Jahre lang habe ich auf diesen Moment gewartet. Achtzehn Jahre in denen mein Körper sich nach dem Meer sehnte und in denen meine Mutter es mir vor enthalten hat. Doch ich würde weitere achtzehn Jahre Entbehrung auf mich nehmen, wenn ich damit ihren Tod ungeschehen machen könnte.

Ich verscheuche die trüben Gedanken und schwebe einige Sekunden im Wasser dahin, genieße die Ruhe und halte meine Augen geschlossen, um den Moment für immer einzufangen. So lange bis meine Lungen anfangen zu protestieren. Erst da wird mir klar, dass meine Glieder schon steif gefroren sind, dass das angenehme Gefühl auf der Haut stumpfen Nadelstichen gewichen ist und als ich die Augen aufreiße, sehe ich, dass die Wasseroberfläche unerreichbar weit entfernt zu sein scheint. Als würde ich aus einer Trance erwachen, fange ich an zu kämpfen, rudere mit den Armen und Beinen und versuche die Wasseroberfläche zu erreichen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, einfach ins Wasser zu springen?

Der Schatten des Schiffes, auf dem ich Minuten zuvor noch an Deck gestanden hatte, ist nur noch zu erahnen. Panik breitet sich in mir aus, mein Herz schlägt schneller und verbraucht dadurch mehr Sauerstoff. Auch meine Bewegungen werden hektischer, doch ich komme der Wasseroberfläche kein Stück näher. Der Bann den das Meer auf mich ausübte ist gebrochen und ich verfluche mich dafür, dass ich dem Sog nicht widerstehen konnte. Dieser Kampf dauert wie mir scheint, eine Ewigkeit. Ich drehe und wende mich, versuche irgendwie dem Unausweichlichen zu entkommen. Adrenalin schießt durch meine Adern, aber meine Bewegungen sind zu hektisch, zu unkoordiniert, da die Panik meine Sinne vernebelt. An meinem Sichtfeld tauchen die ersten Sternchen auf und ich weiß, dass ich nicht mehr lange durchhalten werde. Trotz des Adrenalins bringe ich einfach nicht genug Kraft auf um mich an die Oberfläche zu kämpfen. Ein Prickeln macht sich von meinen Füßen über die Unterschenkel bis hin zu den Oberschenkeln breit. Meine Beine sind wie gelähmt, ein weiteres Zeichen dafür, dass mein Körper aufgeben will. Das Prickeln ist nicht unangenehm, ein wenig wie tausend winzige Füßchen, die langsam nach oben krabbeln. Es sorgt dafür, dass ich das unausweichliche akzeptiere und mich der Dunkelheit hingebe, die sich langsam in meinem Kopf breit macht. Der letzte Atem verlässt meine Lunge, während das Prickeln in meinen Beinen einer angenehmen Wärme weicht. Meine Augen schließen sich und ich bin der Meinung, dass warme Arme meinen Körper umfangen, bevor ich mich der seichten Schwärze hingebe und mein Bewusstsein verliere.

Es ist warm um mich herum, ein Gefühl von Geborgenheit durchströmt meinen Körper, bevor ein stechender Schmerz in meinem Kopf, mich endgültig zur Besinnung bringt. Das erste was mir klar wird ist: Ich bin nicht tot. Ich glaube nicht, dass ich solche Kopfschmerzen hätte, wenn mein Körper nicht mehr existieren würde. Stöhnend reibe ich mir die Stirn. Das Licht welches sich durch meine Augenlider einen Weg bahnt, trägt nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei. Dennoch versuche ich die Augen zu öffnen, denn ich will sehen, wem der

zweite Atem gehört, den ich neben mir höre. Vielleicht hat Gia mitbekommen, dass ich verschwunden war und jemanden zu Hilfe gerufen, oder einer der Offiziere an Deck des Schiffes, hat gesehen, wie ich ins Wasser gesprungen bin. Doch als mein Blick sich endlich klärt, schaue ich in die unglaublichsten Augen die ich je in meinem Leben gesehen habe. Das Türkis der Iris leuchtet und ist mit kleinen silbernen Sprenkeln durchsetzt, was es noch außergewöhnlicher macht. Die Augen gehören zu einem Mann. Ich kann an seiner Mimik nicht erkennen, ob seine Augenbrauen aus Besorgnis oder aus schlechter Laune heraus zusammengezogen sind. Er macht auf mich jedoch den Eindruck, als würde er immer grimmig drein schauen.

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